- 04 - „Sie sehen so feierlich aus,“ sagte Fromm etwas spöttisch, denn er bildete in allem so ziemlich das gerade ...

„Sie sehen so feierlich aus,“ sagte Fromm etwas spöttisch, denn er bildete in allem so ziemlich das gerade Gegenstück zum Rektor. „Natürlich fiedelten Sie noch ein paar Volkslieder herunter.“
„Das trifft zu,“ antwortete der Rektor kurz. „Herr Bürgermeister, wenn ich störe, komme ich ein andermal wieder.“
„Wir sind gerade fertig und begannen, um es zu gestehen, etwas zu klatschen. Nehmen Sie Platz, alter Freund.“
So hatte er den Gerichtsrat noch nie genannt, obwohl er nun schon manches Jahr mit ihm Schach spielte, den ärgerte das. Er warf in nachlässigem Ton hin. „Ich weiß nicht, wie man Geschmack an dem finden kann, was so das rohe Volk singend auf den Landstraßen herumträgt, mir ist es immer fade und nichtssagend gewesen.“
„Ich habe das rohe Volk noch nie singenhören,“ versetzte der Rektor.
„Das grölt nur und schreit und je toller je lieber,“ warf Koch ein.
„Wer freilich das Volk nicht kennt und liebt und immer an sich denkt und das Leben für sich ausnutzen will, der wird das Volkslied nicht würdigen,“ fügte Trautmann hinzu.
Fromm lachte: „Sie haben wohl das Scheiden und Meiden an sich durchgemacht, daher Ihr Faible.“
„Das macht es nicht,“ rief Koch unmutig ablenkend, weil er sah, daß der Rektor sich nur mühsam beherrschte. „Ein Herz, das dem Nächsten offensteht in Freud und Leid, gehört dazu. Wir sollten gerade das, was uns mit dem niederen Volke verbindet, hochhalten, die Kluft ist leider schon groß genug.“
„Niederes Volk?“ sagte Fromm wegwerfend, „gehen Sie mir damit. Wir haben wohl an Frankreich gesehen, wohin es führt, wenn man es auftauchen läßt. Ich bin für das Unterdrücken.“
Der Rektor richtete sich scharf auf: „Das Recht jedes tüchtigen Mannes soll sein, in den höchsten Lebensfragen ein freies Wort mitzureden und sein Schicksal selbst mitzubestimmen. Aber kein Volk, das jahrhundertelang gedrückt wurde, wird für die Freiheit sofort in einem Jahrzehnt fertig, dazu gehören wieder Jahrhunderte.“
Fromm entgegnete überlegen: „Das ist ein Irrtum, Preußen ist in Jahrzehnten hochgekommen, aber nur, weil der König das Volk mit fester Hand führte, wie es gehen sollte.“
„Preußen?“ rief der Rektor. „Preußen ist jetzt eine künstliche Schöpfung geworden, seine Könige haben Länderschacher getrieben, Stämme vertauscht, eingehandelt, aber ohne sie zu fragen, als wären sie tote Ware, und dabei ist es ein aufgeschwemmter Leib geworden, den keine Bürokratie und Bevormundung auf die Dauer zusammenhalten kann. Kommt einmal ein rechter Stoß, dann platzt er.“
Koch wollte das einschränken: „Der große Mann eilt seiner Zeit voraus, aber der Volksftrom kann nicht sofort dahin einlenken.“
„Der große Mann?“ sagte Fromm, „das wäre jetzt Napoleon. Wie gewaltig reißt der die Volksmassen fort. Der wäre am Ende der Rechte, nicht wahr, Herr Rektor?“
„Sie sehen mich so lauernd an, Herr Gerichtsrat,“ fuhr Trautmann auf, „ich bin kein Revolutionär, aber ich bin auch nicht bereit, vor einem Tyrannen zu kriechen. Wenn er die Massen so mit Gewalt durch seine Tore treibt, müssen sie sich zerquetschen.“
„Bis auf die, Herr Gerichtsrat,“ sagte Koch nun seinerseits auch gereizt, „die überall lavieren und sich ducken, aalglatt durchgleiten und sich von schlau gesammeltem Abfall zu mästen verstehen.“
„Sie sind heute abend beide in sonderbarer Stimmung,“ sagte Fromm. „Ich habe nicht Lust, mir hier durch Sie die Laune verderben zu lassen.“ Damit machte er sich eiligst davon.
„Der kommt nicht wieder,“ rief Koch halb belustigt, halb ärgerlich.
„Ich kann ihn nicht ausstehen, es liegt der Schleicher in ihm immer auf der Lauer,“ bemerkte der Rektor.
„Ich auch nicht, aber ich habe in Gadebusch keinen gefunden, der so gut Schach spielt,“ sagte Koch. „Um auf etwas anderes zu kommen, was soll Ihr Matthies werden? Die Jahre sind da, wo die Entscheidung drängt, hat er nicht bald siebzehn voll?“
„Studieren kann ich ihn nicht lassen, was ich hatte, habe ich ihm gegeben, missen kann ich ihn nicht, da möchte ich Ihre Ansicht hören, ob ich ihn wohl zum Wundarzt ausbilden lassen kann, mit dem alten Gaarz habe ich schon gesprochen, der will ihn in die Lehre nehmen.“
„Das ist gewiß ein guter Gedanke,“ schloß Koch. „Tüchtige Wundärzte sind in unserer gärenden Zeit überall gesucht. Übrigens will meine Frau Gellerts bitten, ihr Eva für einige Tagesstunden zu überlassen, sie hat an ihr immer ihre Frende gehabt, seitdem sie sie hier auf dem Schoße hielt, und möchte der Kleinen etwas mehr Gewandtheit für das Leben beibringen.“ Damit trennten sich die beiden Freunde.
So mußte denn Matthies nach seiner Konfirmation zu dem Chirurgen Gaarz in die Lehre gehen. Eva aber, die darüber nicht gerade froh war, suchte ihrer Teilnahme dadurch Ausdruck zu geben, daß sie ihm eine kurze Pfeife kaufte, auf der sein Lieblingstier, ein Pferd, sich zum Sprung anschickte. Rauchen konnte er natürlich längst, darin hatte Ollhöft ihn eingeführt. Um aber die Pfeife recht einzuweihen, machte er mit Eva an seinem ersten freien Nachmittage vor dem Tore einen längeren Spaziergang. Er hatte schon allerlei zu erzählen, denn er war von Gaarz, der sehr eifersüchtig auf seine Vorrechte hielt, zum Spionieren benutzt, ob jemand ihm ins Geschäft pfuschte.
„Die Pfeife will ich wert halten,“ sagte Matthies recht würdevoll, „wo ich bin, da soll sie bei mir sein, und so wirft du überall mit mir gehen. Heute abend ziehst du zur Bürgermeisterin. Werde da nur nicht zu vornehm, daß ich dir später nicht mehr fein genug bin, du mußt doch meine Frau werden.“
Eva lächelte nur still vor sich hin, und damit war Matthies zufrieden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!