Tiere in Moskau

In Moskau ist Zugtiermangel. Pferdemangel. Die Pferde sind nicht wanstig, aber auch nicht rippendurchsichtig. Es sind kleine Normalpferde. Panjepferde, wie unsere Feldsoldaten im Osten sagten. So sind die Arbeitspferde. Die Droschkenpferde sind oft knickiger. Die Futterration ist mager, und das Hintenrum ist kostspielig. Auch gibt es Droschkenhalunken, die Taschenegoisten sind und die Pferde hungern lassen.

Die Droschkenfahrt vom Nikolaibahnhof zum Theaterplatz kostete im Mai 1920 3.000 Bolschewistenrubel. Auf deutsch 30 — 50 Mark. Zu Beginn der Revolution hatte der Moskauer Stadtsowjet alles nationalisiert. Gewiss auch die Droschken. Jetzt sind sie frei von der Nationalisierung. Eine ganze Anzahl ist für den Amtsgebrauch requiriert. Die übrigen sind frei und warten an allen Ecken.


Aber mich interessierten die Hunde mehr als die Pferde. Ich las einmal von den Hunden Konstantinopels in den 80 er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Von den nichtbeachteten, kaum getretenen, ungepflegten Hunden der Türkenhauptstadt.

In Konstantinopel war zu jener Zeit ein Hundegewimmel, eine Hundearmee. So hundedicht ist die Moskauer Straße, der Moskauer Hof nicht. Aber unbeachtet, kaum gestoßen, ungepflegt sind auch die Moskauer Hunde. Ihr Fell, ihre Blicke, ihre Zufluchtsplätzchen sprechen von der Revolution.

Sie lagern in den Straßengossen, an den Häuserwänden, auf den Treppenstufen. Sie schlafen den ganzen Tag und auch die Nacht auf diesen Plätzen. Ich weiß nicht, wie und wovon sie leben, denn sie rühren sich nicht vom Ort.

Es sind schwere Pelzhunde darunter, eigelbe Bernhardiner, einstige Herrenhunde. Dann langbesehnte russische Windhunde, das weiße Fell verschmutzt. Die Pelze sind zerzottet, Hundeaugen sind verklebt, es ist nur noch eine Erinnerung an die Herrenzeit. Es ist kein System mehr in den Moskauer Hunden. Die Hundewirtschaft ist vorüber. Herren und Hunde gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch Hundeerinnerungen. Es gibt auch noch Hunde, die früher Herren waren.

Meine Frau hatte mir ein Blechgefäß mit Antilausin eingepackt. Du wirst Läuse kriegen, warnte sie. Jeden Abend, mahnte sie, musst du dein Bett mit Antilausin einpulvern. Ich will keinen verlausten Mann, sondern einen hautsauberen Mann, einen weißfelligen Mann und keinen zerkratzten Mann. Hüte dich vor Läusen in Russland, mahnte sie vor meiner Abfahrt.

Ich habe das Blechgefäß mit Antilausin nicht benutzt. Ich habe keine Läuse gekriegt, noch nicht einmal Flöhe. Erst in Estland besprang mich der erste Floh. Beim Arzt in Reval. Der Arzt stellte mir einen Entzieferungsschein aus, einen Entlausungs- und Entflohungsschein. In diesem Augenblick besprang mich der erste Floh. In Moskau blieb ich völlig lause- und flohlos.

Es gibt jedoch Läuse in Moskau. Es gibt auch Flöhe in Moskau und Wanzen. Aber der Typhusschrecken (Läuse sind Typhusüberträger) war im Mai 1920 vorüber. Wenigstens in Moskau. In anderen Gegenden Russlands herrscht er noch, klagte man mir. Man sollte endlich einmal Ärzte hinschicken, Studienärzte mit Medikamentenhaufen, mit Salvarsan und Chinin.

Die Haupttyphusgegenden sind die Koltschakrückzugstraßen und die Denikinrückzugstraßen. Hier war, sagte man mir, ein unerhörtes Seuchenwüten.

Also: verlaust und verfloht bin ich nicht in Moskau. Bis zum Schluss meines Besuches sah ich überhaupt kein Ungeziefer.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moskau 1920 - Tagebuchblätter