III. Die Vorboten des Unheils.

Der Bürgermeister Koch war bald froh, daß er eine Partnerin in Eva gefunden hatte, die seinem Lieblingsspiel nicht ungeschickt oblag, er mochte sie nicht mehr entbehren und hatte bald allen Grund, gegen die Anschläge des flinkdenkenden, scharfäugigen Mädchens auf der Hut zu sein. Frau Koch saß still dabei und hatte ihre Freude daran, von der Seite her unbemerkt die Lebendigkeit der seinen Züge, in denen Triumph und Ärger und Verlegenheit sich rückhaltlos bemerkbar machten, zu beobachten.
Während die drei einst so beisammensaßen, erschien der Stadtdiener Seiffert, den man in der Stadt „Allemal“ nannte, denn er hatte es sich angewöhnt, in jedem seiner Sätze möglichst oft das Wort „allemal“ anzubringen. „Hat ein Expreß von der Regierung aus Schwerin allemal gebracht, Herr Bürgermeister,“ sagte er, „die Sache hätte Eile allemal.“ Das Schachspiel mußte hinter dem Lesen zurückstehen, des Bürgermeisters Miene wurde sehr ernst.
„Es wird Einquartierung angemeldet für drei Nächte - erst ein Regiment russischer Kürassiere, dann russische Grenadiere, dann Kosaken -“
,,O gütiger Himmel, Koch, was bedeutet das? Das bedeutet doch nichts Schlimmes?“ rief die Frau erschrocken aus.
„Es bedeutet, daß wir dreimal für 600 bis 700 fremde Soldaten Essen und Trinken und einen Platz zum Schlafen besorgen müssen, also viel Arbeit und Ärger - nun, meinetwegen, dazu bin ich ja da, und ich habe es erwartet, als ich bei meinem letzten Aufenthalt in Schwerin hörte, daß der Herzog den Schweden und Russen den Durchzug durch unser Land gestatten würde. Die Kosten werden ersetzt.“
„Nein, nein, das bedeutet mehr. Es wird doch nicht der Krieg von den Franzosen in unser Mecklenburg hineingetragen werden?“
„Was haben wir mit den Franzosen zu tun?“ sagte Koch. „Laß die sich mit den Österreichern herumhauen, so viel sie wollen. Die Russen ziehen von hier aus weiter, um Hannover zu besetzen, sie gehören ja zur dritten Koalition.“
„Aber wenn sie durch Mecklenburg gelassen werden, was wird Napoleon dazu sagen?“
„Der? der macht es nicht anders, das soll ja wohl raison de guerre sein, er hat den Bernadotte durch das preußische Ansbach ziehen lassen, und die Preußen sind neutral wie wir. Geh, Kind, heute spielen wir nicht weiter und in den nächsten Tagen gewiß auch nicht. Geh nur und bestelle Grüße an deine Eltern. - Ich bin gespannt, was für Nachricht die Post heute von Hamburg bringen wird, sie muß ja bald kommen. Im Süden wird es heiß hergehen, Napoleon fackelt nicht lange. Seiffert, bestell er den Stadtsekretär sofort auf die Registratur, ich komme gleich.“
„Allemal, Herr Bürgermeister,“ sagte der Stadtdiener und ging.
Eva sprang fort, alles an ihr war Bewegung, die Nachricht hatte sie erregt. Soldaten, die in den Krieg zogen, Russen - Kosaken - das war etwas, was die Einförmigkeit der Kleinstadt lustig durchbrach, und sie kannte einen alten Soldaten, der vor allen die Neuigkeit erfahren mußte.
Ollhöft saß auf der Bank vor dem Tor und wartete auf den Postwagen: sie setzte sich zu ihm und berichtete von der bevorstehenden Einquartierung der Russen.
„Halt, wer da!“ rief er auffahrend, „Freund oder Feind?“
„Nichts von beiden,“ antwortete Eva prompt, „passiert nach Hannover. Du kennst ja die Russen von Kunersdorf her, hast du uns das nicht gesagt?“
„Tore zu, Brücken auf, besetzt die Pässe, laßt die dreckige Bande nicht ins Land! Was haben die Russen bei uns zu suchen?“
„Essen und Trinken und einen Platz zum Schlafen,“ sagte Eva lachend.
„He, he, was du nicht alles weißt, Mamsell Allwissend, setze hinzu ?und einen Platz zum Lausen und die Stadt zum Mausen und das ganze Land zum Hausen.? Raus mit den Russen sage ich, die wollen nur sehen, wo das Land offen ist, und sind sie da, so bleiben sie, denn mit ihrem Dreck kleben sie überall fes!.“ Die Erinnerung an Kunersdorf hatte eine wunde Stelle in ihm getroffen. Eva lachte wieder trotz Ollhöfts sichtlichem Ärger, dann sagte sie: „Da rollt die Post, ich kann sie hören.“ Sie sprang zur Brücke, lehnte sich an die Einfassung und sah dem Wagen entgegen, als könnte sie die Neuigkeiten, die der Bürgermeister erwartete, von außen ablesen.
Auf dem Bocksitz neben dem Rutscher saß der Schustermeister Rassow und machte eine sehr würdevolle Miene, offenbar weil im offenen Wagen hinter ihm drei fremde Herren saßen, die lachten und schwatzten lebhaft. Einer von ihnen entdeckte die hübsche Erscheinung am Geländer. „Ravisante, divine, sublime!“ rief er mit pathetischer Handbewegung und machte den zweiten darauf auf-merksam; der zuckte auf, als er Eva in die neugierigen Augen sah, und grüßte mit Anstand, er neigte sich noch einmal zur Seite heraus und grüßte aufmerksam zurück. Das Mädchen war errötet und stand nun ganz verwirrt undd sah dem Wagen nach. Langsam ging es dann auf das Tor zu.
„Eva, Eva,“ sagte Ollhöft, der den Vorgang beobachtet hatte, „ich hab’s immer schon gesagt, du sollst dich nicht selbst auf solche verlorenen Posten stellen. Zwei von denen im Wagen gehören sicher zu den verluderten Emigranten, es bringt ein aufmerksamer Blick von ihnen einem Mädchen schon Schande, so voll Fäulnis sind sie. Die wollen natürlich nur sehen, ob für sie nicht etwas Vorteil bei dem russischen Einmarsch in Hannover abfällt. Hungrige Hunde, die nach jedem Bissen schnappen, der vom Tisch fällt.“
„Nein,“ sagte Eva verlegen, während ihr das Blut ins Gesicht schoß, „das ist es nicht. - Pah, was gehen die mich an - aber der dritte -“
„Der so verkommen aussah?“
„Sah er das?“ fragte Eva in Gedanken.
„Durch und durch, alles an ihm bis auf die Nasenspitze mit Schnaps durchsetzt.“
„Ich sah nur die Augen, und wie er so machte mit dem Arm.“
„Wahrscheinlich ein verkommener Komödiant. Die beiden Franzosen legitimierten ihn als ihren Führer und Begleiter, sonst hätte ich ihn nicht durch das Tor gelassen.“
„Er sagte -“ Eva war in Gedanken.
„Nun, was sagte er? Wohl irgend eine Zoterei?“
„Mir ist, als hätte ich ihn schon einmal gesehen -“
„Kann nicht sein, Thoms Ihlenpohl heißt er und kommt mit ihnen von Stralsund, wohl von Schweden her.“
Eva schüttelte den Kopf und ging langsam fort. Der Alte sah ihr nach. „Es wird doch nicht einer von ihren früheren Straßenbekanntschaften sein?“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!