Moderne Villen und Landhäuser

Von Menschen, Landschaft, Baukunst. Das Haus und seine Einrichtung.
Autor: Klapheck, Richard Prof. (1883-1939) deutscher Kunsthistoriker, Erscheinungsjahr: 1913
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Architekturgeschichte, Landhäuser, Wohnkultur, Kunstschulwesen, Villen, Baukunst, Architektur, Baumeister, Bildhauer, Innenarchitektur, Gartenbaumeister, Gärtner, Bauhandwerker, Stilgefühl, Gesamtarchitektur, Baukunst, Kultur
Der alte Goethe sagte einmal seinem getreuen Eckermann: „Wir haben zwar seit einem Jahrhundert ganz tüchtig kultiviert, allein es können noch ein paar Jahrhunderte hingehen, ehe bei unseren Landsleuten so viel Geist und höhere Kultur eindringen und allgemein werden, dag man von ihnen wird sagen können, es sei lange her, dag sie Barbaren gewesen“.
Einleitung

. . . Aber das Jahrhundert bis zu Goethes Heimgang ist für unsere heutige Bau- und Wohnkultur durchaus nicht ein Jahrhundert einer stetig steigenden Entwicklung. Es ist ein Höhepunkt, auf den dann um die Mitte des 19. Jahrhunderts jäh und unaufhaltsam der Abstieg in die Nacht des Vandalismus und einer absoluten Unfruchtbarkeit folgt. Die elementarsten Gesetzmäßigkeiten der bildenden Künste waren vergessen. Die Städte hörten auf, einheitliche künstlerische Gebilde zu sein, jedes mit einer eigenen Note, waren nichts als Ansammlungen von Menschen. Landschaft und Baukunst, das Haus und seine Einrichtung, der Mensch und seine Beschäftigung hörten auf, eine einheitliche Harmonie zu bilden. Das war der Reiz, der allen alten Städten anhaftet. Baukunst hörte auf, Kunst zu sein oder als Kunst zu gelten, ward eine technische Wissenschaft wie der Maschinenbau und die Vermessungskunst. Doch die exakte Klarheit der rein technischen Wissenschaften fehlte ihr. Jene technische Logik der Ausnützung mathematisch-physikalischer Verhältnisse, die stets eine Schönheit bedeutet in ihrer einfachen Klarheit der Zusammenhänge. Denn Stil bedeutet Vereinfachen. Ein äußerer Mantel historischer Ornamente wollte bei einem technisch-mathematisch in der Raumausnützung unvollkommen gelösten Baukörper an den alten Zusammenhang mit der bildenden Kunst erinnern. Aber dieser Mantel saß niemals, war einem Modejournal entnommen und nicht dem Baukörper eigens angepasst. Kunstgeschichtliche Tafelwerke waren das künstlerische Rüstzeug der Baukünstler, Baukunst eine plastische Dekoration. Aber man hatte vollkommen vergessen, aus welchen technischen, baulichen und materialgerechten Voraussetzungen die so verwandten historischen Formen entstanden waren. Man trieb mit toten Formen Mummenschanz, die ehemals ein organisches Dasein gelebt hatten.

Dieser Niedergang kam aber nicht so plötzlich, wie man nach den erhaltenen Vertretern der baulichen Entwicklung des 19. Jahrhunderts annehmen mag. Er bahnte sich schon allmählich in Goethes Tagen an, als man mit einer heimischen Entwicklung künstlich abschloss. Schinkel und Gilly und ihre Zeitgenossen waren zwar noch zu sehr von einer Tradition einer heimischen Bau- und Wohnkultur belastet, um ausschließlich kunstgelehrte Architekturtechniker werden zu können. Gottfried Semper kann aber das Unheil, das die Tage des Klassizismus ausstreuten, nicht mehr aufhalten. Die Keime der Saat entwickeln sich, Unkraut überwuchert alles künstlerisch Bedeutsame, was der Klassizismus geschaffen hatte.

Nicht Künstler, sondern Archäologen erhalten die Führung in der ästhetischen Bewertung der Dinge. So beginnt der Verfall! Winckelmann hatte ausgerufen: ,,Der einzige Weg für uns, um groß und unnachahmlich zu sein, ist die Nachahmung der Antike.“ Äußere Nachahmung wurde die Parole. Ein gelehrtes Formenstudium, um zu täuschen. Ehemals war die Kunst der Ausdruck eines Zeitgeistes. Keine Form und kein Ornament war aus einer Laune, aus einem Zufall entstanden, weder die antike Säule noch die gotische Fiale. Der Zeitgeist hatte an diesen Formen gearbeitet, seine Wünsche, sein Wollen, seine Ängste ihnen eingeprägt, so dass sie heute noch zu uns reden. Die Seele hatte sich ihren eigenen Leib gebaut. Das alles hörte auf. Zweckfragen, Lebensgewohnheiten, klimatische Verhältnisse redeten überhaupt nicht mehr mit. Man wollte hellenischen Geistes sein und hatte nur eine Toga umgeschlagen.

Wie ich den inneren Menschen an seiner Haltung, seiner Kleidung, seinem Gesicht erkenne, so das Bauprogramm an der Silhouette, an der Fassade. Der antike Tempel ist ein reiner plastischer Denkmalbau, kein großräumiger Innenraum für eine gläubige Gemeinde. Jetzt wird der antike Tempel zu einem christlichen Gotteshause, einer Börse, einem Theater. Grundriss, Aufbau und äußere Gliederung finden keine Gleichung mehr. Mit einer äußerlichen Nachahmung alter Formen, mit einem Bauen von außen nach innen beginnt der Verfall. Man begann nicht mehr bei der Wurzel und wartete, bis die treibenden Keime Blätter und Blüten brachten. Man formte künstlich mit den Kenntnissen des systematischen Botanikers, der alle Kelch- und Blütenblätter kennt, einen wurzellosen Baum mit leblosem Blatt- und Blütenwerk und pflanzte ihn in den Boden. Er gedieh natürlich nicht, konnte nicht Wurzel schlagen und sich nicht fortpflanzen. Man formte neue Bäume, neue Formen. Und so entsteht im 19. Jahrhundert die Stiljagd durch die ganze Kunstgeschichte: auf den Klassizismus und Ägyptizismus folgte die mittelalterliche Romantik, die Renaissance, der Barock, das Rokoko. Heute sind wir beim Klassizismus wieder angelangt.

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Die englische Saat ist bei uns aufgegangen. Werkstätten und Heimatschutz gewinnen mehr und mehr an Einfluss. Das künstlerische Interesse des Laien wendet sich, ermüdet von Gemälde-Ausstellungen und den Debatten der Kunst- und Tagespresse über Futurismus und Conditionalismus, wieder der Ausstattung des eigenen Heimes zu. Die Frage der Kunst wird für ihn eine Frage des Charakters und der Kultur. Ehrlichkeit und Sachlichkeit dringen allmählich durch. Unsere Häuser werden wieder zu Wohnstätten von persönlicher Eigenart. Behörden suchen hier und da doch wenigstens die besten Künstlernamen für ihre Stadterweiterungspläne zu gewinnen.

Wir haben nie so „tüchtig kultiviert“, wie in den letzten acht, neun Jahren. Wenn auch das Brachland vor uns noch so ausgedehnt und groß erscheint, so glaube ich doch, dass Goethes Hoffnungen sich in den folgenden Jahrzehnten verwirklichen werden, "dass man von uns wird sagen können, es sei lange her, dass wir Barbaren gewesen“.

Düsseldorf, November 1913. Richard Klapheck.

Abb. 00 Trecourt, Ansicht von Südosten. Arch.: Baillie Scott

Abb. 00 Trecourt, Ansicht von Südosten. Arch.: Baillie Scott

Abb. 01 The Garthen, Eingangsseite. Arch.: Baillie Scott

Abb. 01 The Garthen, Eingangsseite. Arch.: Baillie Scott

Abb. 13-14 Haus des Architekten T. E. Collcutt in Totteridge bei London

Abb. 13-14 Haus des Architekten T. E. Collcutt in Totteridge bei London

Abb. 11-12 College, Grundrisse. Seite 1-7 aus „House and Gardens“. Arch.: Baillie Scott

Abb. 11-12 College, Grundrisse. Seite 1-7 aus „House and Gardens“. Arch.: Baillie Scott

Abb. 15 „Flete Lodge“ bei Hobleton, Devonshire. Arch.: John D. Sedding

Abb. 15 „Flete Lodge“ bei Hobleton, Devonshire. Arch.: John D. Sedding

Abb. 16 Arbeiterwohnhäuser in Leigh, Kent. Arch.: George und Peto

Abb. 16 Arbeiterwohnhäuser in Leigh, Kent. Arch.: George und Peto

Abb. 17-18 Haus West Drive, Streatham Park bei London. Arch.: Leonard Stokes

Abb. 17-18 Haus West Drive, Streatham Park bei London. Arch.: Leonard Stokes

Abb. 19 Haus in Four Oaks bei Birmingham. Arch.: W. H. Bidlake

Abb. 19 Haus in Four Oaks bei Birmingham. Arch.: W. H. Bidlake

Abb. 2-3 Das Haus mit den lila Fensterläden. Arch.: Baillie Scott

Abb. 2-3 Das Haus mit den lila Fensterläden. Arch.: Baillie Scott