- 02 - In der Stadt wurde man des außerordentlichen Ereignisses schnell gewahr. Die Jungen liefen neben der Post ...

In der Stadt wurde man des außerordentlichen Ereignisses schnell gewahr. Die Jungen liefen neben der Post und schrien die Kunde aus, daß drei Fremde kämen, Hausfrauen verließen den Kessel, in dem sie die Milchsuppe für das Abendessen kochten, und rissen die Fenster auf, Handwerker legten Hobel und Pfriemen beiseite, um in die Haustüre zu treten, beinahe hätte der Kuhhirte, der gerade sein Vieh heimtrieb und die Post durch die Herde rasseln sah, ins Horn gestoßen, er besann sich aber rechtzeitig, um nicht wegen falschen Feuerlärms in Strafe genommen zu werden, und begnügte sich damit, entblößten Hauptes die Fremden vorbeizulassen. So rasselte der Wagen schwerfällig vor das Posthaus, die Fremden stiegen ab und gingen durch eine dichte Gasse gaffender Leute.
„Warum saßest du denn heute auf dem Bock?“ fragte der Maurerpolier Lürs den Schuster Rassow, „drinnen war ja noch genug Platz.“
„O, ich sage dir,“ entgegnete Rassow wichtig und war immer noch sehr in Würde. „Das sind zwei von den Vornehmsten, die verkehren mit dem Herzog nur französisch. Sie wollen übrigens bei mir ihre Schuhe ausbessern lassen.“
Der Polier lachte ihn aus. „Sag’s nur gerade heraus, sie haben dich aus dem Wagen hinausgedrückt, da sie sich breit gemacht haben. Die kennt man schon, ‘s sind lauter Windbeutel, und du bist ihr Hansnarr.“ Rassow aber ging stolz weiter und zehrte von dem Hauch der Vornehmheit, der auf ihn gefallen war. Bald aber fand er Ursache, sich noch gewaltiger aufzublasen.
Die zwei Fremden hatten ihre Überröcke ihrem Begleiter zugeworfen, der sie mit theatralischer Verneigung empfing, sie überließen ihm die Sorge für ihr geringes Gepäck und das Quartier und schlenderten nun in einem Anzug, wie ihn der französische Adel vor der Revolution trug, durch die Straßen, hochmütig, kaum die Kleinstädter beachtend und spöttische Bemerkungen über den Zustand der Stadt tauschend. Nur wenn ein frisches hübsches Mädchen ihnen begegnete, kniffen sie die Augen, ließen ihre Blicke lauernd darüber hinfliegen und grüßten auch wohl unangenehm vertraulich, so daß das Mädchen meistens errötend in das nächste Haus lief. So kamen sie zu dem Schuster Rassow, der sie schon erwartet hatte. Der Altgeselle, der bei ihm arbeitete, war einst als Handwerksbursche weit in der Welt herumgezogen und sogar nach Paris gekommen. Das war nun freilich schon zwanzig Jahre her, aber einige französische Brocken hatte er doch noch behalten. Er begrüßte die Fremden als adelige Herren, und je hochfahrender sie ihn behandelten, um so höher stellte er sie und ließ sie in der Rangordnung fortwährend steigen.
„Raccomodez ma chaussure, monsieur, s’il vous plaît.“
„Oui, oui, il plaît nous, monsieur le marquis.“
„Pas si grossieèrement, monsieur. Szie müssen den Schuh adjustieren, sakt man in die deutsche Sprak.“
„Oui, oui, monsieur mon vicomte, c’est ça. Je le veut richtig anschusterieren.“
„Très bien, monsieur, o die deutsche Sprak ist eine jargon de chevaux et de cochons.“
„Oui, oui, certainement, monsieur le comte.“
Er wäre wohl noch bis zum duc gekommen, wenn die Fremden ihn noch schlechter behandelt und mehr verhöhnt hätten, aber sie hielten es nicht für der Mühe wert und drängten auf Beendigung der wenigen Stiche, rümpften die Nasen über den Geruch von Leder und Fett und Pech und erkundigten sich so beiläufig nach une jolie mademoiselle pour s’amuser pedant ce soir. Der Altgeselle verstand sie trotz seiner Pariser Erfahrungen doch nicht so ganz, er empfahl ihnen beiden Mademoiselle Clothilde Duvendier und beschrieb ihnen die Lage der Wohnung. Unterwegs trafen sie auf den Polier. „Wo wohnt die Dame mit die französische Nam? Qui parle français?“ fragte ihn einer nachlässig. Lürs, der eben noch des Schusters gespottet hatte, fühlte sich äußerst geehrt über die Anrede und war sehr bereit ihnen zu dienen. In seiner Verlegenheit aber suchte er unklar zwischen ihren Ausdrücken herum, und da fiel ihm Frau Gellert ein, die ja mit Fremdwörtern glatt hantierte. Also wies er sie ganz harmlos und ohne Tücke dahin.
Frau Gellert hatte natürlich längst von den vornehmen Fremden gehört. „Sie finden mich noch im Neklischee,“ sagte sie in geschäftsmäßigem Ton.
„Dieu nous protège de cette mégère,” sagte ein Fremder.
„Sacrée garce,“ antwortete der zweite.
„Chienne d’Allemande,“ steigerte der erste.
Frau Gellert wußte aber in den Mienen zu lesen und nahm den Kopf immer höher, das dritte häßliche Wort verstand sie annähernd und stand plötzlich sehr steif da, nur die Haube, die sie sich in der Eile aufgesetzt hatte, flog hin und her.
„Combien coûte ce saucisson? Was kostet dieser Wurst netto?“
„Brutto und netto, so sakt man doch?“
„Also, was kostet die Schinken dort netto?“
„Sie wollen mich wohl schinkanieren?“ fuhr sie heraus.
Die Fremden verstanden sie nicht und bemühten sich, sie noch mehr aufzureizen.
„Madame, die Haut wird doch abgeßogen von dem Wurst, warum nicht von der Schinken? Was kostet er ohne Haut - netto?“
„Mit Ihrem Nettsen fangen Sie mich noch lange nicht, will ich Ihnen sagen, misterjöhs laß ich mir von Ihnen nicht kommen.“
„Madame, warum sein Sie so méfiante? Wir sein des nobles Français, wir sein nit Janitscharen.“
„Was, Janitschaden? Solche Art soll nicht schaden? Ich sage Ihnen Jammerschaden, Jammerschaden muß man hinter Ihnen herrufen, wo Sie gewesen sind. Sie sind in Frankreich Zetermordio- und Gotterbarmdichmänner gewesen, kannebalsch haben Sie das Volk behandelt. Nun wollen Sie hier uns noch imponieren? Solche Art imponiert uns nicht.“
„Sein Sie fertig, Madame?“ sagte einer und griff nach der Tür.
„Nein, das war erst die Uffertüre. - Was sind Sie? Makkulatur der Menschheit sind Sie. Lassen Sie sich rechtzeitig assekurieren, kann ich nur raten, sonst bläst Sie mal ein Wind der Polletik in den Rinnstein, wo sich freilich die Würmer befinnen werden Sie anzufressen, um sich nicht zu vergiften.“ Das letzte sagte sie schon in der Türe, denn die zwei hatten eiligst das ungastliche Haus verlassen. Draußen wartete ihr Begleiter, der sie geführt hatte, im Gespräch mit dem Polier und hatte sich von der Nachfrage der Fremden erzählen lassen. Er verstand besser als der biedere Kleinstädter, worauf es ankam, und indem er seine Augen prüfend über die Häuserreihe schweisen ließ, entdeckte er hinter einem nahen Fenster ein allerliebstes Gesicht, in dem ein paar prächtige Augen ihn sehr scharf beobachteten. Er gab sich Haltung, hob den Arm mit besonderem Schwung und grüßte hinüber, hatte aber nicht Zeit, die Wirkung seiner Pose zu beobachten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!