Zweite Fortsetzung

Wie auf den Fidji-Inseln, hat wohl auch auf den meisten ozeanischen Inseln in früherer Zeit die Menschenfresserei geherrscht. Aus den Marquesas-Inseln wurden noch zu Krusensterns Zeit nicht bloß die erschlagenen Feinde verzehrt, sondern in Hungersnot sogar die eigenen Weiber, Kinder und greisen Eltern erwürgt, gebacken und gegessen. Im Innern Borneos scheint diese Unsitte noch nicht ganz erloschen zu sein, und die berühmte Reisende, Frau Ida Pfeiffer, die sich unter diese Kannibalen wagte, meint es nur ihrer Magerkeit zuschreiben zu müssen, dass sie nicht den Appetit ihrer liebenswürdigen Wirte erregte. Auf Neuseeland kann die Menschenfresserei wohl gegenwärtig als vollständig erloschen betrachtet werden. Die Berichterstatter der „Novara Expedition" erzählen, dass jede Anspielung auf diese ehemalige Sitte dem heurigen Neuseeländer peinlich sei, weil sie ihn an den früheren niederen Standpunkt seiner Rasse erinnere. So oft die Reisenden gegen die Eingeborenen eine Erwähnung der Art machten, wandten sie sich mit dem Gefühl der Beschämung ab. Ja es scheint sogar, als ob sie, die Abkömmlinge von Menschenfressern, die von ihnen verabscheute Sitte jetzt den Europäern zutrauten. Die Novara - Expedition bemühte sich nämlich vergeblich einige der Maoris, wie die Eingeborenen Neuseelands heißen, zur Mitreise zu bewegen. Man erfuhr endlich, dass ihr Hauptbedenken darin bestand, dass sie alles Ernstes glaubten, die Weißen wollten einige ihrer Genossen nur statt frischer Provision mitnehmen, in der Absicht, wenn Mangel an Nahrungsmitteln eintreten sollte, sich durch Maorifleisch zu entschädigen und sie aufzuessen. Umsonst wies man aus einige Kaffern hin, die sich schon 15 Monate lang als Matrosen an Bord befanden und die freundlichste Behandlung erfuhr. „Wer weiß", warf einer der Besorgtesten unter den Maoris ein, „vielleicht hat man auch die Kaffern bloß ausgespart, weil der Notmoment noch nicht gekommen war!" —

Weniger scheint der Kannibalismus in Australien erloschen zu sein, und hier sogar unter den nördlichen Stämmen die Sitte zu herrschen, die eigenen Familienmitglieder nach ihrem Tode zu verzehren. Der Novara Expedition wurde bei ihrem Aufenthalte in Australien ein Fall erzählt, wo in der Nähe von Moreton Bai ein Knabe starb, dessen Kopf und Haut vom Körper getrennt und an einem Stock über dem Feuer getrocknet wurden. Herz, Leber und Eingeweide wurden unter die anwesenden Krieger verteilt, welche Stücke davon an den knöchernen Spitzen ihrer Speere mit forttrugen, während die gerösteten Oberschenkel, angeblich die größten Leckerbissen, von den Eltern selbst verzehrt wurden. Haut, Schädel und Knochen dagegen packten die Eingeborenen sorgfältig zusammen und nahmen sie in ihren Säcken aus Grasgeflecht auf die Reise mit. Übrigens existiert gerade in Australien noch ein anderer eigentümlicher Kannibalismus, der weniger in das kulinarische, als in das medizinische Gebiet gehört und auf eine abergläubischen Meinung von gewissen Heilkräften des Menschenfleischgenusses beruht, eine Meinung, die auch anderwärts vorkommt und selbst in Europa einmal dagewesen sein soll. So soll in Australien nicht selten eine Mutter ihr eigenes Kind in dem Wahne aufessen, dass jene Kraft, welche ihre Leibesfrucht ihr entzogen, auf solche Weise wieder in den Körper zurückkehre. So sollen ferner die Eingebornen, wenn ihnen ein Krieger eines feindlichen Stammes in die Hände fällt, ihrem Opfer mit fanatischer Wildheit das Fett der Nieren aus dem Leibe reißen und sich damit beschmieren, in dem Glauben, dass es dem Körper Kraft, dem Herzen Mut verleihe. Endlich ist auch Australien eines der seltenen Länder, in denen ein Teil des menschlichen Skelets zum Geräte dient. Im südlichen Australien nämlich benutzen die Urbewohner ausgehöhlte Menschenschädel als Trinkgefäße, wie es die Geschichte ähnlich von den alten Longobarden berichtet. Jedes Weib soll dort eine selche Kalebasse besitzen, die es gewöhnlich selbst fabriziert.


Wir müssen nun den Leser noch in ein anderes Land hinübergeleiten das in nächster Zeit das Dorado aller derer geworden ist, die das Gruseln lernen wollen, und in dem seit Menschengedenken auch die Menschenfresserei sich einer besonderen Gunst und Gnade erfreut hat, nach Afrika. Schon Claudius Ptolemäus berichtete vor 1.700 Jahren von einem schwarzen Kannibalenvolk, das an den Küsten des barbarischen Meerbusens im Osten der Nilquellen wohnen sollte. Auch die Portugiesen, welche auf ihren Entdeckungsfahrten nach Ostindien sich für längere Zeit an der afrikanischen Ostküste festsetzten, erzählen von Negerstämmen, welche „die Hände und Köpfe ihrer erschlagenen Feinde im Triumph vor ihren Häuptling brachten und das Fleisch ihrer blutigen Trophäen dann kochten oder brieten und verzehrten, während die Schädel ihnen zu Trinkgefäßen dienten." Die Sage von den afrikanischen Menschenfressern hat seitdem nie geschwiegen, und ihre Existenz in den verschiedensten Teilen Afrikas konnte kaum in Zweifel gezogen werden. Leider aber wollte es lange keinem Reisenden gelingen, bis zu ihnen vorzudringen und ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Erst ganz neuerdings haben wir durch Männer wie Vogel, du Chaillu, v. Henglin, welche diese vielleicht mehr interessanten als liebenswürdigen Völker baucht haben, zuverlässige Nachrichten über deren Existenz, wie über die Sitten und Gewohnheiten derselben erhalten.

Ganz so schrecklich, wie die Fama sie machte, haben sich diese Menschen denn doch nicht erwiesen. Als Vogel auf seiner Reise zum Benue nach Jacoba, der Hauptstadt von Bautschi, kam, wurde er vor Kannibalenstämmen gewarnt, die an den Ufern des Benue hausen sollten, und die man allgemein als Njem-njem bezeichnete, unter denen aber die Tangala die schlimmsten sein sollten. „Diese Stämme", schreibt Vogel (5. Dezember 1855), „habe ich besucht und bin recht wohl aufgenommen worden. Die Tangala, der Schrecken der umliegenden Gegend, sind wirklich wilde Burschen, die Menschenfleisch allem Anderen vorziehen. Entweder war ich ihnen aber zu mager, oder meine Flinte flößte ihnen einen heilsamen Schrecken ein; kurz, sie hielten sich in ehrfurchtsvoller Entfernung, und nur einige der Kühnsten kamen nahe genug, um die Perlen usw., die ich ihnen entgegenhielt, in Empfang zu nehmen. Dass sie aber die Kranken ihres Stammes essen", schreibt er weiter, „ist unwahr; ich habe zufällig zwei Leute in ihren Dörfern sterben sehen und gefunden, dass sie mit äußerster Sorgfalt gepflegt wurden. Dagegen essen sie alle im Kriege erlegten Feinde; die Brust gehört dem Sultan, der Kopf, als der schlechteste Teil, wird den Weibern übergeben. Die zarteren Teile werden an der Sonne getrocknet und dem gewöhnlichen Mehlbrei als Pulver beigemischt."

Unter den vielen Übertreibungen, welche sich die Afrikaner in Betreff ihrer Menschenfressenden Nachbarn erlauben, ist eine der gewöhnlichsten die auch von Vogel berührte, dass sie Kranke und halbverweste Leichen äßen. Auch du Chaillu hat sich von den Küstenstämmen am Gabun dies Märchen ausbinden lassen und erzählt sogar in dieser Hinsicht Manches, was er mit seiner etwas lebhaften Phantasie erlebt zu haben glaubt. So sei, während er sich bei dem König der menschenfressenden Fans aufhielt, eines Tages der tote Körper eines Mannes aus einem benachbarten Orte gebracht werden, der angekauft war und nun zerteilt und verschmaust ward, obgleich er noch die Spuren der Krankheit, an welcher er gestorben, an sich trug. Es wurde ihm ferner von den Fans selbst erzählt, dass sie beständig die Toten von einem benachbarten Stamme kauften und ihnen dagegen die ihrigen überließen, ja, dass in ihrem eigenen Stamme die Familien gegenseitig ihre Toten verkauften und sie selbst die Körper der gestorbenen Sklaven von Nachbarstämmen um eine Kleinigkeit an Elfenbein einzutauschen suchten. Das Äußerste glaubt du Chaillu selbst nicht mehr, dass nämlich ein Trupp Fans nach der Seeküste gekommen sei und von dem Kirchhofe der Mission einen frischbegrabenen Leichnam gestohlen und verzehrt habe. Im Übrigen unterliegt es keinem Zweifel und wird auch durch andere Gewährsmänner bestätigt, dass die Fans arge Menschenfresser sind. Überall in ihrem Dorf sah du Chaillu Knochen und blutige Überreste von Menschen liegen, und „war ich noch ungläubig", erzählt er, „so beseitigte ein Weib, dem ich begegnete, jeden Zweifel; sie trug, wie bei uns eine Köchin eine Kalbskeule, ein Stück von einem menschlichen Schenkel."

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschenfresserei.