Die Mode

Die Vorherrschaft, die Ludwig XIV. in Europa ausübte, du Modi hat sich zwar auf allen Gebieten des Lebens in Politik, Kunst und Literatur gleichmäßig geäußert, sich doch aber auf keinem anderen so augenfällig zur Geltung gebracht als auf dem der Mode. Alle Unterschiede, welche bis dahin der Kleidung einzelner Länder und Städte ein gewisses charakteristisches Gepräge verliehen hatten, verschwinden mehr und mehr vor der unaufhaltsam vordringenden französischen Mode.

Alle Ordnungen und Verbote sind vergebens. Nichts vermag ihren Siegeszug aufzuhalten. Die Kleidung der Gesellschaft wird im Lauf des 18. Jahrhunderts überall die gleiche, nämlich die französische, und in diesem Sinne sprach Caraccioli damals mit Recht von dem französischen Europa. Die Geschichte der französischen Mode wird dadurch ganz von selbst zu einer Modegeschichte Europas, das Vorbild des Hofes von Versailles beeinflusst die Gesellschaft in Paris, und von da aus die übrige Welt. Die Mode wirkte sicher, wenn sie auch beim Herabsteigen der sozialen Stufenleiter die untersten Schichten ebensogut später erreichte wie die räumlich entfernter Wohnenden. Jeder formte sich doch nach besten Kräften nach ihrem Bilde. Und wenn das Pariser Muster auch nicht überall erreicht wurde, so blieb es doch das Ideal, nach dem man strebte.


Es ist ja auch ganz selbstverständlich, dass man schneller dazu gelangte, die äußeren Formen der bewunderten französischen Kultur anzunehmen als ihren Geist. Wer sich französisch kleidete, dokumentierte schon dadurch seine Zügehörigkeit zu einer höheren Klasse, und diese Tendenz, sich dem französischen Geschmack anzupassen, wurde von Frankreich aus um so systematischer unterstützt, als die französischen Manufakturen zum größten Teil Luxusartikel produzierten: Sammet- und Seidenstoffe, Spitzen, Tressen u. dergl. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte man in Paris begonnen, alle Monat einmal eine vollständig nach neuester Mode kostümierte lebensgroße Puppe nach London zu senden: „die große Pandora“ in Staatstoilette, „die kleine Pandora“ in Négligé gekleidet.

Diese Puppe der Rue Saint Honoré wurde anfänglich im Hotel Rambouillet zurecht gemacht mit der gern geleisteten Hilfe der berühmten Mademoiselle de Scudéry, jener fruchtbaren Romanschriftstellerin, die man zwar nicht mehr liest, aber aus Hoffmanns Erzählungen so gut kennt. Diese Puppe wanderte so regelmäßig über den Kanal, dass selbst Kriegszeiten die englischen Damen nicht der Möglichkeit beraubten, sich allmonatlich über die letzte Pariser Mode zu orientieren. Mitten im Spanischen Erbfolgekriege bestellte König Georg I. von England die ganze Ausstattung seiner deutschen Schwiegertochter in Paris. Die feindlichen Generale erlaubten Pandora stets frei zu passieren, eine Galanterie, der erst ein Barbar, wie Napoleon, ein Ende machte.

Als zu Anfang des 19. Jahrhunderts die englischen Damen auf den Besuch Pandoras zu verzichten gezwungen waren, sahen sie sich, wie Mrs. Bury-Palliser bedauernd bemerkt, leider genötigt, sich nach eigenem Geschmack zu kleiden. Nachdem sie der Not gehorchend einmal in diesen Fehler verfallen mussten, haben sie ihn leider als Gewohnheit einwurzeln lassen; von dem Resultat kann jeder Besucher Englands sich schaudernd überzeugen. Mit der Zeit reiste Pandora auch nach anderen Orten als gerade nur nach London und formte nach ihrem Bilde in Russland wie in Deutschland und Italien aus der Europäerin die Pariserin. Wir wollen aber nicht verschweigen, dass es schon im 18. Jahrhundert Leute gab, welche behaupteten, dass Pandora im Ausland stets die Moden von vorgestern und nicht die von heute trüge; so findet die Fürstin Liechtenstein die Damen des Ansbacher Hofes angezogen und dekolletiert, wie sie es nie gesehen, und Nicolai konstatiert bei seiner Reise durch Deutschland, dass das vornehme Frauenzimmer in Augsburg, Stuttgart und anderswo sich zwar französisch kleide, aber nach der vorletzten Mode! Als der Großfürst Paul von Russland 1782 in Frankfurt a. M. den Adel der Umgebung empfängt, da findet sein Hof, dass die Kleider desselben einer Mode angehören, die mindestens 40 Jahre alt sein müsse.
129. Hubert, Voltaire am Schreibtisch

129. Hubert, Voltaire am Schreibtisch

130. Louis-Michel Van Loo, Denis Diderot

130. Louis-Michel Van Loo, Denis Diderot

131. Brandom, Londoner Gesellschaft im Pantheon in Oxford Road, 1772

131. Brandom, Londoner Gesellschaft im Pantheon in Oxford Road, 1772

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