Erste Fortsetzung
Betrachten wir den Aufbau der Altels etwas näher, so fällt uns sogleich die Neigung der Gesteinsschichten gegen Nordwesten auf. Mit ungefähr 30 Grad „fallen“ die Kalkbänke gegen das Kandertal ein. Dieses ist derart in das Gebirge eingeschnitten, dass die Schichten an dem einen Hang sich talwärts senken, durch das andere, gegenüberliegende Gehänge jedoch durchkreuzt und quer abgestutzt werden. Fortgesetzt sind in historischer und prähistorischer Zeit Schichten auf der geneigten Unterlage ausgeglitten (S. 75) und ließen an den östlichen Flanken des Schwarzbachtales schimmernde Schichtflächen zurück. Dadurch erhielten die Berge ihre so charakteristische Gestalt, jene Pyramiden, die in jähen Wänden nach zwei Seiten ab. brechen und sich nach der dritten mit ebener Fläche — einer Schichtfläche — senken. Auf solcher Schichtfläche können sich Schneemassen sammeln, während die Abbrüche auf allen anderen Seiten keinen Raum dafür gewähren. So konnte auch auf der Altels, die mit 3.636 m Höhe in die Schneeregion hineinragt, ein Firnfeld, ein Gipfelgletscher entstehen. Für das Zustandekommen der Katastrophe war es von großer Bedeutung, dass der Gletscherboden eine glatte Schichtfläche war, dass das Eis, wie man sagt, „konkordant“ auf den Schichten ruhte, mit diesen steil gegen das Tal geneigt. Gleich am unteren Rande des Eisfeldes (auf unserer Abbildung links von der weiter ins Tal herabhängenden Gletscherzunge) wird das Gehänge steiler. In Wandstufen brechen hier die Schichten ab, tiefer liegende Schichtflächen leiten in glatter Flucht zu Tal. Regelmäßig fielen hier kleine Schnee- und Eislawinen herab, wenn sich die Stirne des Eisrandes den obersten Wandabbrüchen näherte. Sie aber waren ganz unbedeutend gegen die Masse, die im September 1895 losbrach. Die Abrissstelle greift in großem Bogen wie eine Bresche in das Firnfeld und deutet durch ihren Verlauf die Richtung größten Zuges an. Bei jeder Zerreißung findet nämlich die Abtrennung schließlich entlang von Linien oder Flächen statt, die im allgemeinen senkrecht auf der Richtung der Zerrung stehen. An jedem Gletscher erkennen wir in der gekrümmten „Randkluft“ eine solche Zerreißungslinie! Auch die Bogenform des Abrisses an der Altels ist nicht zufällig, sondern folgt dem genannten Gesetz. Die senkrechten Eiswände, die durch den Abbruch entstanden waren, umsäumten den nackten Felsboden, der in glatten, unersteiglichen Platten zur Tiefe leitet. Eine Berechnung ergab, dass die fehlenden Eismassen wohl an vier und eine halbe Million Kubikmeter Inhalt besaßen. Diese schier ungeheure Lawine ist abgestürzt! Zunächst ging die Talfahrt über die geneigten Schichtflächen: wohl anfangs ein langsames Gleiten, das in dem Moment begann, als die Abtrennung vollzogen war, als der Zusammenhang mit den zurückbleibenden Firn. und Gletscherteilen durch eine Kluft gelöst war. Bald aber treten Wandstufen in den Weg, durch die der Sturz beschleunigt wurde, durch die das Eis in kleine Teile aufgelöst wurde. Besonders auf den „Tatelen“, jener Terrasse, die in der Mitte unseres Bildes die rasenbestandenen Steilhänge nach oben durch flache Böschungen ersetzt, war das Ausschlagen der Eiskaskaden so vehement, dass ein Zerspritzen in Eispulver, eine Zerkleinerung aller großen Eisklumpen erfolgte. Von hier schoss die Lawine in freiem Sturze hinab. Gewaltig wurde unter ihr die Luft zusammengepresst, legte sich doch der Eisstrahl wie ein breites Dach mit riesiger Wucht auf sie und presste sie nach den Seiten hinaus. Der Windschlag, die Eisstaubwolke, die noch weithin verschleppt wurde, sind nicht durch das bloße Abgehen der Lawine entstanden, sondern erst durch das Ausschlagen und Auseinanderstieben der geschlossenen Masse. Wie eine Sturmflut brach die Lawine zu Tal, überquerte es, brandete noch volle 300 m an der Gelliwand, dem gegenüberliegenden Hang, empor. Diese Brandungswelle vermochte sich nicht an der steilen Lehne zu halten; wie eine zweite Lawine kam sie vom Gellihorn herab, hinter sich die breite, mit Eis und Schmutz überzogene Wand lassend.
Gleichmäßig dick breitete sich der Fächer der Eislawine im Tale aus, Menschen und Viehherden begrabend. „Überall die gleiche einförmige Trostlosigkeit, wirkungsvoll, ohne großartig zu sein; ein Konglomerat, schmutzig und kotig, nur hier und da lässt es den Firn durchblicken; das ist das Leichentuch, unter welchem das ganze Tal begraben liegt. . . . Die bewusstlosen Naturkräfte haben da roh drauflosgearbeitet. . .“ (J. Beck.)
Ein Durchwandern der verwüsteten Fläche ließ, sobald sich das Auge an den traurigen Anblick gewöhnt hatte, erkennen, dass der scharf umgrenzte Lawinenkegel noch umsäumt war von einer Zone, in der der Windschlag zu intensivster Entfaltung gekommen ist. Sie wurde „Spritzzone“ genannt; auf ihr bedeckten Eisgerölle nur noch in Fetzen den Boden. Hier war vielmehr alles, Boden und Bäume, mit einer Kruste von Eisstaub überdeckt, und zwar stets an der Seite, die den Wänden unter den Tatelen zugekehrt ist. Alles deutet darauf hin, dass ein scharfer Wind, mit Eisstaub und gröberen Stücken beladen, dicht am Boden hinfuhr, alles vor sich niederreißend und weit verschleppend (schwere Hüttenbalken sind mehrere hundert Meter verweht worden; einzelne Stücke Vieh sind bis auf die Gelliwand, 400 m über dem Talboden, getragen worden!). Und ferner lässt sich erkennen, dass diese Sturmwelle an einem Punkt ihren Ursprung nahm: die Richtung der niedergeworfenen Bäume, die Verletzungen des Bodens, die Anhäufung von Eisstaubwällen an Unebenheiten weisen alle nach den Tatelen. Nun erinnern wir uns, dass die Lawine hier in mächtiger Breite in freiem Sturz über das Tal kam, die Luft mit pfeifender Gewalt unter sich herauspresste. — Das Bild zeigt die übereinstimmende Richtung der niedergeworfenen Bäume, zeigt die Entästung und lässt auch erkennen, dass im Windschatten, hinter schützenden Rücken die Bäume unversehrt stehengeblieben sind (Tafel 30).
Schon im Jahre 1782 war an der Altels ein ähnliches Ereignis eingetreten, das in den Chroniken vermerkt wurde. Gleiche Ursachen lassen auf gleiche Wirkungen schließen; und in der Tat ist durch einen genauen Vergleich beider Katastrophen die Ursache für das Abgehen der Gletschermasse gefunden worden. Auf der stark geneigten Unterlage könnte sich der Gletscher niemals halten, wäre er nicht festgefroren. Dieser Gletscher ist ja von anderer Art als die Eisströme in den Tälern: als Hängegletscher liegt er frei auf der Flanke eines Berges! Ein Vorrücken des Eises infolge schneereicher Jahre kann uns keine Erklärung liefern: die Gletscher sind im Schwinden begriffen, nicht im Anwachsen! Dann war auch das Jahr 1895, wie alle vorhergehenden, ungemein trocken und heiß. Hierin finden wir die Lösung des Rätsels. Eine freiragende Pyramide wie die Altels kann eine tiefgehende Erwärmung erfahren, wenn die Sommer heiß und trocken sind. Diese Erwärmung kann so weit gehen, dass auch der Untergrund des Eises, der um 0 Grad Celsius schwankt, über den Gefrierpunkt erwärmt wird, und sei es nur um einen halben Grad! Dies ist eingetreten. Allmählich trat ein Losschmelzen des Gletschers von seiner Unterlage ein, das Eis der höheren Partien konnte den Zug der an ihnen hängenden, nur durch sie gehaltenen Massen nicht länger aushalten; Klüfte rissen auf, die Lawine begann die Talfahrt.
Solche Katastrophen sind zwar nicht einzig dastehend, aber doch sehr selten. Daraus geht hervor, dass sie über das betroffene Tal, über den Menschen zwar schweres Elend bringen können, dass ihre Bedeutung für die Natur jedoch gering ist, jedenfalls geringer als die irgendeines unscheinbaren, aber rastlos tätigen Abtragungsvorganges. Es ist nicht einmal leicht, ein zweites Beispiel an das beschriebene anzureihen. Die Eismure von St. Gervais (Mont-Blanc-Gebiet), die 1892 niederging, könnte hier noch genannt werden. Im Gletscher hatte sich ein See gebildet (aus Schmelzwasser), der schließlich die ihn haltenden Eiswände eindrückte. Eis, Schutt, Wasser kamen herab, erfüllten das Tal von Bionnessay und rafften des Nachts ihre Opfer dahin.
Gleichmäßig dick breitete sich der Fächer der Eislawine im Tale aus, Menschen und Viehherden begrabend. „Überall die gleiche einförmige Trostlosigkeit, wirkungsvoll, ohne großartig zu sein; ein Konglomerat, schmutzig und kotig, nur hier und da lässt es den Firn durchblicken; das ist das Leichentuch, unter welchem das ganze Tal begraben liegt. . . . Die bewusstlosen Naturkräfte haben da roh drauflosgearbeitet. . .“ (J. Beck.)
Ein Durchwandern der verwüsteten Fläche ließ, sobald sich das Auge an den traurigen Anblick gewöhnt hatte, erkennen, dass der scharf umgrenzte Lawinenkegel noch umsäumt war von einer Zone, in der der Windschlag zu intensivster Entfaltung gekommen ist. Sie wurde „Spritzzone“ genannt; auf ihr bedeckten Eisgerölle nur noch in Fetzen den Boden. Hier war vielmehr alles, Boden und Bäume, mit einer Kruste von Eisstaub überdeckt, und zwar stets an der Seite, die den Wänden unter den Tatelen zugekehrt ist. Alles deutet darauf hin, dass ein scharfer Wind, mit Eisstaub und gröberen Stücken beladen, dicht am Boden hinfuhr, alles vor sich niederreißend und weit verschleppend (schwere Hüttenbalken sind mehrere hundert Meter verweht worden; einzelne Stücke Vieh sind bis auf die Gelliwand, 400 m über dem Talboden, getragen worden!). Und ferner lässt sich erkennen, dass diese Sturmwelle an einem Punkt ihren Ursprung nahm: die Richtung der niedergeworfenen Bäume, die Verletzungen des Bodens, die Anhäufung von Eisstaubwällen an Unebenheiten weisen alle nach den Tatelen. Nun erinnern wir uns, dass die Lawine hier in mächtiger Breite in freiem Sturz über das Tal kam, die Luft mit pfeifender Gewalt unter sich herauspresste. — Das Bild zeigt die übereinstimmende Richtung der niedergeworfenen Bäume, zeigt die Entästung und lässt auch erkennen, dass im Windschatten, hinter schützenden Rücken die Bäume unversehrt stehengeblieben sind (Tafel 30).
Schon im Jahre 1782 war an der Altels ein ähnliches Ereignis eingetreten, das in den Chroniken vermerkt wurde. Gleiche Ursachen lassen auf gleiche Wirkungen schließen; und in der Tat ist durch einen genauen Vergleich beider Katastrophen die Ursache für das Abgehen der Gletschermasse gefunden worden. Auf der stark geneigten Unterlage könnte sich der Gletscher niemals halten, wäre er nicht festgefroren. Dieser Gletscher ist ja von anderer Art als die Eisströme in den Tälern: als Hängegletscher liegt er frei auf der Flanke eines Berges! Ein Vorrücken des Eises infolge schneereicher Jahre kann uns keine Erklärung liefern: die Gletscher sind im Schwinden begriffen, nicht im Anwachsen! Dann war auch das Jahr 1895, wie alle vorhergehenden, ungemein trocken und heiß. Hierin finden wir die Lösung des Rätsels. Eine freiragende Pyramide wie die Altels kann eine tiefgehende Erwärmung erfahren, wenn die Sommer heiß und trocken sind. Diese Erwärmung kann so weit gehen, dass auch der Untergrund des Eises, der um 0 Grad Celsius schwankt, über den Gefrierpunkt erwärmt wird, und sei es nur um einen halben Grad! Dies ist eingetreten. Allmählich trat ein Losschmelzen des Gletschers von seiner Unterlage ein, das Eis der höheren Partien konnte den Zug der an ihnen hängenden, nur durch sie gehaltenen Massen nicht länger aushalten; Klüfte rissen auf, die Lawine begann die Talfahrt.
Solche Katastrophen sind zwar nicht einzig dastehend, aber doch sehr selten. Daraus geht hervor, dass sie über das betroffene Tal, über den Menschen zwar schweres Elend bringen können, dass ihre Bedeutung für die Natur jedoch gering ist, jedenfalls geringer als die irgendeines unscheinbaren, aber rastlos tätigen Abtragungsvorganges. Es ist nicht einmal leicht, ein zweites Beispiel an das beschriebene anzureihen. Die Eismure von St. Gervais (Mont-Blanc-Gebiet), die 1892 niederging, könnte hier noch genannt werden. Im Gletscher hatte sich ein See gebildet (aus Schmelzwasser), der schließlich die ihn haltenden Eiswände eindrückte. Eis, Schutt, Wasser kamen herab, erfüllten das Tal von Bionnessay und rafften des Nachts ihre Opfer dahin.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Naturgewalten im Hochgebirge
Naturgewalten im Hochgebirge Tafel 030 Durch die Altelslawine umgeworfener Wald, Windschlag
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