Die Universität

Der Geist als Eroberer. — Deutschland dankbar. — Die Klinik. — Doktorpromotion. — Ein antiker Schädel. — Gesellschaft der Ärzte. — Mein Vortrag. — Zum Mitgliede erwählt. — Einladung des Dimarchen.

Auf einer mäßig angebauten Fläche, die ringshin noch wenige zerstreut hingebaute Häuser zeigt, sehen Meister und Schüler, wenn sie aus den lichten, hohen Sälen des Universitätsgebäudes in die marmorne Vorhalle treten, sich der Akropolis gegenüber. Sie sehen den Hügel Kolonos, die ölbaumbepflanzte durchsilberte Akademie des Plato, den Areopag, das Gefängnis des Sokrates, und hinter all dem den Berg, auf welchen die dreißig Tyrannen fliehen mussten, als sich das Vaterland befreite. Vor den Blicken der Jugend liegt die ganze große Szene einer untergegangenen Welt, liegt Hellas in Hellas, wie die Alten Athen nannten. Noch immer feiert es geistig seine Auferstehung in der Bildung unseres Weltteiles, sein Glanz verklärt, noch aus den Gräbern herauf unser Leben. Der Lehrer der Geschichte an der Universität zu Athen darf nur peripatetisch mit seinen Schülern durch diese Räume wandeln und sie auf die vor ihnen aufgeschlagene Ebene, auf diese Berge, auf die Tempelüberreste und die blaue fernrollende See aufmerksam machen, um ihren Geist mit erhabenen Gedanken der Staatsweisheit und mit der Kraft des Heldentums zu erfüllen, ihr Gemüt für Kunst und Vaterland höher zu stimmen.


Nicht alle Griechen, die den Freiheitskampf kämpften, sind frei geworden; noch leben viele unter türkischer Herrschaft. Die Bewohner der jonischen Inseln und alle jene Griechen, die zerstreut in Europa leben, durch gleiche religiöse Anschaunngen, durch Sitten und Sprache mit den Griechen des Königreiches verbunden, blicken auf diese Universität und überhaupt auf alle geistigen Institutionen dieses Landes als auf einen idealen Mittelpunkt. Gedanken und Lehren, die von hier ausgehen, können geistige Gesandte des jungen Staates, jeder Schüler der Universität kann ein politischer Apostel werden für die Idee eines künftigen Großgriechenlands.

Bildung ist der moderne Eroberer, durch sie allein können auch kleine Völker groß werden. Und ist diese jüngste Universität Europas nicht auch anzusehen, wie ein geistiger, vorgeschobener Posten gegen den Orient? Von Vaterlandsliebe durchdrungene geistvolle Lehrer und Dichter, wie der eben hingeschiedene Solomos, sind die Bildner der griechischen Zukunft.

Noch ist das Rätsel nicht gelöst, welches die beiden weißmarmornen Sfinxe, symbolisch vor den Pforten der Universität lagernd, aufzugeben scheinen.

Die meisten der jetzt angestellten Lehrer sind in Deutschland, in München und namentlich die Ärzte in Wien gebildet. So ist Deutschland Gelegenheit geboten, jenem Lande sich dankbar zu erweisen, an dessen Weisheit und Kunst es selbst großgezogen worden ist, dessen Feldherren, Filosofen, Heroen und Dichter der deutschen Jugend noch unüberbotene Muster der Vaterlandsliebe, der Weisheit und der Begeisterung für Kunst und die des Schönlebens sind.

Der ebenso gelehrte, als liebenswürdige Dr. Makkas, klinischer Professor, hatte die Güte, mich durch die Räume der Universität zu begleiten. Die Bibliothek im ersten Stockwerke des Universitätsgebäudes enthält 70.000 Bände. Die meisten Werke sind deutsch; ihnen schließen sich, der Zahl nach, die französischen, italienischen, englischen und endlich die griechischen an. Fast alle wurden aus europäischen Staaten von Bibliotheken und Privatleuten hierhergespendet. Ein Bibliotbeksaal, der die Gipsbüsten des Sokrates und Hippokrates, einige Bilder, darunter das Portrait Friedrichs von Preußen, von ihrem Kunstwerte angesehen, eben nicht zieren, ist fast noch völlig leer. Das Lesezimmer, von oben beleuchtet, gewährt einen sehr angenehmen Aufenthalt.

Ein Besuch der Klinik, die sich, durch einen Garten getrennt, hinter dem Hauptgebäude der Universität besindet, überzeugte mich, dass die medizinische Schule von Wien nicht ohne Einfluss auf sie geblieben, aber durch den Geist des Lehrers wieder selbstständig geworden ist. Etwa wie ein gesunder Organismus die empfangene Nahrung umwandelt und seinem Wesen als neues Element aneignet.

Zu der Promotion eines Doktors der Medizin geladen, fand ich im Promotionsaale unter zahlreich versammelten, durchweg französisch Gekleideten auch Frauen, die ebenfalls, wie die Professoren, nicht der schöneren, nationalen Tracht huldigten. Es sollten zwei Kandidaten promoviert werden. Professor Makkas, als Dekan, und Professor Olympios, als Rektor, lasen in altgriechischer Sprache eine biograsische Skizze der beiden Kandidaten vor und fragten dann die Professoren, ob sie dieselben würdig hielten, zum Range eines Doktors erhoben zu werden? Als diese Herren dies durch Emporheben der Hände bejahten, lasen die Kandidaten den Eid, worauf ihnen der Dekan das Doktordiplom übergab und ihnen die Hand reichte, indem er sie Kollegen nannte und zur Kollegialität ermahnte. Der junge Doktor muss nach seiner Promotion noch ein halbes Jahr ein Spital besuchen und, um zur Ausübung seiner Kunst zugelassen zu werden, sich dann noch einer Staatsprüfung unterwerfen.

Das pathologische Museum unter der Leitung des Dr. Stawrinaki ist im Werden begriffen und verspricht von Bedeutung zu werden.

Als ich Herrn Stawrinaki mitteilte, dass ich von der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften den Auftrag habe, für das pathologische Museum in Wien Schädel verschiedener Rassen aus dem Oriente mitzubringen, trug er mir, in dankbarer Erinnerung an die Vorträge Hyrtels und Rokitanskys sogleich einen antiken, griechischen Schädel an. Es wurde bei der Grundausgrabung für ein Haus in Athen ein antikes Grab entdeckt, in welchem sich ein vollkommen erhaltenes Skelett vorfand. Bei der Berührung jedoch zerfiel es, bis auf den schöngeformten Schädel, der in den Privatbesitz des Herrn Stawrinaki gelangte. Ich werde später ein abenteuerliches Geschick dieses Schädels zu erzählen haben.

Die k. griechische Gesellschaft der Ärzte und der Naturforscher versammelte sich, um, wie alljährig, einen neuen Präsidenten zu wählen; der als solcher jetzt fungierende Leibarzt des Königs, Herr Hofrath Dr. Röser, lud mich ein, dem feierlichen Akte anzuwohnen. Auf dem Universitätsplatze ist noch ein zweites Gebäude, das Blindeninstitut, aufgeführt, das, sehr zweckmäßig eingerichtet, eines der vielen Wohltätigkeitsinstitute ist, deren Athen sich durch die Sorgfalt der Regierung und die Großmut von Privaten zu erfreuen hat.

Ich trat zur festgesetzten Stunde im Saale ein, in welchem von den vierzig atheniensischen Mitgliedern neunundzwanzig versammelt waren. Ich wurde von dem stets geistig bewegten, hastig anregenden Präsidenten mit den Worten erschreckt: „Ich habe einen Vortrag von Ihnen, als dem Verfasser des „Hippokrates“ angekündigt, Sie müssen sprechen.“

Als ich ihm meine Verlegenheit ausdrückte und äußerte, unvorbereitet vor einem so gelehrten Kreise nicht sprechen zu können, erwiderte Dr. Röser rasch:

„Ich habe bereits dem Könige von einem Vortrage von Ihnen, zu dem ich Sie einladen wolle, gesprochen; Sie werden,“ fuhr er heiter fort, „mich nicht kompromittieren. Der Bericht und die Präsidentenwahl nehmen eine Stunde in Anspruch. So lange haben Sie Zeit, über einen Gegenstand nachzudenken.“

Ich hielt, nicht ohne Zagen, hervorgerufen durch den Schauplatz, auf dem und den gelehrten Kreis, zu dem ich sprach, da ein medizinischer mir naheliegender Gegenstand gewählt werden musste, einen kurzen Vortrag über den Einfluss der Bewahranstalten auf die Gesundheit der Kinder. Der zagende Gedanke trat noch hinzu, dass die Hörer durch mich an die weltberühmte medizinische Schule Wiens, deren Schüler ich mich nannte, erinnert, größere Ansprüche an mich stellen, mich wohl gar einen flüchtigen Moment für einen Repräsentanten derselben halten würden. Ich fühlte die große Verantwortlichkeit und die Überzeugung, dass diese Schule, die ich, statt sie dankbar ehrerbietig nachzuahmen, mit einer Satire zu geißeln den Mut hatte, mich gar sehr verleugnen möchte.

Nach dem Vortrage, den feine attische Höflichkeit mit Beifall überhäufte, trug der Präsident darauf an, mich zum Ehrenmitgliede der k. Gesellschaft zu ernennen, was mit Akklamation aufgenommen wurde.

Am folgenden Tage erhielt ich die Einladung des Dimarchen von Athen des Herrn Galates, eines schönen Greises, dessen ausdrucksvolle Gesichtszüge durch sein schneeweißes Haar noch erhöht wurden. Er hatte von meinem Vortrage gehört und erbat sich denselben, um zu sehen, ob das Institut der Kinderbewahranstalten nicht segenreich auch für die Stadt werden könnte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1