Reinlichkeit

Wer sich vom Standpunkte heutiger Verwöhnung aus über die schlechten Straßen jener Zeit und zumal über ihren unglaublichen Schmutz wundern wollte, der darf nicht vergessen, dass ein Geschlecht, welches in seinen Wohnungen und an sich selbst den Begriff der Reinlichkeit überhaupt nicht kannte, darin eben gar nicht anspruchsvoll war.

Die Galerie vor den Zimmern der Prinzessin Wilhelmine im Berliner Schloss benutzten die Wachen als Abort, denn besondere Einrichtungen dafür waren damals noch lange nicht allgemein. Ist doch selbst im Schlosse zu Versailles der erste lieu d'aisance erst unter Ludwig XVI. angelegt worden, und diente nur für den König und die Königin. Henri de Gatt kann es im Kloster Grüssau vor Unsauberkeit und schlechter Luft kaum aushalten, so wenig wie Keyßler in der „Schweinerey“ des Dogenpalastes in Venedig. Liselotte findet in Saint Gloud vor Wanzen keinen Schlaf und sie tröstet sich nur mit dem Schicksal ihrer Tochter, der Königin von Sizilien, der es in ihren Betten nicht besser geht. Ebensowenig wie Klosetteinrichtungen gab es Badezimmer. Die eine Badewanne in Versailles war vermauert worden und wurde, als man sie zufällig auffand, als Schale für einen Springbrunnen in den Park der Pompadour versetzt. Ludwig XIV. hatte nur gebadet, wie St. Simon erzählt, als er noch verliebt war.


Dieser große Herrscher pflegte sich beim Aufstehen mit einem in Parfüm getauchten Tuch das Cesicht abzuwischen, ein Edelmann goss ihm ein paar Tropfen Rosen- und Orangenwasser über die Fingerspitzen und damit war er fertig. Wenn in einer Anleitung zum guten Ton zum Gebrauch für die höheren Stände noch 1782 vor dem Gebrauch des Wassers zum Waschen gewarnt wird und dafür Parfüm empfohlen wird, wenn man liest, dass es gut sei, sich beinahe täglich die Hände und fast ebenso oft das Gesicht zu waschen, so wundert man sich über nichts mehr. Kaiserin Anna von Russland brauchte niemals Wasser zu ihrer Toilette, sondern rieb sich mit Butter ab. Liselotte, die ihre Tageseinteilung einmal genau beschreibt, bemerkt, dass sie sich nach dem Aufstehen die Hände wäscht, das ist alles, und darum suchen wir in den Prachträumen jener Zeit den Waschtisch ganz vergeblich.

Es gibt detailgetreue Abbildungen der Wohnzimmer Ludwig XIV., des Prinzen Eugen u. a., sie zeigen keine Spur von einem Waschtisch. Die Waschbecken, die uns aus jener Zeit erhalten sind, haben die Größe etwa von Fingerbowls, wie wir uns ihrer bei Tisch nach dem Obstessen bedienen. Nimmt man dazu, dass diese Herrschaften, Herren wie Damen, alle schnupften (Tabakdosen waren die beliebtesten Geschenke für Damen, zur Ausstattung Marie Antoinettes gehörten 52 goldene Dosen, der Prinz Conti hinterließ 800 Dosen, Graf Brühl ebenso viele), so kann man sich vorstellen, wie sauber sie ausgesehen und wie sie — gerochen haben. Liselotte sagt vom Schnupftabak, dass er stinkend und allen Damen schmutzige Nasen mache. Die schöne Aurora von Königsmarck roch so übel, dass August der Starke ihr eine andere vorzog; von der Frau Friedrichs des Großen sagte ihre liebende Schwägerin: Sie stinkt entsetzlich.

Der berühmte Anton Magliabecchi wusch sich nie und war ebenso berüchtigt durch seine Unreinlichkeit wie der unsterbliche Leibniz. Die Aversion Liselottens gegen das Baden — sie schreibt einmal: „Baden wäre meine sache nicht, habe diese lust mein lebe lang nicht begreifen können“ — dauert das ganze Jahrhundert hindurch an. Goethe rechnet das Baden im fließenden Wasser unter die „damaligen Verrücktheiten“ seiner Jugend und als er und die Grafen Stolberg in Darmstadt, in der Schweiz sich im Freien baden, da ziehen sie ihren Gastgebern Merck und Lavater den größten Verdruss zu; die Rechtgläubigkeit des Theologiestudenten Seume wird 1780 vom Konsistorium in Leipzig in Zweifel gezogen, weil er sich zu oft gebadet hätte!

Es war etwas so Ungewöhnliches, sich die Zähne zu putzen, dass Fürst Kaunitz eine Hauptaffäre daraus machte, die er, unbekümmert um Ort und Gesellschaft, unmittelbar nach dem Essen, noch bei Tische sitzend, vornimmt. In späteren Jahren wurde den französischen Prinzen die Zähne einmal im Monat von einer eigens damit beauftragten Person gereinigt. Dass der Jenenser Student Bartholomäus Fischenich seine Nägel pflegte, erschien Charlotte von Schiller so lächerlich, dass sie über ihn schreibt: „F. putzt die Nägel fleißig. Wir haben ausgedacht, er könne darauf reisen und wie ein Zahnarzt seine Kunst ausbieten. Damen werden bald für wichtig halten, schöne Nägel zu haben.“ Sie ahnt also die Manicure! Diesen Anschauungen entsprachen die Manieren.