Erste Fortsetzung

Es war in der Nacht vom 6. zum 7. März 1815, als Fürst Klemens Metternich [1773-1859] in Wien eine Depesche aus Genua erhielt, die er anfangs, ermüdet von langer Konferenz, ungelesen zurückschob. Endlich erbrach er sie. Napoleon sei, so wurde darin berichtet, von der ihm angewiesenen Insel Elba entwichen, man wisse nicht, wohin. Am 11. März wurde sodann in Wien bekannt, der gewaltige Mann sei im Süden Frankreichs gelandet. Alle hielten jetzt einen neuen Krieg für unvermeidlich. Die europäischen Mächte erklärten am 13. März, „dass Napoleon Bonaparte [1769-1821] sich selbst außerhalb aller bürgerlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse versetzt und sich als Feind und Störer der Ruhe der Welt der öffentlichen Strafe preisgegeben habe". Ohne Säumen trafen die Fürsten darauf die Anstalten, einen neuen gewaltigen Krieg gegen den Ruhestörer Europas zu führen. Vergeblich waren dessen Friedensversicherungen, vergeblich seine diplomatischen Ränke. Unter damaligen Umständen war wirklich die Herrschaft Napoleons in Frankreich eine Bedrohung des Friedens in Europa, vor Allem eine Bedrohung der deutschen Selbstständigkeit. Es war freilich zu jener Zeit schon viel getan, um den herrlichen Geist, der die Schlachten des Freiheitskrieges schlug, zu vernichten; mit Misstrauen und armseligem Feilschen um die Rechte, die dem deutschen Volke zuzugestehen seien, war dessen Freiheitstat bereits belohnt; aber trotzdem erhob es sich auf den Ruf der Fürsten von Neuem, um die Gefahr einer Unterdrückung vom Vaterlande abzuwehren. Ehe Napoleon seine gewaltigen Rüstungen beenden konnte, standen ihm die Deutschen schon kampfbereit gegenüber.

*) Wir dürfen wohl unsern Lesern eine neueste Probe englischer Schmähkraft in Erinnerung bringen. Ein „Schleswig-Holstein-Lied" des englischen Kladderadatsch „Punch", welches vor einigen Wochen durch unsere Tagesblätter lief, schloss mit den Versen:


        Lumpen! ruft euch England zu,
        Lasst den Kleinen nur in Ruh,
        Bindet doch mit Großen an —
        Schleswig Holstein woll'n wir ha'n.
        Noble Bande! Könnt ihr stehn,
        Könnt ihr auch zum Kampfe geh.
        Brüllet, wird's auch wackelisch,
        Schleswig Holstein untem Tisch.


Bald aber zogen auch andere ungeheure Heeresmassen den Grenzen Frankreichs zu. Die Russen, welche die Heimat noch nicht einmal erreicht, kehrten schleunigst um, das unterbrochene Werk von Neuem aufzunehmen. Alle Länder Europas, die Türkei allein ausgenommen, versprachen, je nach ihren Kräften, zahlreiche Heere zu senden. Menschengetöse erscholl überall. Und wirklich setzten sich bald über eine halbe Million Krieger aller Zungen gegen das Reich Napoleons in Bewegung.

Abgesehen von den Truppen in Italien, sammelten sich vier gewaltige Heere der Verbündeten. Südlich, den linken Flügel bildend, stand der österreichische Fürst Schwarzenberg mit 230.000 Mann in Baden. Ihm sollte sich zur Rechten der Russe Barclay de Tolly [1761-1818] mit 150.000 Mann anschließen. Da aber dessen Schaaren bei Ausbruch des Krieges noch weit zurück waren, so standen freilich zwischen Schwarzenberg und den niederländischen Heeren vorerst nur kleinere Abteilungen. In den Niederlanden aber kamen zwei furchtbare Armeen unter den trefflichsten Führern zusammen.

Lord Wellington, der früher siegreich die Franzosen aus der pyrenäischen Halbinsel vertrieben, sammelte hier bald mit rastloser Energie ein verbündetes Heer von mehr denn 100.000 Mann, Alle vom feurigsten Kriegsmut beseelt. Fast die Hälfte von ihnen bestand aus Deutschen, die teils als englische Söldlinge, teils auch wegen naher Verbindung deutscher Länder und Fürstenhäuser mit dem Inselreich, unter die Fahnen des ruhmreichen Herzogs gestellt waren. Auch das hat uns zum Schaden gereicht. Die Lorbeeren dieser deutschen Truppen pflegen die Engländer für sich in Anspruch zu nehmen, und Arthur Wellesley, 1. Duke of Wellington [1769-1852] vermehrte durch sie seine Erfolge, das schwerste Gewicht für die bourbonische Politik seiner Regierung. Der „Eisenherzog" berechnete mit diplomatischer Feinheit auch solche Elemente, die zum Zwecke führten, während es dem alten Feldmarschall Blücher, der mit jugendlicher Kraft und altbewährtem Eifer den Kern der deutschen Macht heranführte, nur um die Sache zu tun war, ohne alle Nebenrücksichten, Blüchers Armee, etwa 11.000 Mann stark, war in vier verschiedene Korps unter der Führung Hans Ernst Karl Graf von Zieten [1770-1848], Otto von Pirch [1765-1824], Johann Adolf von Thielmann [1765-1824] und dem trefflichen Friedrich Wilhelm Bülow von Dennewitz [1755-1816] verteilt.

Auch diese Truppen erfüllte der beste Geist, der nur gewünscht werden konnte. Willig ertrugen sie den durch die üble finanzielle Lage des Staates nicht selten herbeigeführten Mangel, gern taten sie, was nur immer in ihren Kräften stand, die unvollständige Kriegsbereitschaft zu bessern und zu erhöhen. Auch war die junge wie die alle Mannschaft dieser wackeren Preußen erfüllt von unbedingtem Zutrauen zu dem erprobten Marschall Vorwärts und zu dessen feurigem Gesellen, dem General von Gneisenau, der, wie in dem früheren Kriege, dem alten Blücher als aufrichtiger Freund und treuer Ratgeber an der Spitze des Generalstabes zur Seile stand.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nicht Waterloo, sondern Belle Alliance.
Angriff der Royal Scots Greys in der Schlacht bei Waterloo 1815 (Ausschnitt 1)

Angriff der Royal Scots Greys in der Schlacht bei Waterloo 1815 (Ausschnitt 1)

August Graf Neidhardt von Gneisenau (1760-1831) preußischer General und Heeresreformer

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August Ludwig Graf von Nostitz (1777-1866) preußischer General

August Ludwig Graf von Nostitz (1777-1866) preußischer General

Barclay de Tolly (1761-1818) russischer General

Barclay de Tolly (1761-1818) russischer General

Der entscheidende Moment im Siege von Belle Alliance__

Der entscheidende Moment im Siege von Belle Alliance__

Der entscheidende Moment im Siege von Belle Alliance

Der entscheidende Moment im Siege von Belle Alliance

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 4

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 4

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 2

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 2

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 3

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 3

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 1

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 1

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