Zweite Fortsetzung

Der vorsichtige Fürst Karl Philipp zu Schwarzenberg [1771-1820] wünschte, dass die Operationen nicht eher ihren Anfang nehmen möchten, bis Barclay in die Linie eingerückt war. Im Blücher'schen Hauptquartiere wurde allerdings ein so langer Aufschub nicht für ratsam gehalten; man meinte, „die verlorene Zeit gewinnt der Feind"; allein selbst August Graf Neidhardt von Gneisenau [1760-1831] war doch noch im Anfange Juni nur für ein sehr langsames und vorsichtiges Überschreiten der französischen Grenze. Da kam Napoleon, mit oft befolgter Taktik, den Angriffen seiner Gegner wieder zuvor.

Noch einmal entwickelte der großartige Schlachtenkaiser seine staunenswerte Tätigkeit in Frankreich. Die Begeisterung freilich, mit der die französische Nation dem durch ihn bewirkten Sturz der verlebten Bourbonen entgegenjubelte, hatte sich bald gegeben, als sie wahrnahmen, dass nun das erschöpfte Land wiederum in Krieg und Not gestürzt werden musste. Es bedurfte bald theatralischer Effekte, dem Volke glauben zu machen, es hänge begeistert an dem Kaiser. Aber die Armee war für Napoleon und für Krieg, was davon unzertrennlich. Sie hielt treu zum Kaiser, obwohl selbst die meisten seiner alten Waffenbrüder, die stolzen Marschälle, sich scheu zurückhielten. Dem Heere mussten zum Teil neue Führer gegeben werden. Und nun trieb Napoleon mit rastloser Energie die Mittel zum unvermeidlichen Kriege zusammen. Die Bildung einer zahlreichen Armee wurde vorbereitet. Schon im Mai konnten gegen 90.000 Franzosen an verschiedenen Stellen gegen die drohenden Fremden aufgestellt werden, während Napoleon selbst mit 130.000 der tapfersten und herrlichsten Krieger nach den Niederlanden eilte, um zunächst hiev seinen gefährlichsten Feinden mit Macht zu begegnen. Die Verbündeten ahnten kaum sein Kommen, als Napoleon schon eintraf.


Wellington hatte gar keine, Gebhard Leberecht von Blücher [1742 in Rostock-1819] erst spät und dann nur geringe Anstalten getroffen, einem plötzlichen Angriff zu begegnen. Ein militärischer Geschichtsschreiber sagt deshalb mit Recht, die beiden Feldherren hätten zuerst das Gewöhnlichste versäumt, um nachher Ungewöhnliches zu leisten. Ihre Heere lagerten weitläufig zerstreut.

Am Abend des 14. Juni zeigten aber zahlreiche Wachtfeuer die Nähe des Feindes. Blücher zog jetzt rasch das Korps Zietens zusammen und verfügte, alle vier Armeecorps hätten sich unverzüglich bei Sombresse zu versammeln. Mit Anbruch des folgenden Tages begann der kurze denkwürdige Krieg durch ein rasches und entschlossenes Vordringen der Franzosen. Doch wehrten sich die Preußen tapfer, zogen sich fechtend zurück und verschafften dadurch beiden Armeen der Verbündeten die M?glichkeit, sich zu sammeln. Denn nicht nur Blücher, sondern auch Wellington benutzte diese Zeit, seine Truppen zusammenzuziehen.

Napoleon traf am 15. Juni die allgemeine Anordnung für diesen Feldzug, dass sein Heer in einen linken Flügel unter dem Marschall Michel Ney [1769-1815], der sich soeben erst bei der Armee eingefunden, einen rechten unter dem Marschall Emanuel de Gronchy [1766-1847] und eine zwischen beiden marschierende Reserve eingeteilt sein solle. Den Oberbefehl über den letzteren Heeresteil behielt sich der Kaiser, nachdem der Marschall Mortier, der dafür bestimmt, erkrankt war, selbst vor. Nach den geringen: Gefechten an diesem Tage rückte daher Ney am 16. Juni mit etwa 50.000 Mann gegen Wellington vor, während Napoleon und Grouchy den Feldmarschall Blücher mit seiner Armee über den Haufen zu werfen gedachten. Schon waren die Proklamationen gedruckt, mit denen Napoleon nach dem, wie er wähnte, unzweifelhaft glücklichen Erfolge die Welt von Brüssel aus, das er früh Morgens am 17. zu erreichen gedachte, beglücken wollte.

Blücher hatte die drei Armeekorps von Zieten, Pirch und Thielmann bei Ligny vereinigt und aufgestellt. Er war, obwohl Bülow noch weit zurückstand, entschlossen, hier eine Schlacht anzunehmen. Er ließ die Dörfer St. Amand und Ligny besetzen und dazwischen Truppen von Pirch und Zieten aufstellen. Links, etwas weiter zurück, hatte Thielmann ein Terrain eingenommen, das ihn ebensowohl schützte, aber auch an einem wirksamen Eingreifen in den Gang der Schlacht hinderte. Blücher hatte 83.000 Mann, Napoleon 78,000 zu verwenden. An Artillerie war dieser seinem Gegner überlegen. Gegen ein Uhr erschien, von seiner nahen Aufstellung, Wellington bei den preußischen Führern, sah sich die Lage der Dinge an und versprach, bald mit Verstärkung heranzukommen. „Um vier Uhr werde ich hier sein", sagte er, als er wieder von dannen ritt. Er ahnte nicht, dass er selbst zu gleicher Zeit bei Quatrebras angegriffen würde.

Aber auch Napoleon täuschte sich über die Stellung seiner Gegner. Er sandte dem Marschall Ney Befehl, Blüchers rechte Seite zu umfassen, den Preußen so in den Rücken zu fallen und dadurch den Sieg bei Ligny zu einem entscheidenden zu machen. Der Kaiser dachte sich also, sein Marschall werde entweder bereits im siegreichen Besitz von Quatrebras sein, oder dort doch nur einen geringen Kampf zu bestehen haben. Dem war, Dank einer früh zeitigen Besetzung des wichtigen Kreuzweges durch den Herzog von Weimar, nicht so.

Erst gegen drei Uhr eröffnete Napoleon die Schlacht durch einen Angriff auf den rechten Flügel der Preußen, auf die Dörfer St. Amand, welche nach hartnäckigem Widerstande um vier Uhr von den Preußen geräumt wurden. Allein Blücher befahl, dieselben wieder zu nehmen, was auch unter der persönlichen Leitung des greisen Helden teilweise gelang. Jetzt wurde hier mit abwechselndem Erfolge bis neun Uhr Abends gekämpft.

Fast gleichzeitig mit dem gegen St. Amand wurde auch der Angriff gegen die Mitte der preußischen Stellung, gegen das Dorf Ligny, begonnen. Die Preußen wehrten sich aber hier nicht allein standhaft, sondern verfolgten den zurückgeschlagenen Feind sogar noch eine Strecke. Aber dieser griff sie abermals mit Nachdruck an, warf sie auf das Dorf zurück und machte sich dann schließlich nach Überwindung der wackersten Gegenwehr zum Herrn desselben. Mit unwiderstehlicher Gewalt drangen dann aber die jungen preußischen Krieger von Neuem vor; sie nahmen den größten Teil des Dorfes, den festen Kirchhof, selbst das Schloss von Ligny wieder ein und behaupteten sich hier lange, trotz furchtbaren Handgemenges. Auch Blücher hatte sich jetzt hier eingefunden. Der aber sah plötzlich von St. Amand feindliche Truppen fortziehen und hielt dieses für ein Zeichen des errungenen Sieges. Das entflammte seine alte Heldenseele zum kräftigsten Tatendrang. „Vorwärts, vorwärts, dem Feinde nach!" rief er und warf alle verfügbaren Truppen nach St. Amand. Aber bald zeigte sich, dass jene Truppen eine andere Bestimmung gehabt. Bitter rächte sich die Täuschung, denn jetzt war, besonders auch durch den unbefugten Abmarsch einer Brigade, die günstige Lage in Ligny unwiederbringlich verloren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nicht Waterloo, sondern Belle Alliance.