Erste Fortsetzung

Der bekannte Botaniker und Reisende, Berthold Seemann, befand sich vor einigen Jahren auf einer Inselwelt des Großen Ozeans, die unter dem Namen der Fidji Inseln in Betreff der Menschenfresserei immer einen hervorragenden Ruf behauptet hat und deren Bewohner wenigstens damals noch nicht ganz dieser Gewohnheit entsagt hatten. Er hat dort die großen Öfen gesehen, in denen die Leiber menschlicher Schlachtopfer gebraten und die Töpfe, in denen sie gekocht wurden. Erst vier Monate vorher war es dem englischen Konsul Pritchard gelungen, den mächtigsten Häuptling der Insel, Witi Lewu, zu bereden, dass er selbst den Kannibalismus aufgebe und ihn auch in seinem Lande verbiete. Einer seiner Halbbrüder, der erst kurz vorher als Gouverneur der Stadt Nomosi gestorben war, hatte eine ganz besondere Leidenschaft für Menschenfleisch. Vergebens hatte ihm sein Lieblingsweib und ein seit längeren Jahren in der Stadt ansässiger Engländer die Notwendigkeit vorgestellt, diesem abscheulichen Gelüste zu entsagen, wenn er sich nicht körperlich ruinieren wolle. Denn man behauptet allgemein, und es scheint nicht ganz unbegründet, dass das Menschenfleisch sehr schwer zu verdauen sei und dass selbst die stärksten und gesündesten Männer nach einem Kannibalenmahl zwei bis drei Tage leidend seien. Wie viele Menschen in Namosi verzehrt worden sind, vermag Seemann nicht anzugeben; aber man kann sich wenigstens eine ungefähre Vorstellung davon machen, da für jeden in die Stadt gebrachten Leichnam neben einem der Bures oder öffentlichen Fremdenhäuser ein Stein hingelegt wird und Seemann allein an dem großen Bure 400 solcher Steine zählte, obwohl nach der Aussage der Eingebornen eine große Zahl derselben vor einiger Zeit durch eine Überschwemmung des Flusses fortgerissen worden war. Die Öfen, die auf dem öffentlichen Platze stehen, sind ganz ausschließlich nur zum Braten menschlicher Leiber bestimmt; ebenso werden die Töpfe, in denen Menschenfleisch gekocht wird, in der Küche niemals zu anderen Zwecken verwendet. Merkwürdiger Weise aßen die Eingeborenen das Menschenfleisch mit Gabeln, die aus dem harten Holze einer Casuarine gemacht sind, während sie doch jede andere Speise mit den Fingern zu sich nehmen. Diese Gabeln werden hochgeschätzt und wandern als Erbstück von Generation zu Generation. Es kostete dem Reisenden viel Überredungskunst, um ein paar von diesen Gabeln für seine ethnologische Sammlung zu erwerben. Bei der Zubereitung pflegt man das Fleisch etwas zu salzen und verzehrt es gewöhnlich in Verbindung mit drei Gemüsen, die von einem Solanum (S. anthropophagorum, das von Seemann bereits in die europäischen Gärten eingeführt ist), einer Nesselart und einer Wolfsmilchart hergenommen werden.

Wenn gleich der Kannibalismus auf den Fidji-Inseln noch ziemlich verbreitet ist, so meint Seemann doch, man würde irren, wenn man annehmen wollte, dass alle Fidji-Insulaner, die nicht zum Christentum, bekehrt sind, noch Kannibalen wären. „Es gibt unter ihnen", sagt er, „eine Anzahl, die man in Ermangelung einer besseren Bezeichnung die „liberale Partei“ nennen könnte, die nie Menschenfleisch isst, auch den Bures sich nicht nähert, wenn Leichname dort hingebracht sind, und welche diese Sitte ebenso verabscheut, wie wir Europäer, und ihr die abscheulichen Hautkrankheiten zuschreibt, von denen die Kinder so oft heimgesucht sind. Aber ihre Gegner behaupten, dass es, um den Feinden und den niederen Volksklassen Schrecken einzuflößen, für einen großen Häuptling durchaus notwendig sei, Menschenfleisch zu essen. Das Gefühl des Volkes hinsichtlich dieses Punktes scheint dem Schrecken ziemlich ähnlich zu sein, den unsere Ammenmärchen durch die Episode einflößen, in welcher die Riesen nach Hause kommen und die versteckten Kinder zu riechen anfangen. Die aufgeklärte Partei protestiert auch gegen das Töten von Weibern und geht von der Überzeugung aus, dass es ebenso feig ist, ein Weib, wie ein Kind zu töten. Aber die Advokaten der Unmenschlichkeit haben auch hier noch immer das Übergewicht. Sie machen geltend, dass es die beste Rache an den Männern sei, wenn man ihre Weiber totschlage, da sie sich darüber grämen müssten, und dass, da zu allen Streitigkeiten ganz unzweifelhaft stets ein Weib die Veranlassung gebe, es vollkommen in der Gerechtigkeit begründet wäre, dass die Weiber, die das Blutvergießen verschuldet haben, nicht ungestraft davon kommen."


Eine wie scheußliche Verirrung die Menschenfresserei auch sein mag, so dürfen wir doch die Menschen, die dieser Sitte seit Jahrhunderten und mit äußerster Hartnäckigkeit ergeben gewesen sind, nicht in jeder Beziehung uns als Unmenschen und Scheusale vorstellen. Aus die Fidji-Insulaner wenigstens passt das nicht. „Sind sie auch Kannibalen", sagt Seemann, der lange unter ihnen verweilt und mit ihnen verkehrt hat, „so haben sie doch viele gute Eigenschaften; wären sie auch nur halb so schlecht, wie man sie schildert, so würden sie längst zu den ausgerotteten Stämmen gehören. Das Publikum hat viel darüber gehört, dass die im Kampf erschlagenen Feinde gefressen werden, aber sehr wenig von der allgemeinen Freude über die Geburt eines Kindes und über die gegenseitige Liebe der Familienmitglieder; es hat viel gehört über die Sitte des Vatermordes und über die Erdrosselung der Weiber bei dem Tode ihrer Männer, aber nicht über das angeborene Gefühl der Anhänglichkeit, welches in diesen Handlungen einen allerdings befremdlichen Ausdruck sucht." —

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschenfresserei.