- 03 - Ollhöft, der alte, schrecklich hinkende Torwärter, war ihr ein Greuel, weil er noch nicht ein einziges Mal, ...

Ollhöft, der alte, schrecklich hinkende Torwärter, war ihr ein Greuel, weil er noch nicht ein einziges Mal, wenn sie das Tor mit ihrem leichten Schritt passiert, an den Hut gegriffen, sondern sie nur verdrossen und mißtrauisch angesehen hatte. Impertinent, lourd, brutal stellte sie bei sich fest. Nun hatte er gerade das Kleeblatt Matthies, Eva und Hinnick bei sich in der Torstube und ihm, wie so oft, von seinem großen König und dessen Siegen über halb Europa und von Preußens Größe erzählt, als Clothilde Duvendier wieder vorüberging. Es gab kein Geheimnis, das er nicht wissen durfte, und so erfuhr er von dem Tanzunterricht und den Aufträgen, dem Rektor vorsichtig das Gelernte zuzutragen. Er zog die Augenbrauen hoch, stampfte durch die kleine Stube hin und her, stieß gefährliche Rauchwolken aus seiner Tonpfeife, klopfte endlich Matthies mit seinem Stock sanft auf die Schulter und sagte: „Junge, Junge, stell deine Vorposten rechtzeitig aus, laß deine Streifwachen ziehen und mach die Runde bei Tag und bei Nacht, die hat einen Hinterhalt gelegt und macht ihren Überfall, daß ihm nichts weiter übrig bleibt, als zu kapitulieren.“
„Was denn? wem denn?“ fragte Matthies ganz verdutzt.
„Was denn? wem denn? Ist das eine kriegsmäßige Frage? Du bist es, der von ihrer Mine in die Luft gesprengt wird, und hernach kannst du vor fremden Türen betteln. Paß auf, sage ich dir, die versteht sich auf die Laufgräben und Trancheen und Approchen, sie schießt Bresche, ehe du es ahnst.“
„Ist ja alles Unsinn,“ sagte Matthies immer verwirrter, „die kann nicht einmal aushalten, wenn ich die Hoftür zubauze, gleich bin ich ihr ?hekeiafter? Junge.“
„Matthies, Matthies, lege ihr Fußangeln und Wolfsgruben, laß dir raten. Wenn sie den Rektor erst zur Kapitulation am Altar gezwungen hat, dann löst sie die Truppe auf, und du kriegst ganz gewiß keinen Gnadensold.“
Eva war hellhörig geworden, sie begriff die Andeutungen des Alten rascher und war verdrossen bei dem Gedanken an die Pläne, zu deren Ausführung sie hatte gebraucht werden sollen. Das erforderte eine grässliche Rache.
Mademoiselle Clothilde Duvendier hatte eines Abends wieder liebliche Zukunftspläne gesponnen und begann nun ziemlich spät sich zu entkleiden, um den Schlummer zu suchen. Ihrer Gewohnheit gemäß leuchtete sie noch alle Winkel ab, bevor sie ins Bett stieg, denn das Land Mecklenburg war, man konnte es immer wieder hören, von Strolchen gar zu sehr heimgesucht. Als sie an das Fuß-ende des Bettes kam, schrie sie plötzlich entsetzt auf, die Lampe entfiel ihrer Hand, sie stürzte in Todesangst auf den Hausflur und rief so gellend um Hilfe, daß der Rektor, der noch Noten schrieb, eiligst mit seinem eisernen Lineal bewaffnet die Lampe in der Hand die Treppe in fliegendem Schlafrock herabkam. Er war kaum verständigt von der Lage, als er auch schon entschlossen und mutig der Gefahr zu Leibe ging und in den Winkel leuchtete. In der Tat entdeckte er, daß ein paar Füße unter dem Bett herausguckten, und lud ganz energisch den Inhaber zum Herauskommen ein; da das nichts nützte, griff er zu, packte kräftig an und hob verdutzt zwei leere langschäftige Stiefel auf. Als er sie der Mademoiselle, die zitternd auf ein furchtbares Ereignis wartete, etwa einen tödlichen Kampf, einen dumpfen Fall, hinhielt, da mußte er lachen, ja, in der Tat, er lachte ihr gerade ins Gesicht, er sah nicht weg, als der Lampenschein auf ihre dürftige Toilette fiel, er lachte weiter, so daß ihm die Stiefel aus den Händen glitten. Und als er die Treppe hinaufgegangen war, da lachte er noch, aber als er in die Stube getreten war, da war er plötzlich ganz still. Ihm war recht unbehaglich beim Rückblick auf das seltsame Ereignis. Hm, hm - ei, ei - so, so - sollte das möglich sein? Ha - das wäre - o, o - nein, nein - so brütete er erregt, und als er am nächsten Tage nach den Stiefeln fragte und erfuhr, daß sie spurlos verschwunden wären, da war sein Argwohn bestätigt, er nahm zukünftig eine sehr abweisende Haltung an und grüßte bei einer Begegnung äußerst kühl, Mademoiselle erwiderte sehr spitz und stachlicht, Mademoiselle war höchst indigniert, das war nicht edelmännisch, daß er bei ihrem Anblick gelacht hatte, nein, wie man sich doch in den Männern irren konnte; o pfui, er war und blieb doch nur ein tölpelhafter, plumper, deutscher Kleinstädter, der in seinem zerlumpten Schlafrock eine sehr traurige Figur abgab. Sie schloß Eva an einem der nächsten Tage in ihre Arme, weinte einige Tränen und erklärte feierlich, daß das Mädchen nur ihre einzige Liebe sein sollte, und ganz Gadebusch könnte dahinfahren. Eva lachte heimlich, zeigte sich schlauerweise äußerlich teilnehmend und ließ es sich gefallen, daß Mademoiselle an ihr weiter erzog, denn die feine Sitte und der äußere Anstand der Fremden hatten sie immer angezogen und schienen ihr wohl des Nachahmens und Lernens wert. Das Übertriebene und Gezierte dabei erkannte sie mit gesundem Gefühl und hielt es von sich fern, und wenn ihr etwas davon doch ankleben blieb, so strich es Matthies mit ein paar spöttischen Worten sofort ab.
Matthies wuchs heran, zäh, kräftig und willensfest, aber auch oft eigensinnig und heftig herausfahrend, wenn ihm irgend etwas nicht gefiel, und das ruhige stolze Wesen seines Pflegevaters legte in ihm den Grund zu einem besonders ausgeprägten Ehrgefühl und dem Drang nach Selbständigkeit, die Erziehungsknust des Rektors mußte hier wieder aufgeboten werden zum Dämpfen und Bewahren vor falscher Bahn.
Evas Gestalt reckte sich nicht hoch, sondern hielt sich sehr zierlich und schlank. Sie blieb fröhlich und flink; ihre dunklen Haare lagen trotz alten Streichens und Kämmens kraus um das Gesicht, fast bis auf die braunen Augen. Die fremdartige Aussprache, die Vater Gellert immer so entzückt hatte, blieb, und ebenso, vielleicht gerade deswegen, blieb auch der Name Findelkind. Sie lernte ihn nie mit Gleichmut ertragen, aber sie verbarg mit zornigem Stolz ihre Verachtung des kleinlichen kleinstädtischen Wesens.
So gingen die Jahre dahin, und für Matthies kam die Zeit, daß er sich für einen Beruf entscheiden mußte. Eines Tages begab sich der Rektor zum Bürgermeister, um mit ihm als dem Obervormund zu sprechen, und fand den Gerichtsrat Fromm dort beim Schachspiel.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!