X. Die Heimkehr.

  „Bei Leipzig auf dem Plane - o schöne Erhrenschlacht!
  Da brach den Franzosen in Trümmer Glück und Macht,
  Da lagen Sie sicher nach hartem schweren Fall,
  Da ward der alte Blücher ein Feldmarschall.

  Drum blaset, ihr Trompeten! Husaren heraus!
  Du reite, Herr Feldmarschall, wie Sturmwind im Saus.
  Dem Siege entgegen zum Rhein und übern Rhein,
  Du alter tapfrer Degen, nach Frankreich hinein!“


er kernige deutsche Sänger hatte es gerufen, überall im Lande hatte man es dem Manne zugesungen, der recht ein Feldmarschall nach dem Sinne des Volkes war, weil sein Herz mit dem des Volkes zusammenschlug. Als sonst alles am Gängelbande der sogenannten Staatskunst schwankte, als Bernadotte, „der Millionenhund und Racker von Hasenfuß, der Jude und Zigeunerbaron,“ nach Norden abgeschwenkt war, um sich vor allem seine Anschläge auf Norwegen zu sichern, als das ,,Federviehvolk von Diplomatikern“ in Österreich alles darauf anlegte, einen Marsch nach Paris zu verhindern, da hatte sich Blücher witternd mit Donnerschlägen von Flüchen Luft gemacht und sich - bei seinen 71 Jahren der Feurigste, Ungestümste und Jüngste - gerüstet, doch noch den Krieg nach Frankreich hineinzutragen.
In der unfreiwilligen Muße, die ihm durch die Hindernisse und Zögerungen vor dem Rheinübergang bereitet wurden, drängte sich ihm immer wieder das kleine Ereignis auf der Feldwache von Kieslingswalde auf, ihm war es, als ob der Blick des verwundet fallenden Mädchens ihn verfolge, und um sich endlich zu befreien, band er einem Offizier, den er nach Berlin und von dort zur Armee des Bernadotte nach Holstein schickte, ein, sich auf seinem Ritte durch Gadebusch nach dem Schicksale der mutigen kleinen Patronensammlerin zu erkundigen. Der Offizier erledigte sich seiner Aufgabe auf dem Rathause, viel konnte man ihm nicht erzählen. Frau Scholte hatte an Gellerts geschrieben, daß Eva verwundet wäre und lange schwer da niedergelegen hätte, nun aber schiene, seit Quartiernahme in Luckau, die Genesung rascher zu kommen; sie hatte sich Geld schicken lassen und versprochen, daß sie, sobald es an ginge, mit Eva heimkehren würde. Das war alles, was der Bote des alten Blücher erfuhr, dagegen konnte er den erstaunten Städtern um so mehr von Evas Erlebnissen er zählen, es war ja mancher Verwundete aufgefunden, der Zeuge ihres Mutes gewesen war.
Die Kunde flog vom Rathause hinaus auf den Markt und durch die Stadt. Das war doch ein Ereignis, wie es Gadebusch noch nicht erlebt hatte. Ein Stadtkind, noch dazu ein Mädchen, eine der Ihrigen, einst anscheinend der Schwächsten eine, viel übersehen und viel mißachtet, war es wert, daß der Feldmarschall vom Rheine her geradezu einen Offizier nach Gadebusch schickte? Und das doch sicherlich nur, weil das Mädchen das Kommando in dem Gefechte übernommen hatte und allen voran gefochten und den französischen General erschlagen; und wenn es nicht gewesen wäre, dann wäre die ganze Blüchersche Armee überfallen und geschlagen und vernichtet. Ja natürlich, und wenn sie vernichtet wäre, hätte Blücher nicht bei Leipzig streiten und siegen können, dann wäre er nie an den Rhein gekommen, Napoleon hätte noch die Macht. - Die uferlose Phantasie arbeitete wunderbar in der Trinkstube bei Oldenburg und bei den Mädchen an den Pumpen, an den Mittagstischen der Handwerker und bei den Weibern an den Ecken, in den Kaufmannsläden und in den Stallungen, wo die Knechte in der Schummerstunde auf den Häckselkisten hockten. Überall redete man von Eva und ihren Kriegstaten, jeder fügte etwas zu dem Gerüchte hinzu, jeder wollte versichern, daß er schon lange in dem Mädchen etwas Besonderes gesehen hätte, nur hätten die Dummen nicht auf ihn hören wollen.
Auch die drei Gadebuscher Parzen waren alsbald geschäftig, aber sie knüpften ihren Faden ganz anderswo an und spannen ihn mit anderen Gedanken weiter.
„Ja, was sagt ihr nun? Dies ist doch wirklich ‘ne Geschichte, bei der man das Stillschweigen kriegen kann.“
„Ach ja, da sieht man wieder, daß der Herr die Menschen wunderbar führt.“
„Ihr seid wohl beide unklug geworden. Merkt ihr denn nicht Mäuse?“
„Herre Gott, daß du das sagst! Der alte Blücher soll ja mächtig hinter Frauensleuten her sein.“
„Es wird alles an den Tag kommen, dafür sorgt der Himmel, und Alter schützt vor Torheit nicht.“
„Ei so redet ihr und der Kuckuck! Den Alten darf jetzt keiner anrühren, da kann man Prügel besehen. Aber der Offizier - was sagt ihr dazu? Was hat der hinter der Dirne herzulaufen?“
„Das hab ich mir doch gleich gedacht, die Offiziere sind ja alle so, vor denen ist keine ehrbare Frau sicher.“
„Damals das mit dem französifchen Obersten -“
„Bei den Hirtenjungen schon und mit Matthies fing sie an -“
„Ja, und mit dem Gerichtsrat hat sie was gehabt und mit dem Herrn Scholte, der immer ‘n Groschen für uns bei der Hand hatte, den hat sie soweit gebracht, daß er seine Frau und alles vergaß.“
„Alle, die mal etwas mit ihr hatten, mußten aus dem Tor, nur damit sie nichts nachsagen konnten. Und da draußen hat sie sich dann zuletzt den Offizier eingefangen.“
„Die Scholtesch, das ist die Kupplerin gewesen. Das konnte man dem unflätigen Frauenzimmer sofort ansehen, daß nichts hinter ihr war.“
„Ihr Geld hat die auch nicht von selbst gefunden, sondern aus Sünde gemacht, ihr Haus in Anklam soll übel berüchtigt gewesen sein; so frißt die Sünde weiter wie ein schlimmes Gift, und als sie und die Dirne zusammenkamen -“
„Da hatte der Teufel sein Spiel gewonnen. Na, wir werden es ja alles aufdecken, wenn sie erst hier sind.“
Damit trennten sie sich, jede spann emsig in sich den Faden weiter, um ihn zur rechten Zeit mit den andern dreifach zusammenzudrehen. Sie hatten Zeit genug, denn Weihnachten kam und ging, und noch immer war Eva fern von der Heimat. Der Winter war hart und führte sehr lange sein Regiment, erst gegen Ende März konnten die Meisen ihr Liebeslied beginnen, dann waren plötzlich die Störche da und stelzten auf den Wiesen, um die Frösche, die sich liebesselig im Schlamm der Gräben umtrieben, abzufangen, mit vollem Atem stürmte der Frühling durch die Gassen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!