Dichterkrönungen

Drei Richtungen griechischer Poesie. — Klephtenlieder. — Kein griechisches Theater. — Zalakosta. — Sprachekampf. — Panagiotis Suzzo. — Eine Muse mit Augengläsern. — Schiller bewundert. — Plastisches Andenken.

Wie unpoetisch auch die Graduirung eines Doktors an der Universität zu Athen ist; so begeht sie doch eine Feierlichkeit, welche fast an allen Universitäten des Mittelalters geübt wurde und jetzt nur in Athen wieder heimisch geworden ist, eine Dichterkrönung.


Der Großhändler Herr Ragli in Triest, ein Grieche von Geburt, setzt seit dem Jahre 1852 einen Preis von 1.000 Drachmen für die beste Dichtung aus. Ein Verein von gelehrten und kunstsinnigen Männern der Universität übt das Preisrichteramt, aus dessen Mitte ein Sprecher auf der Aula jeden 25. Mai über die zur Bewerbung eingesendeten Dichtungen einen kritischen Bericht öffentlich erstattet und den Dichter, der den Preis errungen hat, nennt. Zum ersten Male überreichte der König selbst dem Dichter Zalakosta für ein episches Gedicht „Missolungi“ den Lorberkranz. Während meiner Anwesenheit war es kein Geheimnis mehr, dass 13 Dichtungen um den Lorber rangen, darunter 3 lyrische Gedichte von einer Dame, 2 Dramen: „Jephta“ und „der Türke und der Seefahrer“. Unter den übrigen, sich der epischen Form nähernden, bezeichnete man „die Hochzeit des Alexander“ als das ohne Vergleich bedeutendste Gedicht, welches aber den Preis nicht erhalten konnte, weil es in populär griechischer Sprache geschrieben ist und die Bedingung besteht, dass nur ein Gedicht in der reinsten Schriftsprache den Preis erhalten könne.

Es sind drei Richtungen, die sich in der modern poetischen Literatur Griechenlands geltend machen: die eine eifert der antiken Form nach, sie erkennt Gedichte der alten Welt als einziges Muster an, und redet zu der gebildeten Welt. Die Modernen borgen vom Volke den markigen, neuen Ausdruck, der ihm und der Bildung zugleich verständlich ist. Der größte moderne Dichter Griechenlands, den es seinen Dante nennt, schrieb wie wir bereits bemerkt haben, im jonischen Dialekte. Zwischen beiden Richtungen halten Diejenigen eine schwankende Mitte, welche deren Vorteile zu vereinigen streben, ohne die volle Gunst der einen, oder der andern zu gewinnen.

Gewiss ist es, dass die in den Bergen von den Klephten frei gesungenen Lieder, noch immer die der gebildeten Dichter an Kraft und Naivität, an Herbheit und Süßigkeit übertreffen.

Die Richtung der neugriechischen Poesie ist eine vorzugsweise lyrische und epische und strebt national zu sein. Am sparsamsten ist das Drama vertreten und meist aus dem Grunde, weil Griechenland, von dessen antiker Bühne die ewigen Tragödien ausgingen, kein Theater hat. Jedes griechische Weib würde sich für entehrt halten, auf der Bühne zu erscheinen, wie auch in der alten Welt keines, selbst nur vor derselben als Zuschauerin erschienen ist. Jeder Mann hielte es unter seiner Würde, als Schauspieler aufzutreten, und seine Freiheitskämpfer durch Knaben dargestellt zu sehen, würde ihm lächerlich vorkommen. So ernst und keusch in dieser Beziehung sich der national stolze Charakter auch darstellt, ist doch die Kunst die Blüte jedes Volkstumes.

Bis jetzt erfreuen nur italienische Opernsänger die Athenienser. Die Opern in griechischer Sprache singen zu lassen, wäre ein Beginn; ein Heranziehen von italienischen Schauspielern würde die Griechen an das Drama gewöhnen und allmälig das Vorurteil, selbst die Bühne zu betreten, verschwinden machen. Darstellende Talente fänden Anregung und würden auftauchen, mit ihnen Poeten, die sich jetzt mehr zur epischen Dichtung hinneigen, sich für das Drama begeistern. Wenn es schon Christine von Schweden und in unserer Zeit der König von Preußen versuchten, antike Tragödien aufzuführen; so wäre ein solches ästhetisch anachronistisches Behagen nirgend natürlicher als in Athen, wo die Szene der Dramen noch dieselbe ist, wie vor dritthalbtausend Jahren. Die Fantasie der Dichter, wie des Volkes wäre angeregt, nur müsste ein rasches Ergreifen moderner, historisch griechischer Stoffe, heiterer Darstellungen aus dem Volksleben selbst, bald folgen, um ein nationales Theater zu schaffen.

Übersetzungen von fremd sprachlichen Dramen wären wenigftens Anfangs, wenn sie nicht von Heroen der daramatischen Kunst herrühren, fern zu halten.

Eines Tages beehrte mich der Dichter Zalakosta mit seinem willkommenen Besuche. Er ist auf den Bergen von Epirus, unfern Janina im Jahre 1806 geboren und Kapitän im Quartiermeisterstabe der k. griechischen Armee. Außer dem bereits genannten, errang noch ein zweites Gedicht von ihm den Lorber „die Armatolen und die Klephten“ das mit den schönen Worten anhebt:

„Ich durchbreche die Finsternis eines Jahrhunderts, ich will zeigen die Stapfen der Sklaverei auf dem heiligen und geweihten Boden von Epirus. Zeit und Tod ihr Zerstörer der Welt und ihr Jäger des Lebens öffnet vor mir einen doppelten Reichtum: eure geheimnisvollen Taten und eure kalten Gräber.“

Wie dieses epische Lied atmen alle Gesänge des Dichters Liebe und Begeisterung für das Vaterland, Hass und Zorn gegen Knechtschaft, die immer wieder aus seinen nationalen Stoffen, die er wählt, hervorleuchten und seinen Namen berühmt machen.

Herr Zalakosta will vom Volke, in dessen Sprache er schreibt, verstanden werden und wählt wie Solomos zuweilen die Dialektsprache, so in seinem epischen Liede „der Fall Konstantinopels“ und „Fotos und Frosso.“ Seine hellen Augen fangen zu leuchten an und die feinen schmalen, sich rötenden Wangen lassen mehr Jugend in ihm aufleuchten, als sein schon graues, schlicht anliegendes Haar vermuten lässt, wenn er von Poesie und Sprache redet. „Die griechische Sprache hat durch den Lauf der Jahrhunderte ihren antiken Glanz verloren; aber immer blieb sie die echte Tochter der antiken Sprache, wenn sich ihr auch durch die fremde Herrschaft und durch die reisenden Kaufleute fremde Wörter beimischten. Unter dem Landvolke, zumal auf den Bergen war die Sprache derber, aber reiner als in den Städten. Während der langen Zeit der Sklaverei fehlte den Griechen Alles: Waffen, Festungen, Ansehen, Wissenschaften und all dies erhielt von dem Machthaber die Benennung in seiner Sprache. Alles aber, was er nicht usurpieren konnte: der Himmel, die Erde, das Meer, Bäume und Früchte, Blumen und Tiere behielten ihre antiken Namen bei. Es wurden verschiedene Dialekte gesprochen, die nicht stark von einander unterschieden waren. Die Erhebung des Volkes im Jahre 1821, welche den Sklaven die Freiheit und ein Vaterland gab, musste auch auf ihre Sprache einen reinigenden Einflußss üben. Heutzutage spricht das freie Griechenland eine schöne, ausdrucksvolle Sprache; befreit von Fremdwörtern, ist sie reich durch ihre eigene Kraft und geschmückt mit antikem Zauber. Diese Sprache ist die der Dichter und der Journalisten, sie war bereits die aller Schriftsteller. Da tauchte im Jahre 1853 die Laune des Dichters Panagiottis Suzzo auf, die griechisch antike Sprache wieder lebendig zu machen, indem er alle ihre Wendungen und Wortfügungen in einer eigens geschriebenen Grammatik empfahl. Es gelang ihm, der Muse pedantische Augengläser aufzusetzen und sich als das Haupt einer neuen Schule zu erklären. Man lachte. Wie aber das Neue, wenn es kühn vorgetragen wird, und durch Geist zu blenden weiß, immer sich Jünger zu erwerben versteht, so ergriff namentlich einige Professoren der Universität, eine epidemische Lust so zu schreiben, dass, wenn sie mit denselben Redensarten im gesellschaftlichen Leben sprächen, man ihnen ins Gesicht lachen würde. Wir wollen nicht die Dialektsprache zur allgemeinen erheben, wiewohl sie die Sprache des Herzens und des Gefühles ist, eignet sie sich doch nur für kleinere Gedichte, die sich gerne der Musik fügen, für das Lied. Aber wozu nützt ein Buch mit dem trefflichsten Inhalte, wenn das Volk es nicht versteht? Die Mode wird vorübergehen, wenn nur die Dichter und Journalisten nicht aufhören, die Richtung, welche die Sprache zur Zeit des Befreiungskrieges genommen hat, zu verfolgen und die Sprache des Volkes, durch langsame Entwickelung zu erheben. Die Frage wäre lange schon entschieden, welcher Weg der richtige sei, aber der Einsichtvollen sind wenige und entbehren einer einheitlichen Leitung. Die neue Schule hat einen berühmten Namen an der Spitze und der Dichter Solomos, der allein eine ganze Schule ist und seinen Ruhm in der Volksprache sich ersungen hat — schweigt.“

Zu diesem Kampfe, den fast jede Literatur aufzuweisen hat, gesellt sich aber in Griechenland ein für die Dichter namentlich nachteiliger Mangel, dass sich kein Buchhändler findet, der ihre Schriften verlegt. Die Dichter, deren Gesänge gekrönt wurden, mussten sie, um ihnen einige Verbreitung zu verschaffen, auf eigene Kosten drucken lassen. Zudem ist die griechische Gesellschaft „seelenlos für den Dichter“ er muss seine Lieder verschenken, um — gelesen und — keiner Aufmunterung teilhaftig zu werden. Zalakostas episches Lied „die Armatolen und die Klephten“ ist ins Italienische übersetzt und würde es wohl verdienen, den Deutschen es anzueignen. Er selbst kennt nur einen deutschen Dichter, aber für den er begeistert ist — Schiller, in französischer Übersetzung! Ich riet ihm, da er sich schon einer Übersetzung bedienen müsse, zu der in italienischer Sprache von Mafei, um unsern Dichter besser würdigen zu lernen.

Ich hatte die Freude noch oft mit Zalakosta zu verkehren, der mir jedesmal den wohltuenden Eindruck einer edlen, nationalen Gesinnung, einer schönen Menschlichkeit und poetischen Begeisterung, welche Seite in ihm eben zu tönen begann, hervorrief.

Am Tage meiner Abreise brachte er mir einen hölzernen Becher, den ein junger Mensch aus Akarnanien, ein entschiedenes Talent für Plastik, geschnitzt hat. Adler und Greife von energischem Ausdrucke sind kunstreich auf dem Becher erhaben geschnitten, und enden und beginnen in den geschmackvollsten Arabesken. „Nehmt den Becher“, sagte Zalakosta, indem er mir herzlich die Hand zum Abschiede schüttelte, „und wenn Ihr an die kastalische Quelle auf Eurer Reise kommt, schöpft mit ihm aus derselben und trinkend denkt an Zalakosta.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1