- 03 - Als der Polier die Emigranten so herauskomplimentiert sah, feixte er über das ganze Gesicht. Sofort schoß ...

Als der Polier die Emigranten so herauskomplimentiert sah, feixte er über das ganze Gesicht. Sofort schoß ein Fremder auf ihn zu und versetzte ihm eine gehörige Ohrfeige, so daß sein Kopf auf die Seite flog, und eine zweite rückte ihn wieder gerade. Er duckte sich und deckte sich mit seinem Arm, sonst wäre wohl eine dritte gefolgt, und schlich ganz bedrückt davon.
Der Altgeselle, der mit einer Schar Neugieriger den Fremden gefolgt war und sich dabei bemüht hatte, sich und seine Bekanntschaft mit ihnen ins rechte Licht zu setzen und die Unterhaltung nach seiner Art zu verdeutschen, war Zeuge dieses Vorganges, und da er sah, wie der Polier an der Straßenecke sich noch einmal scheu umblickte, so lachte er laut hinter ihm drein, und der Haufen stimmte ein.
Die Fremden waren inzwischen von ihrem Begleiter über dessen Beobachtung unterrichtet und traten nun sehr dreist und zuversichtlich in schnell wiedergewonnener Würde bei Mademoiselle ein. Der erste fuhr etwas zurück bei dem Empfang und sagte leise: „Brrrr!“ Der zweite aber schnalzte mit der Zunge, weil er Eva im Hintergrunde entdeckte. Plötzlich waren sie beide sehr höflich, und kaum hatten sie erfahren, daß Clothilde Adelaide Duvendier de Saint Pierre - Pézainie eine Emigrantin von altem Adel sei, so entspann sich ein lebhaftes Gespräch auf französisch, in dem der Roi die größte Rolle spielte und die alten Zeiten, auf deren Wiederherstellung man immer noch hoffte, wiederauflebten. Schließlich aber ließ sich nur der eine von der redefertigen Mademoiselle festhalten, der andere machte sich an Eva. Das Mädchen war vom Klavier an den Tisch getreten und hatte sich eine Häkelarbeit vorgenommen, er lobte die Gewandtheit der kleinen Finger, erklärte, daß er die Häkelnadel beneide, darum daß sie ihr so nahe sei, daß er sie sofort als die reizende Erscheinung auf der Brücke wiedererkannt habe und vom ersten Augenblick an deswegen Gadebusch zur Krone unter den mecklenburgischen Städten erhoben; er zog eine goldene Uhr heraus, ließ sie repetieren und lehrte Eva das hübsche Werk handhaben, dabei streichelte er die kleinen Hände. Jetzt ließ sich der andere aber nicht mehr von seiner Landsmännin fesseln, er erklärte, daß er die Höflichkeit gegen junge Damen noch nicht in der Fremde verlernt hätte, und begann Eva von der anderen Seite zu bedrängen. Daß sie nur halberwachsen war, gab der Sache gerade ihren Reiz in den Augen der Wüstlinge. Dem Mädchen wurde himmelangst, sie warf einen hilfeflehenden Blick auf ihre Lehrerin, die lächelte ihr ermunternd und eitel zu. Dann, als einer versuchte, ihre Taille zu messen, indem er sie mit den Fingern umspannen wollte, erwachte in ihr der Zorn, sie stieß ihn mit ungeahnter Kraft so heftig zurück, daß er taumelte, benutzte die Lücke, glitt hindurch und lief davon. Draußen stieß sie auf den Begleiter, der seine Aufgabe kannte, die müßigen Städter hinweg-zuschicken durch die Erklärung, daß die Fremden bei ihrer Landsmännin den Abend zubringen würden, und dann für Abhaltung aller Störung zu sorgen, er versperrte die Haustüre.
„Bei der Höllenfahrt des Orpheus - das ist ja ein verjüngtes Abbild der unvergeßlichen Madeleine, himmlisch - göttlich - o, diese Haltung - ich komme um den Verstand - diese Augen - herrliche, liebliche Göttin, woher bist du herabgestiegen, ich beschwöre dich -“
Die Stimme, die Haltung, alle Bewegungen vereinigten sich, Eva ganz verwirrt und willenlos zu machen, sie fühlte, wie der Mensch ihren Arm faßte, um sie schmeichelnd zurückzuführen, und wußte nicht, wie sie sich weinen sollte, schon öffnete sich hinter ihr die Tür, und die beiden Franzosen begannen sie mit Wortschwall zu über-schütten.
Da knarrte oben die Treppe, Eva kannte den Ton und zuckte zusammen, der Rektor schickte sich an, seinen gewohnten Gang ins Gasthaus anzutreten, das Mädchen stieß einen Schrei aus und hob flehend beide Arme zu ihm empor. Trautmann übersah sofort die Lage, trat zwischen die Gruppe und legte seine Linke schützend auf Eva, mit der Rechten wies er die Fremden verächtlich ab. „Sie sollten das Gastrecht, das Ihnen ein fremdes Land bietet, achten, oder“ - seine Stimme schwoll drohend an, als sie versuchten, ihre Zudringlichkeit zu behaupten - „man wird hier wissen, wie man sein Hausrecht gegenüber Landstreichern zu behaupten hat. Komm, Kind, ich bringe dich zu deinen Eltern.“
Verlegen zogen sich die Franzosen zu ihrer Landsmännin zurück und erkundigten sich dort nach einem Honoratioren, mit dem man den Abend in munterer Unterhaltung verbringen könnte. Mademoiselle empfahl ihnen den Gerichtsrat Fromm und sah recht betrübt den rasch abziehenden Fremden nach, die einen himmlischen Augenblick lang Alt-Frankreich hatten vor ihr neu aufleben lassen. Der Rektor brachte Eva ins Nachbarhaus und verständigte die Eltern über den Vorfall, Gellert wollte ihm wohlmeinend raten, nicht ins Gasthaus zu gehen, da er ohne Frage dort mit den Fremden zusammenstoßen müßte, aber er lächelte nur und ging seinen gewohnten Gang.
In der Wirtsstube herrschte schon ungewohntes Leben. Ein Ellenreiter war an demselben Tage gekommen, um den Gadebuscher Schnittwarenhändlern Muster und Proben vorzulegen, der hatte nun einige Bekannte, darunter den Kaufmann Wipper, um sich gesammelt und führte großmächtig die Unterhaltung, vornehmlich vom Kriegsschauplatze. Ney hatte bei Elchingen die Österreicher geschlagen, Napoleon den General Mack bei Ulm zur Übergabe gezwungen. Er kramte das aus mit den nötigen Zusätzen, die seine Phantasie liefern mußte, gab dann noch einige Anekdoten, die er unterwegs aufgelesen hatte, zum besten, und endlich brachte er eine kleine Nachahmung der Guillotine zum Vorschein, die einst vor zehn Jahren schon gefangene Franzosen aus Holz gefertigt und in Berlin verkauft hatten. Jetzt strandete sie erst in der Kleinstadt und wurde gehörig bewundert, das Fallbeil fiel noch ausgezeichnet, man malte sich aus, wie die Köpfe darunter gerollt wären.
„Na, Wipper, wie ist es?“ fragte der Rektor, als er sich zu zwei schon wartenden Bekannten an den Tisch setzte und die Karten zur Hand nahm.
„Nein,“ wehrte der Gerufene ab, „ich will kein Kupferschmied werden.“ Er hoffte, mit dem Fremden später noch ein Spiel in Silber machen zu können.
Bedächtig kam ein vierter heran, und das Spiel konnte beginnen.
„Du, Möller,“ sagte der Rektor zum Wirt, „deine Karten kleben so fest aneinander, lang uns doch mal dein Stemmeisen herüber, daß wir sie losbrechen.“
„Die müssen bald zum Priester, daß er sie wäscht,“ fiel ein Spieler bei.
„Ja, da war einer in Reinshagen, der es gut verstand, aber der ist tot geblieben und hat das Rezept mitgenommen,“ antwortete ein anderer.
„Jeden Tag fünfzig Köpfe und das ein ganzes Jahr durch, Alltag und Sonntag,“ sagte der Ellenreiter.
„Lauter Kuddelmuddel und Mankmus,“ murrte ein Spieler beim Ordnen seiner Karten.
,,Meine sind wohl alle im roten Meer getauft,“ brummte der zweite vor sich hin.
„Wir wollen ihnen die Flötentöne schon absaugen,“ sagte der Rektor vergnügt zu seinem Teilhaber.
„Dabei den ganzen Kinnbacken abgerissen, daß da nur noch ein Fetzen niederhängt,“ kam es vom andern Tisch.
„Das ist ja ganz gräsig. Aber am Sonntag auch? mit Verlaub, das kann ich nicht glauben,“ wagte ein kritischer Handwerker zu zweifeln, „das hätte der Magistrat nicht gelitten.“ Der Fremde lachte schmetternd.
„Die ersten Pflaumen find wurmstichig“ (ein Spieler).
„Ich wag’s auf die Gefahr hin, daß sie einen naßgießen“ (zweiter Spieler mit kräftigem Aufschlag).
„Wollen ihm mal den Bart kitzeln“ (dritter Spieler).
„Und dann den Kopf auf die Pike gesteckt und umhergetragen“ (der Ellenreiter).
„Halt, hier geht man nicht auf die Dörfer“ (ein Spieler).
„Ihm ist die Pust bald knapp geworden“ (ein zweiter).
„Mit dem hab ich mich schlecht verheiratet“ (der dritte).
„Ascher, pack ein, der Jahrmarkt ist aus.“ Der Rektor nahm den letzten Stich und beendete das Spiel.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!