Vierte Fortsetzung

Blücher vollzog mit den Korps von Zieten und Pirch ungehindert seinen Nachtmarsch nach Wawre. Der alte Herr selbst hatte sehr stark durch den Fall gelitten. Nur mit den größten Schmerzen konnte er sich auf dem Pferde halten, und verlangte oft, was aber, der Nähe der Feinde wegen, nicht anging, nur auf kurze Zeit heruntergehoben zu werden, um sich einigermaßen auszuruhen. Spät Abends fand ihn jedoch Gneisenau bereits in einem kleinen Dorfe auf einem Strohlager, in gewohnter Seelenruhe sein Pfeifchen schmauchend. Er war ungebrochenen Mutes. Und ebenso war, trotz der verlorenen Schlacht, trotz des im starken Regen und mit leerem Magen ausgeführten Nachtmarsches, die ganze preußische Armee am folgenden Tage wieder von dem besten kriegerischen Geiste beseelt, bereit von neuem zu kämpfen. Gegen Abend am 7. Juni standen die Korps von Zieten, Pirch und Thielmann, der selbstständig seinen Marsch ungehindert ausgeführt, bei Wawre vereinigt, und Bülow nicht weit mehr entfernt. Nur den großen Anstrengungen der Befehlshaber ist die so bald wieder hergestellte Schlagfertigkeit der geschlagenen Armee zu danken.

Anders verhielt sich Napoleon, der nicht mehr der Mann jener energischen Tatkraft früherer Jahre zu sein schien.


Der Kaiser ging von der Voraussetzung aus, die ganze feindliche Armee sei flüchtig gegen Deutschland zu auf Namur zurückgeeilt. Daher sandte er nach dieser Seite hin in der kommenden Morgenstunde 6.000 Mann unter dem Befehl des General Pajol, und als dieser hier bald eine preußische Batterie antraf und ohne Widerstand nahm, bestärkte das den Kaiser in seiner Täuschung. Allerdings wurde später gemeldet, ein Teil der Preußen habe sich auf Gembloux zurückgezogen. Aber Napoleon war so sicher in seiner Voraussetzung, das preußische Heer habe sich aufgelöst und sei vernichtet nach Namur geflüchtet, dass er nun sogar jene 6.000 Mann noch teilte und den General Berton mit sehr geringer Mannschaft der neuangegebenen Richtung folgen ließ. Dem Marschall Ney aber wurden Befehle gegeben, aus denen ebenfalls ersichtlich ist, dass Napoleon die Wichtigkeit des 17. Juni nicht erkannte. Er blieb untätig.

Gegen Mittag ließ der Kaiser einige Truppen nach Quatrebras abmarschieren. Zu seinem Erstaunen musste er bald hören, dass dort Wellington noch immer halte, denn er glaubte, nach der vorausgesetzten Flucht der Preußen gegen Namur würden sich die Engländer auch zurückziehen. Jetzt wandte er sich mit einem Teil seines Heeres ganz gegen Wellington, den andern, etwa 33.000 Mann, stellte er unter die Befehle des Marschalls Grouchy, dem er auftrug, die Preußen hart zu verfolgen, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Und doch hatte Blücher schon zehn Stunden Vorsprung! Bald nachher meldete dann Berton, er habe bei Gembloux ein vollständig schlagfertiges Armeekorps — Thielmann — gefunden. Jetzt erst, Nachmittags, erwachte bei Napoleon der Gedanke, dass die Preußen vielleicht noch weitere Pläne verfolgen könnten. Er wies nun Grouchy an, seine sämtlichen Truppen bei Gembloux zu vereinen und die Pläne des Feindes zu erkunden. Erst Abends, nachdem die Preußen längst verschwunden, traf der Marschall in Gembloux ein. Pajol aber irrte natürlich den ganzen Tag umher, ohne Feinde zu sehen.

Am Morgen um acht Uhr nach der Schlacht bei Ligny traf ein Bericht Blüchers bei Wellington ein. Der Offizier musste zugleich fragen, ob das britische Heer bereit sei, Napoleon anzugreifen, wenn das preußische zu ihm stoße. Wellington antwortete, er werde sich jetzt in die feste Stellung bei Mont-St.-Jean, mit dem Hauptquartier Waterloo, zurückziehen und hier, falls ihm Blücher auch nur mit zwei Heeresteilen, 25.000 Mann, zu Hilfe kommen wolle, am folgenden Tage die Schlacht annehmen. Um zehn Uhr begann der Abmarsch des britischen Heeres. Gegen Abend war die ausersehene Stellung bei Waterloo besetzt. Ney, dem sich Napoleon mit seiner mächtigen Reserve anschloss, folgte ebendahin. Um sieben Uhr Abends beobachtete Napoleon schon von dem Pachthof La Belle Alliance aus durch den dicht fallenden Regen die auf den flachen Anhöhen von Waterloo gegenüberstehenden Schaaren Wellingtons. Dieser sandte Nachts an Blücher die Nachricht von seiner glücklichen Ankunft in der vorbezeichneten Stellung, „wo er den Angriff des Feindes erwarte und dazu um preußische Mitwirkung ersuche." Blücher sagte sein Kommen zu und erteilte noch in der Nacht die erforderlichen Befehle. Am 18. Juni Morgens neun Uhr, kaum sechsunddreißig Stunden nach seiner Niederlage, ließ dann der heldenmütige Greis in das englische Hauptquartier schreiben: „Sagen Sie dem Herzog von Wellington, dass, so krank ich auch bin, ich mich dennoch an die Spitze meiner Truppen stellen werde, um den rechten Flügel des Feindes sogleich anzugreifen, wenn Napoleon etwas gegen den Herzog unternimmt; sollte der heutige Tag aber ohne einen feindlichen Angriff hingehen, so ist es meine Meinung, dass wir morgen vereint die französische Armee angreifen."

Gneisenau traf frühzeitig die Anordnungen, um die Truppen auf dem kürzesten Wege in den Rücken des Feindes zu führen. Erst später wurde, auf ausdrücklichen Wunsch von Wellington, bestimmt, dass ein Korps gesondert von den übrigen sich direkt mit der englischen Armee vereinigen sollte.

Bei Tagesanbruch setzte sich am 18. Juni zunächst Bülow mit seinem Armeecorps in Bewegung. Bald folgte ihm, über St. Lambert, Pirch, während Zieten gleichzeitig den Weg über Fromont und Ohain einschlug, um sich links an Wellington anzuschließen. Gegen Mittag traf Bülow in der Nähe des Schlachtfeldes ein, wo der Kampf bereits heiß entbrannt war.

Wellington hatte für erforderlich gehalten, zur Deckung seiner rechten Flanke 19.000 Mann zu detaschieren. Er konnte daher nur über 24.000 Briten, 30.000 Deutsche und 13.000 Niederländer, zusammen etwa 67.000 Mann, und 150 Geschütze verfügen, die er auf den sanft ansteigenden Höhen vor Waterloo aufstellte. Vor der Fronte wurden das Schloss Houyomont, und die Pachthöfe La-Haye-Sainte, Smouhen, La-Haye und Papelotte besetzt. Des Herzogs Plan war, sich bis zur Ankunft Blüchers nur gegen Napoleon zu verteidigen.

Napoleons Heer war dem gegnerischen an Zahl etwa gleich; an Artillerie und Reiterei überlegen. Er formierte daraus eine einfache Schlachtordnung, die der englischen fast parallel lief. Des Kaisers Plan war, die Mitte der feindlichen Armee zu durchbrechen und sich so schnell als möglich des Dorfes Mont-St.-Jean im Rücken derselben zu bemächtigen. Gegen einen Anmarsch der Preußen in die rechte Flanke wurden dabei gar keine Vorbereitungen getroffen, weil eben Napoleon sich nicht dachte, dass Blücher ihm kampfbereit so nahe sei.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nicht Waterloo, sondern Belle Alliance.