- 12 - Doch was war das? Da war etwas dicht hinter ihm? Unerhört! es gab doch keinen besseren Renner ...

Doch was war das? Da war etwas dicht hinter ihm? Unerhört! es gab doch keinen besseren Renner im Regiment. Zum Donner ja, es kam ihm auf die Hacken - jagte schon neben ihm - Jochen! Jochen kannte das Regiment und dessen Signale und hatte sich stets leidenschaftlich mit den andern gemessen; nun stürmte er daher, als müßte er seinen Herrn ersetzen und rächen, wild den Kopf gehoben, das Maul ein wenig geöffnet, mit schnaubenden Nüstern - nun ein rasender Sprung - er war allen voran, drin!
Die feindlichen Dragoner mußten wahrhaftig den Gegner verachtet oder sich für unbedingt sicher gehalten haben; als sie die dröhnenden Hufe hörten, war es zu spät, dem Angriff mit gleicher Kraft zu begegnen. Einige wollten sich noch vorwerfen, die waren sofort weggefegt, die große Masse wandte sich, aber die Husaren waren flinker.
Klirren, Krachen, Schreien, Stampfen, zuweilen ein Schuß, meistens blitzend niederfahrende Klingen. Ein wirres Getümmel, ledige Pferde, zerquetschte Leiber. Jochen erhielt gleich anfangs einen Hieb, den seine prächtige Mähne auffing, wütend faßte er zu, packte einen Arm und machte einen Sattel leer, die fremden Uniformen hatten es fortan mit ihm gründlich verdorben, seine ganze Wildheit erwachte wieder, da ihn niemand bändigte. Wie ein grimmiges Raubtier biß er einem feindlichen Pferde in den Hals, das schrie in Schmerz und Angst und wollte sich drehen, dadurch hinderte es den Reiter an der Hilfe.
In stolzer Freude hub sich der Oberst zuweilen hoch im Sattel, um das Getümmel zu übersehen - nichts als fliehende Dragoner und nachsetzende hauende Husaren. Aber hinter den Dragonern war ja die Artillerie, die sich hastig in Sicherheit bringen wollte, er konnte sehen, wie die Peitschen der Fahrer hochfuhren. Den nächsten Husaren zeigte er das zweite Ziel, Hinnick war schon dran. Die Kanonen konnten auf den Sandwegen nicht rasch genug vorwärts gebracht werden, die Pferde wurden furchtbar geprügelt, sie gaben her, was sie vermochten, immer noch nicht genug, immer neue Hiebe, die entsetzliche Striemen zogen. Das war dem Mecklenburger doch zu arg.
„Schinneknecht, wist du woll hollen!“ Er zog dem vordersten Fahrer seinen besten Hieb über das Gesicht, die Vorderpferde preschten beiseite, dadurch kam Unordnung, zwei Gespanne gerieten ineinander, das Schicksal der Batterie war entschieden, denn nun stürmten schon von allen Seiten Husaren herbei und hieben die Besatzung zusammen.
Hinnick hielt sich nicht auf, er hatte einen Kerl entdeckt, dem ein langer Pferdeschweif im Nacken über den blitzenden Küraß hing. War das eine Ordonnanz aus einem andern Regiment oder ein Versprengter, der sich zu den Dragonern gefunden? Immerhin ein tapferer Mann, denn er hieb mit seinem geraden Pallasch scharf um sich und schuf sich wirklich Bahn. Hinnick warf sich gegen ihn, aber seinem Pferde wurde durch einen Hieb die Schnauze geschlitzt. Das war doch zu viel für seine Geduld, ihn überlief es heiß, seine Schläge sausten auf den Gegner, dem wurde die Lage unheimlich, und er wandte sich zur Flucht. Der Husar zielte nach seinem Nacken, traf aber nur den Pferdeschweif.
„Du Hund, wist du dinen Stiert woll furts intrecken!“ schrie er wütend, und als das nichts half, griff er flink zu, behielt Helm und Schweif in der Hand und raste wieder hinter dem andern drein. Da war das Dorf Globig, hinter dessen Häusern wollte der Kürassier sein Heil suchen und sah sich nach seinem Verfolger um, als er gerade auf ein Gehöft zusprengte. Dabei hatte er des Torbogens nicht acht und zerschmetterte sich selbst in rasendem Anprall den Kopf. Verdutzt sah Hinnick ihn stürzen. „Dat haddst du bequemer hebben künnt,“ murrte er.
„Sammeln, sammeln!“ Die Trompeten riefen es hinaus. Der erste, der sofort schwenkte, war Jochen, zögernd und unwillig nur gehorchten die Husaren, die anfangs in unzähligen Einzelkämpfen sich bewährt hatten, hernach ein lustiges Jagen begonnen. Hier erhob sich einer, der unter einem Haufen Gestürzter gelegen, und hinkte heran, dort kam ein Pferd ohne Reiter, einige Husaren brachten ihr Sattelzeug umsichtig zu Fuß mit, kleine Gruppen zogen mit Haufen Gefangener, mit Männern und Rossen. Die Verluste waren geringer, als man bei diesem zerstreuten Herankommen gefürchtet hatte.
„Jochen möt de Piep hebben,“ sagte ein Husar; gut gelaunt griff der Oberst in die Tasche mit den Worten: „Wenn er sie rauchen will, dann meinetwegen, verdient hat er sie.“ Aber verdutzt zog er die Hand zurück, die Pfeife war zerschmettert, sogar das Weichselrohr durchgeschlagen, nur die Hornspitze war heil. Das Regiment bat später den Oberst, diese als Ehrenzeichen Jochen in die Ecke der Satteldecke nähen zu lassen. Das geschah, und als Hinnick, der sein geschändetes Pferd nicht mehr reiten konnte, auf Jochen saß, waren alle aus beide stolz. Selbst der ernste York lächelte später, wenn er bei einer Inspektion „Jochen mit de Piep“ sah.
Weiter trabten die Reiter, denn da das Fußvoll Wartenburg nunmehr gestürmt hatte, so waren die flüchtigen zerstreuten Franzosen zu verfolgen; sie nahmen noch eine Batterie, zersprengten ein Bataillon und kamen endlich müde auf Wartenburg zurück. „Heurich, Heurich!“ riefen die Infanteristen ihnen als ehrenvollen Gruß entgegen, und „Heurich, Heurich!“ scholl es aus dem Regiment zurück. Bald lagen die Husaren an den Wachtfeuern, da erst hatten die Gedanken Zeit, die Siegesbahn zurückzuwandern und sich den Toten zuzuwenden. -
Draußen an der zerschossenen Mühle lag Matthies, durch Granatsplitter vom Pferde geworfen. Von den Signalen, dem Toben des Reiterkampfes, das sich drüben erhob, dem Jauchzen der Sieger vernahm er nichts. Erst gegen Abend wurde er durch die furchtbaren Schmerzen geweckt, als das Blut allmählich geronnen war und so die zerrissenen Adern geschlossen hatte. Stöhnend versuchte er sich zurechtzulegen und entdeckte, daß sein linkes Bein vollständig zerschmettert war, auch die linke Schulter schmerzte so, daß der Arm bewegungslos bleiben mußte. Das Bein war verloren, wahrscheinlich auch der Arm, das wußte er als Wundarzt sofort, und stöhnend fiel er wieder nieder.
Es war aber, als ob dieses Stöhnen wie ein Weckruf in der ganzen Umgebung gewirkt hatte, denn nun hörte er plötzlich hierher und dorther ganz entsetzliche Laute, Keuchen, Röcheln, Ächzen, Heulen, dazwischen Schreien so gellend, daß alles erschrocken schwieg. Und wieder huben die Äußerungen namenloser Qual an, je mehr in die Nacht hinein, um so stärker schallend.
Matthies fühlte seine Pein darunter wachsen, aber er lag ganz still, nur sein Auge sah auf zu dem klaren Sternhimmel, da standen dieselben freundlichen Lichter, zu denen er einst von der Bank auf Gellerts Hof mit dem geliebten Mädchen aufgesehen hatte. Da war alles so schön und still gewesen, leise hatte der Baum gerauscht wie zu einer heimlichen Feier. Ihm fiel seine Pfeife ein, er tastete mit der gesunden Rechten an die Tasche, die Pfeise war weg, traurig gab er sie verloren und seufzte: „Eva!“
Nie wieder sollte er die Geliebte sehen, denn kam er auch mit dem Leben davon, so durfte und wollte er es nicht wagen, als jämmerlicher Krüppel ihr gegenüberzutreten. Alle quälenden Gedanken, die unter Hinnicks Zuspruch gewichen waren, drängten aufs neue an. Ganz auffallend klar lag die ganze Vergangenheit vor seinen Augen. Was hatte das Mädchen seit frühester Kindheit aushalten müssen, immer still und stolz gegen die Bosheit, gegen ihn immer freundlich und geduldig, wenn er ihr anch noch so weh getan hatte. Und nun gar ihre Begegnung mit dem Oberst - entsetzlich, entsetzlich, wie sie gelitten. Heldenhaft hatte sie gekämpft, und er - er war feige geflohen. Warum? um nichts, um einen erbärmlichen Wahn, in dem er immer nur wieder an sich selbst gedacht hatte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!