Das Verdienst des Hermann Muthesius

Hermann Muthesius hat das Verdienst, als Erster auf dem Kontinent auf diese blühende englische Wohnkultur hingewiesen und auch daraus die Konsequenzen für eine Besserung der deutschen Verhältnisse gezogen zu haben. Es ist der Vollender eines Gottfried Semper. Aber die Verhältnisse, unter denen er schaffen und wirken konnte, waren, Gott Lob, doch schon gesündere geworden. Semper blieb zeitlebens ein einsamer Prediger, und selbst die wenigen, die auf ihn hörten, hätten mit dem besten Willen seine Ratschläge nicht befolgen können. Muthesius aber ist zu einem unserer berufensten Führer geworden, mit einem Anhang, der täglich wächst in Künstler- und — gerade das ist so bedeutsam an seiner Mission — in den gebildeten Laienkreisen.

Er wurde spät erst ausführender Architekt. Lange Lehr- und Wanderjahre gehen voraus, theoretische Studien über Baukunst und Kunstgewerbe und die Gesundung unseres Kunstschulwesens. Diese Jahre langen, intensiven Studiums gaben ihm nachher die absolute Sicherheit, als man ihn aufforderte, Häuser zu bauen, so wie er sie seit Jahren beschrieben und gewünscht hatte. Das Resultat war überraschend. Die, die ihn bis dahin nur als einen Schulorganisator und Kenner des englischen Hauses bewundert hatten, waren nun von seinem eigenen architektonischen Schaffen überrascht. Frist der erste Landhausarchitekt von Groß-Berlin geworden.


Muthesius ist kein Rodin, der neue, bisher unbekannte künstlerische Ausdruckmöglichkeiten gefunden hätte. Man möchte ihn eher mit Adolf Hildebrand vergleichen. Und der Vergleich ist auch durchaus nicht unzutreffend. Das Sachlich-Logische ist auch bei ihm vorherrschend. Aber wie diese Sachlichkeit eines Hildebrand, das materialgerechte Gestalten, der Anschlug an die vorhandene Natursituation uns eine Befreiung brachte, so hat uns auch Hermann Muthesius aus einem Labyrinth der tollsten Verwirrungen wieder hinausgeführt in die klare Luft der Erkenntnis künstlerischen Wesens. Und wie das kluge Buch von Hildebrand ,,Das Problem der Form“ einen Ausgangspunkt für die moderne deutsche Plastik bedeutet, so die zahlreichen Schriften von Muthesius für die deutsche Wohnkultur.*)

*) Hermann Muthesius: Die Englische Baukunst der Gegenwart, Leipzig und Berlin. 1900-1902. Der Zeichenunterricht in der Londoner Volkschule. 1900. — Architektonische Zeitbetrachtungen 1900. Der kunstgewerbliche Dilettantismus in England. 1900. — Die neuere kirchliche Kunst in England. 1902. Stilarchitektur und Baukunst, Mühlheim-Ruhr. 1902. — Das Englische Haus. 3 Bd Ernst Wasmuth A. G., Berlin, II. Aufl. 1908. — Kultur und Kunst. II. Aufl. 1910. — Kunstgewerbe und Architektur. Eugen Diederich, Jena. 1906 — Landhaus und Garten. F Bruckmann, München. II. Aufl. 1910. Landhäuser. F. Bruckmann, München 1912.

Ein siebenjähriger Aufenthalt in England ist für ihn entscheidend. Das Produkt ist sein dreibändiges Standardwerk „Das Englische Haus“. In das preußische Handelsministerium berufen, wird Muthesius dann der erfolgreiche Reformator des Kunstschulwesens.

Muthesius hatte als Sohn eines Maurermeisters, bevor er als Abiturient die Technische Hochschule besuchte, das Maurerhandwerk erlernt. Aus dem Elternhause und der Lehrzeit brachte er so die nötige werkliche Erfahrung mit. Auf der Hochschule lernte er dann die vollkommene Planlosigkeit in der Erziehung zum Architekten kennen. In England sah er den blühenden Werkstättenbetrieb und seine Vorzüge. Auf der anderen Seite musste er konstatieren, dag die Träger der modernen Bewegung in Deutschland in der Hauptzahl nicht ehemalige Technische Hochschüler, akademisch gebildete Architekten waren, sondern Maler, die zum Kunstgewerbe übergegangen und später Architekten geworden: Peter Behrens, Bruno Paul, Richard Riemerschmied, Adalbert Niemeyer, Paul Schultze-Naumburg u. a. Auf der einen Seite also die technisch vielleicht nicht immer genügend vorgebildeten, aber ästhetisch führenden Maler-Kunstgewerbler-Architekten, auf der anderen Seite die von der Hochschule kommenden, mit Maschinenbauern und Chemikern und Elektrotechnikern und Bergund Hüttenleuten erzogenen Stilarchitekten, Architekturtechniker. ,, Gegen das Technisch -Wissenschaftliche“ — meint Muthesius — ,,wäre gewiss nichts einzuwenden.“ (Im Gegenteil verlangen heute die modernen Architekturaufgaben teilweise sogar gesteigerte naturwissenschaftliche und technische Kenntnisse.) ,,Aber es muss doch daran erinnert werden, dass unsere Vorfahren mit einem Minimum von Wissenschaft ganz gute Häuser bauten, während die aus den Technischen Schulen höheren und niedrigen Grades mit einem Maximum davon meist sehr schlechte bauen. Die Wurzel des Übels liegt darin, dass an den Stellen, denen die Verantwortung zufällt, und das sind die Technischen Schulen, die sachlichen Gesichtspunkte von anderen, in den Vorurteilen unserer Zeit liegenden Rücksichten in den Hintergrund gedrängt werden. Man hat dort nicht das Ziel, Baukünstler zu erziehen, sondern Beamte, die den Standesrücksichten bestimmter Beamtenrangklassen genügen. Daher zunächst die Forderung des Abituriums einer neunklassigen höheren Schule. Der zukünftige Baukünstler wird durch die fast ausschließlich philologische Schulung, die ihm dort zufällt, gewiss auf die verkehrteste Weise für seinen Beruf vorgebildet. Sein Gehirn wird in einer Weise entwickelt, die direkt kunstfeindlich ist, seine Gestaltungslust wird unterbunden, sein Auge geblendet, sein Kunstorgan getötet. So tritt er nicht vorgebildet, sondern verbildet . . . in die Hochschule ... Zu einer künstlerischen Ausbildung selbst der bescheidensten Art ist jetzt keine Zeit mehr gelassen, denn es stehen wieder bereits Examina vor der Tür, die einen gewaltigen Wust an Wissenschaft und technischen Kenntnissen erfordern. Man wird also Architekt, ohne Künstler zu werden, d. h. man eignet sich, so rasch es geht, den äußeren Apparat dessen, was man gemeinhin Architektur nennt, an und hantiert damit: Säulenordnungen, romanische und gotische Formen, griechische und deutsche Renaissanceornamente. So tritt der gewesene Architekturschüler ins Leben als genau derselbe künstlerische Barbar, wie er aus der Philologenschule auf die sogen. Hochschule gekommen ist. Er hat überhaupt nichts von Kunst gemerkt, ist nie von ihrem Hauch berührt worden. Dafür erfüllt er aber die Anforderungen, die in Deutschland an die sogen, gebildeten Stände gestellt werden: er ist akademisch gebildet und satisfaktionsfähig. . . . Die Standesanforderungen überdecken völlig die Kluft, die zwischen dem gähnt, was er als Architekt sein sollte und was er wirklich ist. Die Kenntnisse des äußeren Apparates einer Kunst genügen nicht, um Kunstwerke schaffen zu können. Das Mittel Künstler zu erziehen, ist also nicht, in Eile den äußeren Kunstapparat zu übermitteln. Soweit Künstler überhaupt erzogen werden können, muss eine künstlerische Erziehung vor allem in der Bildung des Geschmacks und in der Entwicklung des künstlerischen Gestaltungsvermögens bestehen. Darin hätte auch die Erziehung zum Architekten ihr Schwergewicht zu erblicken“.*)

Seit Muthesius 1907 diese Worte geschrieben, hat man auf einigen Hochschulen die Gesamterziehung zum Architekten mehr von einer künstlerischen Seite aufzufassen gesucht. Der Erfolg ist der, dass auch trotz der Hochschule aus ihr Baukünstler hervorgegangen sind. Der Erfolg wäre weit größer, wenn man klar zwischen Baukünstlern und Baubeamten scheiden wollte, wenn Baubeamte auf der Technischen Hochschule ihre Bildung suchten, für die Baukünstler aber ganz neue Bildungsmöglichkeiten geschaffen würden. Nicht die Kunstakademie in ihrer heutigen Organisation, wo Malerei und Plastik immer noch, gelöst von dem natürlichen und organischen Zusammenhang mit der Baukunst, ein Sonderdasein führen. ,,Eine Allgemeinschule für das Gesamtgebiet der angewandten Künste, in der Architekten, Maler und Bildhauer, Kunstgewerbler und Gärtner auf einheitlicher Grundlage ausgebildet werden.“ Das ist das Ziel von Muthesius. Es wäre auch die logische Entwicklung des modernen Kunstgewerbes und der Kunstgewerbeschulen. Wilhelm Kreis' Düsseldorfer „Kunstgewerbeschule mit besonderer Architektur-Abteilung“ bedeutet einen ersten Schritt zu dieser Allgemeinschule. Wenn es dem verdienstvollen Organisator unseres Kunstschulwesens, Hermann Muthesius, gelänge, die bisherigen Kunsthochschulen zu Allgemeinschulen umzugestalten, so hätte er sich ein bleibendes Verdienst für unsere künstlerische Zukunft gesichert, dem Worte ,,akademisch“ einen wirklichen künstlerischen Lebensinhalt geschaffen.

*) Muthesius. Kunstgewerbe und Architektur S. 22.

Auf diese organisatorische Tätigkeit von Hermann Muthesius hinzuweisen ist nötig, denn die Erziehung zum Architekten ist eine der wichtigsten Kulturfragen der Gegenwart.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Moderne Villen und Landhäuser
Abb. 31 Eintrittshalle im Landhause Hinton House in Ayr, Schottland. Arch.: James A. Morris

Abb. 31 Eintrittshalle im Landhause Hinton House in Ayr, Schottland. Arch.: James A. Morris

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