Krzyizanowsky
Das Bureau der Elektrizitätsabteilung ist in einer Straße jenseits der Moskwa. Es ist kein Gewimmel, keine Bienenhaftigkeit (äußerlich gesehen) in diesen Räumen. Viel stiller ist es hier als im Gebäude der Glawk Textil oder im Gebäude des Obersten Volkswirtschaftsrates, das eine einzige Krabbelei ist.
Hier arbeitet Krzyizanowsky, der Freund Lenins. Er ist ein älterer Mann, vielleicht schon ein alter Mann an Jahren, vielleicht schon 60 Jahre alt. Kaum mittelgroß, schmal, etwas geheimrätlich, etwas Professor. Aber es ist ein noch feuriger Mann, ein Antriebsmann, ein Hirnmuskelmann. Ein durchtheoretisierter Praktiker, ein Planmensch größten Formates.
Zwei herzgrabende Ereignisse erlebte ich in Moskau. Ich sagte es schon. Die Sitzung mit dem Fabrikkomitee der Prochorow Manufaktur und den Besuch bei Krzyizanowsky.
Er ist ein Freund Lenins. Er hat ein direktes Telephon in den Kreml, in das Arbeitszimmer Lenins. Ich glaube, Lenin lässt sich von ihm wirtschaftsberaten, und er tut gut daran. Denn dieser Mann ist sozusagen ein verfeinerter Stünkel. Er ist nerviger, feinergeistig. Er ist älter als Stünkel. Er ist nicht so schrötig wie Stünkel, sein Hirn ist zarter gegliedert.
Ein Dolmetscher war bei ihm. Ein Elektrotechniker, der in Deutschland studiert hat. Auch Krzyizanowsky spricht Deutsch, aber er beherrscht die deutsche Sprache nicht.
Sie schwärmten beide von Deutschland. Sie hofften beide auf die Organisationshilfe, die Technikerhilfe Deutschlands. Sie haben sich an den Plänen Klingenbergs (A. E. G.) geschult. Aber, sagte Krzyizanowsky, diese Pläne sind nicht mit Kapitalismus, sondern nur mit Sozialismus durchzuführen. Denn die Elektrizität ist die Kraft der sozialistischen Gesellschaft, Dampf ist die Kraft und war die Kraft der kapitalistischen Gesellschaft. Es bricht jetzt das Zeitalter der Elektrizität an.
Dann entwickelte er mir seine Pläne. Eine Karte lag dabei, die ich noch veröffentlichen werde. Denn es ist nicht nur eine russische Wirtschaftsverschiebungskarte, es ist eine Weltwirtschaftsverschiebungskarte, wenn man die Kreise über die Welt zieht. Es ist eine ungeheure Karte, eine ganz neue Karte, eine Wunderkarte. Ihr dürft gespannt sein auf diese Karte.
Er entwickelte mir seine Pläne. Die russische Industrie wanderte, sie siedelte um, sie wurde verpflanzt, sie ging von Norden nach Süden, sie marschierte nach dem Osten, nach dem Ural, nach Sibirien. Die Elektrizität trieb sie, zog sie, kreiste sie ein, durchfeuerte sie, sammelte sie, organisierte sie.
Reichtümer, von denen ich nichts geahnt hatte, stiegen auf. Der Mutterschlüssel war gefunden. Die Mineralien drängten aus der Erde, riesige, dichtgelbe Getreidefelder dehnten sich. Kolossale Kraftzentralen schossen den Strom durch ein systematisiertes Netz. Ich begriff den Sinn der rationalen Standortspolitik, den Sinn der neuen Verschiebung. Hier war wirklich eine neue Wirtschaft.
Ich begriff den Sinn des ökonomischen und sozialen Sozialismus. Er ist eine Produktionswanderung nach den Rohstoffen, eine Zentralisation, ermöglicht durch die elektrische Kraft, eine Dezentralisation, ermöglicht durch den neuen Standort. So legte mir Krzyizanowsky den Sinn dar.
Er sprach von den Stickstoffplänen, den Phosphatlägern, er sprach von einem sibirischen Gebiete, das 40 Millionen Menschen Nahrung bietet. Ein Kanada des Ostens tat sich auf. Er sprach von den Studienkommissionen, die die Reichtümer Russlands besuchen. Er zeigte mir eine ungeheure Wünschelrute. Ein Paradies tat sich auf, ein geordnetes Paradies mit Baumbeschneidungen, gelenkten Wegen, gesättigten Menschen, mit zeitreichen Menschen, mit Menschen, die in Gott ruhen (nach einem Worte meiner herrlichen Freunde Matthias und Dengel).
Er sagte: Jetzt werden die Wirtschaftsfehler der alten Zeit deutlich, die Verschwendungsfehler. Jetzt wird deutlich, was die alte Zeit verdeckt hat. Das Unaufgeschlossene wird deutlich, das Nichtgehobene, das vergessene Paradies.
Er war ganz Feuer. Er hatte seine Bedenken, er wusste, wie lange das dauert. Er kannte die Schwierigkeiten, die russischen Schwierigkeiten, er sehnte sich nach Hilfe. Aber er war ganz Feuer, ganz Mut. Die Pläne gehen nicht mehr verloren. Sie waren geahnt schon vor dem Kriege. Aber die Ermöglichung, die Festumrissenheit, die Konkretisierung, das ist Sache der neuen Zeit. Das hat nichts mit Politik zu tun. Das ist apolitisch, das ist fraktionslos, ohne Parteitaktik, denn es ist die neue Zeit. Es ist nicht Russland, es ist die Welt, die neue Welt. Hier beginnt die neue Welt.
Die Paläste glitzerten, die Hütten leuchteten, Kali schwamm aus den Gruben, türmte sich, unterfruchtete die Halme, daß ihre Säfte die Körner schwellen machten. Ein Ameisenleben zeigte sich, das goldene Zeitalter war da.
Ich hatte wenig Atem in dieser Stunde. Ich hatte zu wenig Atem, um all das in mich hineinzuschlürfen. Hier war ein Stratege ganz anderer Art als die Frontstrategen oder die politischen Strategen. Hier war der neue Friedensstratege, der Kräfteverschiebungsstratege. Ich glaube, auch in Deutschland gibt es solche Strategen. Wie glücklich sind die Menschen, die von solchen Strategen gelenkt werden. Denn dieses Lenken, das ist der Sinn der neuen Zeit. Nicht Parteigekrähe, nicht heftiges Geohrfeige, nicht Schmutzbespritzen, nicht Schuld und Sühne im eklen Sinne, nicht Richterüberheblichkeit, nicht witzige Advokatenschalheiten, sondern jenes ist die neue Zeit. Ist der Friede, ist die Lust am Leben, ist die Zielsichtbarkeit. Mögen unsere Kinder das genießen.
Hier arbeitet Krzyizanowsky, der Freund Lenins. Er ist ein älterer Mann, vielleicht schon ein alter Mann an Jahren, vielleicht schon 60 Jahre alt. Kaum mittelgroß, schmal, etwas geheimrätlich, etwas Professor. Aber es ist ein noch feuriger Mann, ein Antriebsmann, ein Hirnmuskelmann. Ein durchtheoretisierter Praktiker, ein Planmensch größten Formates.
Zwei herzgrabende Ereignisse erlebte ich in Moskau. Ich sagte es schon. Die Sitzung mit dem Fabrikkomitee der Prochorow Manufaktur und den Besuch bei Krzyizanowsky.
Er ist ein Freund Lenins. Er hat ein direktes Telephon in den Kreml, in das Arbeitszimmer Lenins. Ich glaube, Lenin lässt sich von ihm wirtschaftsberaten, und er tut gut daran. Denn dieser Mann ist sozusagen ein verfeinerter Stünkel. Er ist nerviger, feinergeistig. Er ist älter als Stünkel. Er ist nicht so schrötig wie Stünkel, sein Hirn ist zarter gegliedert.
Ein Dolmetscher war bei ihm. Ein Elektrotechniker, der in Deutschland studiert hat. Auch Krzyizanowsky spricht Deutsch, aber er beherrscht die deutsche Sprache nicht.
Sie schwärmten beide von Deutschland. Sie hofften beide auf die Organisationshilfe, die Technikerhilfe Deutschlands. Sie haben sich an den Plänen Klingenbergs (A. E. G.) geschult. Aber, sagte Krzyizanowsky, diese Pläne sind nicht mit Kapitalismus, sondern nur mit Sozialismus durchzuführen. Denn die Elektrizität ist die Kraft der sozialistischen Gesellschaft, Dampf ist die Kraft und war die Kraft der kapitalistischen Gesellschaft. Es bricht jetzt das Zeitalter der Elektrizität an.
Dann entwickelte er mir seine Pläne. Eine Karte lag dabei, die ich noch veröffentlichen werde. Denn es ist nicht nur eine russische Wirtschaftsverschiebungskarte, es ist eine Weltwirtschaftsverschiebungskarte, wenn man die Kreise über die Welt zieht. Es ist eine ungeheure Karte, eine ganz neue Karte, eine Wunderkarte. Ihr dürft gespannt sein auf diese Karte.
Er entwickelte mir seine Pläne. Die russische Industrie wanderte, sie siedelte um, sie wurde verpflanzt, sie ging von Norden nach Süden, sie marschierte nach dem Osten, nach dem Ural, nach Sibirien. Die Elektrizität trieb sie, zog sie, kreiste sie ein, durchfeuerte sie, sammelte sie, organisierte sie.
Reichtümer, von denen ich nichts geahnt hatte, stiegen auf. Der Mutterschlüssel war gefunden. Die Mineralien drängten aus der Erde, riesige, dichtgelbe Getreidefelder dehnten sich. Kolossale Kraftzentralen schossen den Strom durch ein systematisiertes Netz. Ich begriff den Sinn der rationalen Standortspolitik, den Sinn der neuen Verschiebung. Hier war wirklich eine neue Wirtschaft.
Ich begriff den Sinn des ökonomischen und sozialen Sozialismus. Er ist eine Produktionswanderung nach den Rohstoffen, eine Zentralisation, ermöglicht durch die elektrische Kraft, eine Dezentralisation, ermöglicht durch den neuen Standort. So legte mir Krzyizanowsky den Sinn dar.
Er sprach von den Stickstoffplänen, den Phosphatlägern, er sprach von einem sibirischen Gebiete, das 40 Millionen Menschen Nahrung bietet. Ein Kanada des Ostens tat sich auf. Er sprach von den Studienkommissionen, die die Reichtümer Russlands besuchen. Er zeigte mir eine ungeheure Wünschelrute. Ein Paradies tat sich auf, ein geordnetes Paradies mit Baumbeschneidungen, gelenkten Wegen, gesättigten Menschen, mit zeitreichen Menschen, mit Menschen, die in Gott ruhen (nach einem Worte meiner herrlichen Freunde Matthias und Dengel).
Er sagte: Jetzt werden die Wirtschaftsfehler der alten Zeit deutlich, die Verschwendungsfehler. Jetzt wird deutlich, was die alte Zeit verdeckt hat. Das Unaufgeschlossene wird deutlich, das Nichtgehobene, das vergessene Paradies.
Er war ganz Feuer. Er hatte seine Bedenken, er wusste, wie lange das dauert. Er kannte die Schwierigkeiten, die russischen Schwierigkeiten, er sehnte sich nach Hilfe. Aber er war ganz Feuer, ganz Mut. Die Pläne gehen nicht mehr verloren. Sie waren geahnt schon vor dem Kriege. Aber die Ermöglichung, die Festumrissenheit, die Konkretisierung, das ist Sache der neuen Zeit. Das hat nichts mit Politik zu tun. Das ist apolitisch, das ist fraktionslos, ohne Parteitaktik, denn es ist die neue Zeit. Es ist nicht Russland, es ist die Welt, die neue Welt. Hier beginnt die neue Welt.
Die Paläste glitzerten, die Hütten leuchteten, Kali schwamm aus den Gruben, türmte sich, unterfruchtete die Halme, daß ihre Säfte die Körner schwellen machten. Ein Ameisenleben zeigte sich, das goldene Zeitalter war da.
Ich hatte wenig Atem in dieser Stunde. Ich hatte zu wenig Atem, um all das in mich hineinzuschlürfen. Hier war ein Stratege ganz anderer Art als die Frontstrategen oder die politischen Strategen. Hier war der neue Friedensstratege, der Kräfteverschiebungsstratege. Ich glaube, auch in Deutschland gibt es solche Strategen. Wie glücklich sind die Menschen, die von solchen Strategen gelenkt werden. Denn dieses Lenken, das ist der Sinn der neuen Zeit. Nicht Parteigekrähe, nicht heftiges Geohrfeige, nicht Schmutzbespritzen, nicht Schuld und Sühne im eklen Sinne, nicht Richterüberheblichkeit, nicht witzige Advokatenschalheiten, sondern jenes ist die neue Zeit. Ist der Friede, ist die Lust am Leben, ist die Zielsichtbarkeit. Mögen unsere Kinder das genießen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moskau 1920 - Tagebuchblätter