II. Historische Resultate.

Ohne uns mit den oben angeführten Mährchen und Phantasien weiter zu befassen, müssen wir nun zu jenen ursprünglichen bereits abgehörten Zeugen zurückkehren, und aus ihren Ansichten die reine und unumstößliche Wahrheit abzuleiten trachten.

1. Vor allem ist es offenbar und über jeden Zweifel erhaben, dass Julin und Wolin nur zwei Namen einer und derselben Stadt, des bekannten Wolin auf der gleichnamigen Insel sind. Die Beweise dessen liefern zuerst die Lebensbeschreiber des Bischofs Otto von Bamberg, von denen einige den gen. Bischof auf seinen Reisen nach Pommern im Jahre 1124 und 1128 begleiteten und welche die von ihm bekehrte Stadt überall Julin nennen, obgleich dieselbe in der Stiftungsbulle des dortigen Bistums von Papst Inocenz 1140 Wolin, in der Chronik des Abtes von Ursberg (1230), wo auch von Otto die Rede ist, Wulin genannt wird. Weitere Beweise geben die Urkunden von 1168, 1175 und 1185, in denen ein und derselbe Burggraf Wenzeslaw ein Mal als „Castellanus Juliensis“ und zwei Mal als „Castellanus de Wolyn“ namentlich aufgeführt wird; endlich Kadlubek (um 1220), bei dem man liest: „Julin, quae nunc Velin nuncapatur“ (so heißt es nach den Handschriften, die gedruckten Ausgaben haben verderbt Lublin); dasselbe wiederholte nach ihm Boguchwal (1250): „Julin quod nunc Welin dicitur), Wolin, Welin, Wulin sind slawische Dialektsformen, ganz regelmäßig gebildet, durch Umlautung des ö in e und u (vgl. Welynjane bei Nestor anstatt Wolynjane, das polnische Wielun und die Namen der poln. Dörfer Wólka lies Wulka; auch Wuloini statt Woliner bei Witikind, Burislaf anstatt Borislaw in den skandinavischen Sagen u. s. w.) Julin ist die deutsche Aussprache, welche nach Thunmann und Barthhold ursprünglich von den Dänen, welche das W am Anfange in J verwandeln, herkommen soll (dass die Deutschen wirklich Julin sprachen, sieht man aus der Zusammenstellung dieses Namens mit Julius Cäsar bei Herbord und den übrigen Biographen des heil. Otto).


2. Da wir so an der Indentität von Julin und Wolin nicht zweifeln, behaupten wir, dass auch ebensowenig Jumin oder Jumne bei Adam von Bremen und seinen Nachschreibern von Wolin verschieden sein könne. Der erste und Hauptbeweis davon ist uns der Ausspruch des Sweno Aggeson, eines Augenzeugen, welcher ausdrücklich sagt, dass die 1172 von Waldemar zerstörte Stadt Wolin dieselbe war, welche (eigentlich nur die Burg bei derselben) der König Harald nach der Unterwerfung der Slawen gegründet und mit Dänen besetzt habe (s. oben Nr. 7.) Sweno Aggeson, der 1186 bis 1187 sein Werk über die Geschichte der dänischen Könige abfasste, war 1172 mit dem Bischof Absalon bei der Plünderung und Niederbrennung der Stadt (Mönia . . . solo conspexi acqtiari) und später 1185 bei der Demütigung des Fürsten Bogislaw in der Nähe derselben Stadt gegenwärtig; Absalon’s Großvater Skialm war Oberanführer des dänischen Kriegszuges gegen Julin (nach Saxo) oder Jomsburg (nach den skandinavischen Sagen) um das Jahr 1195 bis 1198; in der Familie Absalons hatten sich die ergiebigsten und glaubwürdigsten Nachrichten über die Kämpfe der Dänen mit den Pommern erhalten und dieselben hatten dem Sweno und dem Saxo zur Grundlage ihrer Berichte über die Ereignisse dieser Zeit gedient; bei dem Kriegszuge von 1172 gegen Wolin und die Pommern waren im Gefolge des Königs Waldemar und mit dem Bischöfe Absalon und mit dem Sweno Aggeson ganz gewiss auch manche Nachkommen der Besieger der Pommern von 1095 und 1116 — 1119 als Anführer und im Kriegsrate anwesend, welche die früheren Ereignisse und die Lage der verschiedenen Orte vollkommen kannten: hätten nun wohl dem Bischof Absalon und Sweno Aggeson zuwider der Wahrheit und dem allgemeinen Dafürhalten des ganzen Volkes, Wolin für das alte Jomsburg, das anderwärts auch Jumin oder Jumine heisst, ausgeben können, wenn dieses Jomsburg erst 1116 — 1119 untergegangen wäre, wie die neueren Ausleger behaupten? Und dennoch scheuen sich Giesebrecht und seine Anhänger nicht, ohne auch nur den geringsten Beweis, den Erzbischof Absalon des Leichtsinns und des Betrugs zu beschuldigen, als hätte er verblendet durch seine Ehrsucht absichtlich Jomsburg mit Wolin vermischt, um sich vor den Dänen und der ganzen Welt dann rühmen zu können, dass er erst die Jomsvikinger vollständig vernichtet habe. Nein keineswegs: Absalons und Swenos Überzeugung von der Identität des alten Jomsburg und des späteren Wolin stimmte mit der Überzeugung der übrigen der Sache kundigen Dänen vollständig überein und war gleichsam volkstümlich. Dass Saxo Jumne oder Jumin von Julin oder Wolin nicht unterschied, haben wir schon oben Nr. 8. gesehen; denn wo Adam von Bremen bei der Nachricht von der Flucht und dem Tode Haralds die Stadt Jumne nennt, dort setzt Saxo Julin, und es wäre Mutwille, ihm hier eine Verwechselung der Namen und Städte zuzumuten, wo er klarer sah als wir. Diese zwei Hauptzeugnisse von der Identität Jomsburgs und Wolins bestätigen auch alle übrigen bekannten historischen Denkmäler und Nebenumstände (selbst der, dass die Abschreiber Adams die Namen Jumin und Julin als Synonyma gebrauchten und das Letztere statt des Ersteren in den Text einführten). Woher der Name Jóm, ausgesprochen Joum, Jum (Jumensis provincia bei Saxo), Jumin, Jumne entstanden, lässt sich mit Gewissheit nicht behaupten; doch scheint es nicht ganz ungegründet, die Form Jumin, verkürzt Jum, Jóm von Julin und dieses wieder von Wulin oder Wolin abzuleiten.

3. Wenn die Stadt Jumin von Julin, das ist Wolin, nicht verschieden ist, so kann es eben so wenig der Name Wineta sein, wir mögen nun denselben für verderbt durch Irrtum und oberflächliches Ansehen entstanden, oder für ächt und wahr halten. Helmold nämlich nennt dieselbe große Handelsstadt Wineta, die bei Adam von Bremen Jumin oder Jumne heißt, wie aus der neben einander gestellten Beschreibung beider klar hervorgeht. Über den Namen hat man allerdings gerechte Zweifel, denn in den Manuscripten und den verschiedenen Ausgaben herrscht eine nicht geringe Verschiedenheit in demselben, und es ist gar nicht unmöglich, dass er durch fehlerhaftes Abschreiben aus Jumne entstanden ist. Trotz dem bleibe ich, wenn ich alles überdenke, bei der Meinung, dass der Name ächt ist, und zwar aus folgenden Gründen:

1. Tritt in allen Formen dieses Namens in den Handschriften die Endung ta auf, die aus dem Worte Jumne nicht entstehen konnte.

2. Haben schon sehr alte Schriftsteller, die aus Helmold excerpirten, den Namen so gelesen und ihn größtenteils auf die Wenden gedeutet; z. B. Kirchberg (1378): „Von der stad Wynnetha nennet man sy Winthi“ (gerade umgekehrt!); der anonyme Chronist von Susel (um 1416) hat lunneta jedenfalls irrtümlich, allein offenbar anstatt uinneta (ui und lu am Anfange wird in alten Handschriften häufig verwechselt, da das i ohne Punkt und alle Buchstaben klein geschrieben werden); Kranz sagt: „dixere Winetam ab gente Winitorum“; auch der Lübecker Anonymus in dem oben angeführten Verzeichnis der Ratsmänner. 3. War der Name Wineta in Deutschland auch von anderen slawischen Niederlassungen wirklich im Gebrauch, z. B. „Groninche quod dicitur Wenethen“ in einer alten Chronik zum Jahre 936; Winethahusum, Wendenheimat, von 937, 1022, 1062; Winethe Urkunden von 1022, 1064; Wimetheburch (Winnetheburch) 1179, was mit dem slawischen Namen Slowensk (einer uralten Stadt an der Berezina im Gouv. Wilno), dem Namen Njemcy in Schlesien u. s. w., sowie auch vielen in anderen Sprachen, wie z. B. Madzary im Vorderkaukasus an der Kuma u. s. w. hinsichtlich der Bildung und dem Sinne ganz analog ist. Dass bisweilen ein und derselbe Ort nicht nur bei verschiedenen Volksstämmen, was außerordentlich gewöhnlich ist, sondern auch bei den verschiedenen Zweigen eines und desselben Volksstammes verschiedene Namen habe, davon haben wir ein ganznahes Beispiel an dem Namen Stargardt in Wagrien zum Beweis, welcher Ort bei den Sachsen Oldenburg, bei den Dänen Brannesia hieß. Möglich, dass vielleicht der Name Wineta nur bei einem und dem andern Zweige des deutschen Volksstammes unter dem Volke gang und gäbe war, und dass er erst dann entstand, als sich das Mährchen von der Zerstörung einer großen slawischen Stadt am Ausflusse der Oder (die eigentlich nur eine Plünderung war) weiter auszubreiten anfing. So wie nun Wineta ein provinzieller, so scheinen Hynnisburg, d. i. hunnische oder slawische Burg, und Walzburg, d. i. die Burg der Weleten oder Weltzen, mehr dichterische Namen des einst weitberühmten Wolin zu sein, wie jenes bei Sweno, dieses in der Wilkinasaga vorkommt. — Den Einwurf, dass Helmold von einer 1160 schon zerstörten altgewesenen Stadt spricht, da doch Wolin damals noch blühte, werden wir weiter unten noch wiederlegen.

4. Die Aussprüche der alten Zeugen über die Identität der Städte Jumin, Julin und Jomsburg, wie man sie in ihrem wahren Sinne nehmen muss, erhalten ihre vollständige Bestätigung darin, was wir über das Altertum, die Griöße, den lange blühenden Handel und die Macht der Stadt Wolin von anderwärts und zwar aus ganz glaubwürdigen Quellen wissen. Dass Wolin schon im 10. Jahrh. in bedeutender Blüte stand und weit und breit berühmt war, davon finden wir den ersten und Hauptbeweis in der Menge alter arabischer Münzen und anderer Kostbarkeiten und Schmucksachen, welche seit dem 17. Jahrh. bis auf die Gegenwart dort und in der Umgegend dieser Stadt immer und immer wieder ausgegraben worden sind. Diese Münzen, die größtenteils aus dem 8., 9. und 10. Jahrhunderte, d. i. aus der Zeit der Abasiden als Kalifen von Bagdad und der Samaniden als Beherrscher von Samarkand herkommen und fast nirgends über die erste Hälfte des 11. Jahrh. hinausgehen (dies erklärt sich vollständig durch das Zerfallen des Kalifats, den Sturz der slaw. Handelsstädte an der Ostsee und das Einbrechen der Zwischen - Nationen der Kozaren und Bulgaren), sowie auch andere Kostbarkeiten und Schmucksachen von Metall werden in solcher Menge, Mannigfaltigkeit und Frische wie hier, nur in den ehedem berühmtesten und mächtigsten Handelsstädten des Nordens, wie in Nowgorod, Birka (?), Wisba, Danzig, Traunsee, Kolberg Schleswig und a. 0. gefunden.*) Ein zweiter nicht weniger wichtiger historischer Beweis des Altertums und der Mächtigkeit der Stadt Wolin liegt in dem Zeugnisse des den von ihm beschriebenen Ereignissen gleichzeitigen Historikers Witikind, oder Widukind (um 980), wonach der treulose deutsche Graf Wichmann, nachdem er aus seinem Vaterlande zuerst zu den Dänen, dann von dort zu den Wolinern sich geflüchtet, diese letzteren gegen den polnischen Fürsten Mecislaw zum Kampfe aufgehetzt, dann in demselben auf das Haupt geschlagen worden sei und so seinen Tod gefunden habe (967). Ein tieferes Eindringen in den Kern dieses Zeugnisses, in die Lage, die gegenseitigen Beziehungen und Verhältnisse der damaligen Völkerschaften muss jeden vorurteilsfreien Forscher in der Meinung bekräftigen, dass Witikinds Wuloini die Woliner waren und dass diese auch damals schon wie später noch oft als mächtige Republik an der Spitze der benachbarten Städte große Feindseligkeiten, ja selbst Kampfe und Kriege mit den östlichen, vorzüglich den polnischen Fürsten führten. Ein dritter Grund, der in Verbindung mit den zwei vorangehenden ein besonderes Gewicht erhält, ist die uralte einheimische Sage von der ehemaligen Größe und dem früheren Ruhme der Stadt, eine Sage, welche durch gar mancherlei massenhafte Überreste und Trümmer, die man noch im 16. Jahrhunderte um die heutige Stadt Wolin sehen konnte, tatsächlich bestätigt wird. In dieser Hinsicht ist das Zeugnis des Joh. Lubechius, Bürgermeisters von Treptau aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. aller Beachtung wert, und wollen wir es also wegen seiner Seltenheit fast vollständig unten mitteilen.**)

*) „Unter allen Handelsplätzen der baltischen Küsten am meisten gerühmt, ja sogar für die größte Stadt Europas gehalten, wird Julin auch Jumne, Jomsburg, und, wahrscheinlich nur auf einem Lesefehler heruhend, Vineta genannt, das heutige Wolin, und es muss als eine in der Tat sehr schätzbare Bestätigung dieser, wenn gleich etwas übertriebener Schilderungen von der Blüte und dem Umfange dieser Handelsstadt angesehen werden, dass nirgends häufiger als hier arabische Münzen und kostbare Schmucksachen aufgefunden worden sind.“ L. v. Ledebur. Über die in den baltischen Ländern in der Erde gefundenen Zeugnisse eines Handelsverkehrs mit dem Orient (Berlin 1840. 8.) S.55. Über die Funde von 1654, 1670, 1699, 1740, 1755, 1795, 1805, 1823 und 1824 ebendas. S. 55—57. Vgl. P. v. Pohlen über den wissensch.Wert und die Bedeutsamkeit der in den Ostseeländern vorkommenden arab. Münzen; in: Vierte Sammlung der histor. und lit. Abhandlungen der K. D. Cr. zu Königsberg. 1638. S. 3—56.

**) Dass das Andenken an die ehemalige Grosse, Macht und den Ruhm Ihrer Stadt in dem Andenken der Bürger von Wolin lange Zeit nicht erloschen und dass noch im Laufe des 16. Jahrh. viele Spuren der einstigen Ausbreitung derselben sichtbar waren, ersehen wir aus den Nachrichten des Joh. Lubechius, Bürgermeisters von Treptau, der um das Jahr 1564 als Augenzeuge Folgendes darüber niederschrieb: „Nonis Octobris, comitatus aliquot antiqaitatis stadiosis, viris venerabilibus, loci istius Pastoribus et Senatoribus, vetusta Julini, anno Christi 1170 auspiclis Panorum regis Waldemari, ...

5. Nachdem wir nun durch eine kritische Untersuchung der historischen Zeugnisse uns darüber hinlängliche Sicherheit verschafft haben, dass die Namen Julin, Jumin (oder Jum, Jóm, Jómsburg) und Wineta nur verschiedene Benennungen einer und derselben Stadt Wolin sind, die bereits im 10. Jahrh. durch Bevölkerungszahl, Handel und Reichtum alle übrigen Städte des slawischen Küstenlandes Pommern bedeutend überragte: so gedenken wir nicht, uns in die Untersuchung der vielen mit dieser Frage zusammenhängenden Einzelheiten einzulassen, noch mit der Widerlegung aller auf die nackte Möglichkeit basirten Zweifel und Einwürfe uns zu befassen. Wo die Wahrheit aus den historischen Quellen für den sorgsamen Richter genügend klar hervorgeht, dort ist das Herumzerren mit den Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten überflüssig, so viel versprechend und schmeichelnd sie auch der märchenhaften Phantasie sein mögen. Damit es aber nicht das Ansehen gewinne, als wollten wir die Widersprüche und Einwürfe absichtlich verschweigen und sie so umgehen, so wollen wir sie doch oberflächlich berühren. „Helmold (wirft man ein), der alte Zeuge, bezeugt die endliche und vollständige Vernichtung der Stadt Wineta.“ Deuten wir Helmold’s Zeugnis auf die Plünderung und Zerstörung der Stadt) die später wieder aufgebaut worden, so kann ein solches Zeugnis ganz gut angenommen werden; allein anders kann es durchaus nicht feststehen. Als Helmold das Zeugnis des Scholiasten des Adam über die Zerstörung Julin’s (1043) aus- und nachschrieb, so verdrehte er, weiß Gott durch welche erdichteteSage verführt, dasselbe in eine gänzliche Vernichtung. Dass Wineta 1043 nicht bis auf den Grund vernichtet war, das geht aus dem Berichte Adam’s’ über den Flor Jumins von 1072-1076 ganz sichtlich herrvor. Helmold’s Wineta ist nämlich, wie wir schon oben gesehen, ganz bestimmt das Jumin des Adam von Bremen, da Helmold von dieser Stadt nichts mehr weiß und berichtet, als was er dem Adam und seinem Scholiasten mit etwas veränderten Worten abgeschrieben. „Aber Helmold (sagt man) gebrauchte die Worte des Scholiasten von Adam nur in stylistischer Hinsicht, aber hinsichtlich der Sache konnte er die spätere Vernichtung Winetas um 1116—1119 im Sinne haben!“ Die Sache ist zwar unwahrscheinlich genug, allein dieselbe auch gesetzt, so kann doch Helmolds Zeugnis wiederum nur von der Einnahme und der Plünderung der Stadt Wolin, keineswegs aber von der Zerstörung irgend einer andern Stadt an der Mündung der Oder gelten. Wenigstens weiß die Geschichte, welche aus dieser Zeit bereits nicht ohne alles Licht und Klarheit ist, von einer zweiten nahe bei Wolin und an der Mündung der Oder blühenden und unerwartet zu Grunde gegangenen Stadt durchaus nichts. Im Jahre 1124 und wiederum 1128 besuchte der Bischof Otto mit seinen Beihelfern nicht nur die Stadt Wolin, sondern auch das übrige Pommersche Küstenland um die Odermündung herum; trotz alle dem geben die Lebensbeschreiber desselben, Herbort, Ebbo, Sefried, zum Teil sogar Augenzeugen, in ihren Schriften auch nicht die geringste Erwähnung von dem Untergange irgend welcher großen Stadt auf diesen Inseln. Sweno Aggeson, der in seiner Jugend bei der vermeintlichen Vernichtung Wineta’s von 1116—1119 sehr leicht anwesend sein, oder doch wenigstens ganz glaubwürdige Berichte darüber von Augenzeugen haben konnte, versichert, dass er 1172 selbst und mit eigenen Augen es mit angesehen, wie König Harald’s Burg Hinnisburg oder Jumin (d. i. Wolin) von dem König Waldemar vernichtet wurde. Und trotz dem blieb dasselbe Wolin auch später noch stehen, wenn auch halb verfallen, und steht noch bis auf den heutigen Tag. Darum muss also Helmolds hyperbolischer Ausdruck: „hianc civitatem ... quidam Danorum rex ... funditus evertisse refertur“ ganz gleichem Maße gemessen werden, als Sweno’s Worte: „enjus moenia ... ego Sneno solo conspexi aequari.“ In beiden Fällen wird die Sache übertrieben. Dass neben Wolin, dessen Alterthum und ehemalige Größe und Macht historisch außer allem Zweifel steht, auf derselben Insel oder auf Usedom, folglich in einer Entfernung von etwa 2 — 3 Meilen, zu gleicher Zeit noch eine zweite gleich große und berühmte Stadt hätte blühen und dann auf einmal und ohne irgend welche Spur zu hinterlassen von der Oberfläche der Erde hätte verschwinden können, das kann man nach alle dem, was wir aus der Geschichte der Völker über das Aufblühen und Verschwinden großer Handelsstädte wissen, nimmermehr für glaubhaft annehmen. Solche Städte, wie Adam’s Jumin und Helmolds Wineta, wachsen weder über Nacht wie Pilze aus der Erde heraus, noch zerfließen sie auch nach den furchtbarsten Stürmen wie Seifenblasen spurlos in Nichts. Was wir von dem Sturme gegen Wolin im J. 1172 lesen, dass die Stadtbewohner noch vor der Belagerung nach Kamin sich flüchteten und nach der Ausplünderung derselben und der Entfernung der Dänen wieder nach Hause zurückkehrten, das müssen wir in gleichem Maße auch hinsichtlich der früheren Zeiten und der älteren Bestürmungen annehmen. Die Stadt Wolin, die im 10. Jahrh. den Gipfel ihrer Blüthe erreicht, erhielt ihre erste tiefe Wunde 1043 durch König Magnus; nachdem dieselbe geteilt, blühete die Stadt zur Zeit Adam’s von Bremen 1072—1076 von Neuem auf; im Jahre 1095 oder zwischen 1085 und 1098 griffen sie die Dänen zum zweiten Mal an; zwischen 1116 und 1119 erreichte dieselbe ein neues noch schwereres Missgeschick; der Bischof Otto fand 1124 und 1128 Wolin als eine starkbevölkerte See- und Handelsstadt in ziemlich friedlichem Zustande, allein damals saß bereits Stettin auf dem ersten Würdenplatze (metropolis); 1172 traf sie der vierte und grausamste Schlag, 1175 ward ihr Bistum nach Kamin übertragen und die Stadt so oft mit Sturm eingenommen, gebrandschatzt und niedergesenkt erreichte nun ihre frühere Macht und ihr einstiges Ansehen niemals wieder, obgleich sie immer die Hauptstadt eines Gaues blieb. So zahlreiche und vielleicht auch andere weniger bekannte Unglücksfälle untergruben den lebenstollen Flor der Stadt, bis sie denselben ganz vernichteten; vielleicht hat eine der älteren Bestürmungen bei dem gemeinen Volke Veranlassung gegeben zu der Sage von der gänzlichen Zerstörung und dem Untergange der Stadt, einer Sage, die an sich und allein, im Gegensatz gegen die ausdrücklichen und klaren historischen Zeugnisse, nichts beweisen kann. — „Allein die Jomsburg (so behaupten Einige und neuerlich Barthold und Giesebrecht) muss nach der Schilderung in der Jomsvikingasaga von Wolin verschieden sein und aller Wahrscheinlichkeit nach auf der Insel Usedom, unmittelbar auf dem linken Ufer der Mündung der Swina gesucht werden.“ Wir sehen keine Notwendigkeit dazu; denabgeschmackten Erfindungen der Jomsvikingasaga und der andern Sagen über die Herrlichkeit und Pracht dieser Granitburg an Meeresgestade stellen wir die nackte und einfache Wahrheit der histor. Zeugnisse über die Beschaffenheit der damaligen skandinavischen Burgen entgegen, die sich von den slawischen durch gar nichts unterschieden, vielmehr im Gegenteil von Holz, aufgebaut und mit Laufgräben, Mauern und Bollwerk, oder hölzernen Verhauen befestigt waren (wovon der Ausdruck: „Eine Burg zimmern“), so dass die Feinde bei der Belagerung dieselben mit großen an lange Balken befestigten Ankern auseinanderrissen, woher es auch kam, dass dann gewöhnlich keine Spur von ihnen übrigblieb, als höchstens die Wallgräben (am Ende des 12. Jahrh. wollten die Liven die Burg Ykeskola an der Dwina nach althergebrachtem Gebrauch mit Schiffstauen ins Meer hinunterreißen; allein das ging nicht, weil diese Burg schon von Steinen ausgeführt war!). Über die Lage Jomsburgs geben Saso und Sweno, denen die Jomsvikingasaga noch in ihrer ursprünglichen ächten Gestalt bekannt war, ein viel klareres und gültigeres Zeugnis, als die gen. Saga. Saxo sagt, dass König Harald nach der Unterwerfung der Slawen bei ihnen eine dänische Besatzung zurückließ; ein solches nobilissimum oppidum war damals in jener Gegend nur Wolin, wie wir dies oben nachgewiesen. Derselbe Saxo nennt an einer andern Stelle, den Palnatoke aus dem Jumer Gaue abstammend (Jumensi provincia ortus); gleicherweise heißt auch in den skandinavischen Sagen das Land, wo die Jomsburg lag, Jom. Diese Namensgleichheit von Land und Stadt finden wir allerdings bei Wolin, wo die Insel (der Gau, provincia) und die Stadt denselben Namen führen; keineswegs aber ist dies bei Usedom der Fall. Sweno Aggonis, ein bejahrter Mann und erfahrener Kenner unsrer Inseln, bezeugt mit Uebereinstimmung von Saxo an zwei Stellen, dass die Burg, in der Harald einst seine Dänen als Besatzung zurückließ und wo dann in der Folgezeit die dänischen und wendischen Seeräuber ihre Abenteuer, trieben, eigentlich von Wolin gar nicht verschieden war, dessen Ausplünderung durch Waldemar er 1172 mit eigenen Augen angesehen hatte. Darauf deutet auch der Name Jum, Jums-Burg hin, der aus Jumin verkürzt, während dies wieder ohne Zweifel nur durch Veränderung aus Julin entstanden ist; und an der Identität dieses letztern mit Wolin zweifelt ohnehin Niemand. Es war also Jomsburg aller Wahrscheinlichkeit nach eine Vorstadt, Castell (?) der Stadt Wolin, wie solcher diese große Stadt nach der Sitte der anderen slawischen Städte Nowgorods, Pskows u. A. in jener alten Zeit wohl mehrere haben konnte, wenn auch die „Burg“ wirklich von der Stadt selbst getrennt war. Dadurch gleichen sich die Widersprüche aus, in welche alle Diejenigen unausweichlich sich verwickeln müssen, welche entweder mit Barthold dem Adam von Bremen Schuld geben, als habe er die Jomsburg, die auf Usedom zu beziehen sei, mit Wolin vermengt und die Lage Jomsburgs auf Wolin und umgekehrt die städtischen Beziehungen Wolin’s auf Jomsburg übergetragen, oder aber mit Giesebrecht dafür halten, dass die dänische Colonie Jomsburg auf dem linken Ufer der Swina in kurzer Zeit zu der Größe und Macht des Jumin Adam’s, und des Wineta Helmold’s emporgewachsen sei.