Dritte Fortsetzung

Auch Ladislaus Magyar erzählt von Kannibalenstämmen Westafrikas, die er aus seiner Reise von Benguela nach seiner neuen Heimat, dem Königreich Bihe, angetroffen. Bei den Hambo oder Munano, sagt er, werde das Menschenfleisch öffentlich feilgeboten, aber nur für die Einheimischen, da man Fremden gegenüber überhaupt diese Unsitte verleugne. Sie pflegen Kranke, Greise, Kinder und Sklaven zu schlachten, wie Magyar selbst wiederholt mit angesehen. Vom Mann wird der Kopf, vom Weibe der Oberschenkel weggeworfen, warum, weiß der Erzähler nicht anzugeben. Von den Kiakka in derselben Gegend berichtet er, dass sie bei festlichen Gelegenheiten Kriegsgefangene schlachten und ihr Fleisch mit Hundefleisch und Rindfleisch vermischt verzehre. Auch sollen sie von ihren Nachbarn Kinde, sich stehlen, sie zu essen.

Wären es nicht Augenzeugen, die über solche Gräuel berichten, so würden wir kaum dem Leser zumuten, etwas davon zu glauben. Denn was Neger darüber erzählen, ist selten sehr glaubhaft. Es ist ganz gewöhnlich in Afrika, dass man benachbarte Stämme, mit denen man in Feindschaft lebt, von denen man durch Sitte, Abstammung, vielleicht auch Religion geschieden ist, deren Überlegenheit man überdies vielleicht oft empfunden hat, als Kannibalen, als Njem-njem, bezeichet. Es ist das oft nichts, als ein nationaler Schimpf, durch den man seinem Hasse oder seiner Furcht einen Ausdruck gibt. An der Westküste Afrikas gilt der Europäer sehr gewöhnlich als Menschenfresser, und zwar einfach, weil man sich seinen Menschenhandel nicht recht hat ohne Menschenfresserei erklären können. Der englische Reisende Reade erzählt eine amüsante Geschichte, die mit diesem Verdacht in Verbindung steht. Als er sich längere Zeit am Kongo aufhielt, hatte er, um nicht gegen die Sitte des Landes anzustoßen, einige Frauen genommen — Sklavinnen wäre unanständig gewesen. Eines Abends sitzt er mit einer dieser Frauen, einer jungen, liebenswürdigen Schwarzen, vor der Tür seiner Hütte und der Anblick der wundervollen Natur erfüllt ihn mit solchem Entzücken, dass er in einem Augenblick der Erregung sich zu seiner Schwarzen niederbeugt und einen Kuss auf ihre Lippen drückt. Mit einem fürchterlichen Schrei springt das arme Weib auf und flüchtet jammernd und hilferufend unter die Bewohner des Dorfes. Nur mit Mühe gelingt es dem nacheilenden Engländer, sie zu beschwichtigen, und er erfährt nun, dass die arme Schwarze den Kuss — der in Afrika völlig unbekannt ist — für das erste Symptom des ausbrechenden Kannibalismus ihres weißen Gatten gehalten hat!


Wir wollen den Leser nicht mit weiteren Kannibalenbräuchen unterhalten. Selbst wenn er von dem, was er gehört hat, Manches streicht, wird noch genug übrig bleiben, ihn mit einigem unheimlichen Grauen zu erfüllen, wie es jeder Reisende empfunden hat, der unter diesen Völkern verweilte. Seinem gebildeten Geschmack wird schwerlich zusagen, was von jener jungen Dschagga-Königin am Kongo erzählt wird, die, ein wahres Muster weiblicher Launenhaftigkeit, an dem einen Tage einen Liebhaber umarmte, am andern Tage ihn aufaß. Um so auffallender kontrastiert mit diesem Grauen die übereinstimmende Beobachtung aller Reisenden, dass diese menschenfressenden Nationen keineswegs zu den rohesten und auf tiefster Kulturstufe stehenden Völkern gehören, dass sie im Gegenteil sittlich wie geistig ihren Nachbarn meist weit überlegen sind. Ähnliche Erfahrungen sind ja schon an den Caraiben Westindiens, an den alten Mexikanern und den Kanälen der Sandwichgruppe gemacht worden. Von den Fidji-Insulanern und den Maoris Neuseelands ist schon oben bemerkt worden, dass sie zu den edelsten und intelligentesten Stämmen der braunen Rasse gehören. Aber auch Heuglin, der seine Reise bekanntlich in Gesellschaft von drei Damen, Madame Tinne, deren Schwester und Tochter, machte, berichtet in ähnlich günstiger Weise über die gefürchteten Njem-njem des westlichen Bahr el-Chasal-Gebiets. „Alle ihre Produkte", sagt er, „zeigen auf den ersten Blick, dass das Volk auf einer weit höheren Stufe steht, als seine Nachbarn im Osten und Norden, und die Form ihrer Wurfmesser, Säbelmesser, Schilde etc. erinnert stark an die Produkte der Länder um den Tsadsee." Selbst du Chaillu, der so schaudererregende Schilderungen von den Sitten der Fans in der Gabun-Gegend gegeben hat, vermag ihnen nicht eine bedeutende geistige und Physische Überlegenheit abzusprechen. „Bei allen den abschreckenden Gebräuchen der Fans", sagt er, „haben sie doch bei mir den Eindruck als des vielversprechendsten Volkes in ganz Westafrika hinterlassen. Sie kamen mir mit unwandelbarer Gastfreunschaft und Güte entgegen, und es schienen mir in ihnen Keime zu liegen, welche dieses rohe Volk für Zivilisation empfänglicher machen, als irgend einen andern mir in Afrika bekannten Volksstamm. Kräftig, stolz, kriegerisch, ebenso mutig als edel, sind sie gefährliche Feinde, und ich bin der Meinung, dass die große Familie, von welcher sie nur ein kleiner Zweig sind und welche die große Bergkette (?) bewohnt, die sich meinen Forschungen nach quer über den ganzen Kontinent hinzieht, es gewesen ist, welche die Fortschritte der muhammedanischen Eroberer in diesem Teile Afrikas aufgehalten hat." Ganz besonders überraschend war bei den Fans wie bei den Njem-njems ihre Geschicklichkeit in der Bearbeitung des Eisens, das sie aus den eignen Erzen des Landes durch ein zwar noch sehr einfaches und langwieriges Verfahren, aber in so vortrefflicher Weise gewinnen, dass sie es dem europäischen Eilen vorziehen.

Dies Zusammentreffen einer gewissen Kultur und einer ziemlich hohen physischen und geistigen Begabung mit einer von allen gebildeten Völkern mit Recht aus das Tiefste verabscheuten Unsitte ist eines der merkwürdigsten Rätsel auf dem Gebiet der Menschenforschung. Es klingt befremdend, dass man in der Menschenfresserei nicht mehr den Beweis völlig vertierter Rohheit und absoluter Unfähigkeit zu höherer Zivilisation erblicken soll. Unsere empfindsamen Lesern wird aber damit zugleich der Trost geboten, dass in dieser Bildungsfähigkeit der Menschenfresser ihr unnatürlichen Laster sich selbst eine Grenze steckt und dass es bei den Fans und bei den Njem-njems ebenso schwinden wird, wie bei den Maoris auf Neuseeland, wenn die europäische Zivilisation es verstanden haben wird, sich dieser Völker wahrhaft zu bemächtigen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Menschenfresserei.