Kolonos

Die Ebene von Attika. — Sophokles Geburtstätte. — Ein Chorgesang im Ödipos. — Ottfried Müllers Grabstelle. — Vandalismus.

An einem sonnigen Morgen ging ich zur Stadt hinaus in die schöne Ebene, um den Olivenhain und den Zypressengarten zu besuchen, in welchem die Akademie des Platif sich befand. Die Ölbäume gaben angenehmen Schatten, kein Nachtigallengesang, wie einst im Altertume, war hier zu vernehmen, nur, wie ihn Sophokles nennt, der „nomadische“ Kephyssos blitzte silbern da und dort auf, wie er eben durch den Gau von Kolonos sich windet. Gräber und Strauchwerk umgeben einzelne Gärten, in denen Weinstöcke, noch nicht grün, wie schwarze Schlangenklumpen lagen, oder Gemüse angebaut war. Nur wenige Arbeiter, meist Frauen waren in diesen Gärten beschäftigt, selten begegnete mir eine Gruppe, oder ein einzelner Mensch, der nach Athen ging. Mehrere Esel auf denen Frauen, ihr Kind vor sich haltend, saßen, wurden von Männern geführt oder nur begleitet. Es war Sonntag, und die mir so begegnenden Familien zogen zur Kirche. Sonst war es stille und trotz des Sonnenglanzes traurig in der Landschaft und die Einsamkeit, die über sie ausgebreitet war, erhöhte noch eine feierliche Stimmung.


Ich näherte mich dem antiken Hippios Kolonos, dem Geburtsorte des Sophokles, wo er die tragischen Schrecken seines „Ödipos spielen lässt.“

Er verherrlichte diese seine Geburtstätte mit einem der schönsten Chorgesänge. Als ihn sein Sohn Jophon der Schwachsinnigkeit anklagte, um ihm die Verwaltung seines Besitzes zu entreißen, unterließ Sophokles jede Verteidigung und las den Richtern nur diesen Chorgesang vor. Diese von der Schönheit der glanzvollen Dichtung ergriffen, geleiteten ihn im Triumphe nach Hause.

Ich bestieg den Hügel, auf dem eine kleine weiß und weithin schimmernde Kapelle gebaut ist, und setzte mich vor dieselbe hin. So sah ich denn das einst Götter- und Heroenbevölkerte Land vom Berge Parnaß, vom Hymettos und Likabet in weitem Halbkreise begrenzt. Vor mir lag Athen, aus der sich die Akropolis mit ihren erhabenen Säulenresten erhob. Hinter ihr schimmerte das blaue Meer und erhoben sich aus ihm die Felsenufer von Salamis. Wie fern auch all das, schien es durch den durchsichtigsten glanzvoll bebenden Äther doch ganz nahe gerückt.

Wer sich jenes Chorgesanges des Sophokles erinnert, wird merken, wie er in meine Gedanken hineinspielend mir ein Lied an Hellas eingab.

Eine kleine Strecke vor mir erhob sich ein zweiter Hügel, auf dem ein weiß marmornes Monument die Gebeine Ottfried Müllers deckt. Ein schöneres Grab kann einem begeisterten Freunde des griechischen Altertums nicht zu teil werden. Rings umher blüht rotblau, die schon von Homer besungene, altgriechische Totblume und stark duftender Quendel.

Schmerzlich aber war mir der Anblick des Monumentes in der Nähe. Tausend schwarze Punkte und Flecke bedeckten es, als hätte der Mutwille das Monument zur Zielscheibe gewählt und nach ihm mit Schrotkörnern geschossen. Da und dort ist ein Stück losgebrochen, einzelne Buchstaben der altgriechisch abgefassten Inschrift zerstört; dafür mancher Namen eines vandalisch Reisenden eingemeißelt. Eine Einfriedigung gebietet die Pietät.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Nach Jerusalem! Band 1