Das Porzellan

Sich heute das 18. Jahrhundert ohne das Porzellan vorzustellen, erscheint gerade so unmöglich, wie Biedermeier ohne die Lithographie zu denken oder das zweite Kaiserreich ohne den Photographen. Das chinesische Porzellan war in Europa seit langem bekannt und hochgeschätzt — August der Starke gab Friedrich Wilhelm I. für einige besonders schöne Vasen ein ganzes Regiment Soldaten — es in seiner eigenen Masse nachzumachen, war aber noch nicht dauernd geglückt.

Es ist bekannt, wie der Arkanist Johann Friedrich Böttger von August dem Starken zum Goldmachen angestellt, durch Zufall mit der Porzellanerde bekannt wurde und eine Erfindung machte, die wenigstens indirekt gutes Gold einbrachte. Seit 1713 zum ersten Male die Leipziger Messe mit Böttgerscher Ware beschickt werden konnte, eroberte sich das sächsische Porzellan den europäischen Markt.


Es trat anfänglich in der Maske seiner ostasiatischen Heimat auf, denn die Bizarrerie des chinesischen Stils führte eben ihren ersten siegreichen Vorstoß gegen die Kunst des Westens aus. Chinesisches Porzellan, chinesischer Lack, chinesische Seiden waren die begehrtesten Luxusartikel; glockenbehängte Pagoden, schwebende Brücken von Bambusrohr, bezopfte Chinesen mit langen Pfeifen waren so beliebte Elemente der Dekoration, dass sie aus dem Rokoko nicht mehr verschwunden sind, ja, wie Edmond de Goncourt einmal sehr hübsch sagt: China zu einer Provinz des Rokoko machten. Trotz der eifersüchtigen Hut, mit der die Fabrikation in Meißen bewacht wurde, gelang es auf die Dauer weder das Fabrikat für chinesisch auszugeben, noch auch das Geheimnis der Herstellung zu bewahren. 1718 entstand in Wien eine Porzellanfabrik, der seit den vierziger Jahren weitere Manufakturen in Berlin, Fürstenberg, Frankenthal, Nymphenburg usw. folgten. In ihren Erzeugnissen verkörpert sich heute für uns das 18. Jahrhundert, dessen Anschauungen wir in der anmutigen Form des Gebrauchsgeräts so gut wiederfinden wie in der preziösen Grazie der zierlichen Figürchen und Vasen. Indem man dies köstliche Material dem eigenen Bedürfnis anpasste, fand man auch sofort den Stil dafür. Die Meißner Manufaktur wirkte auf diesem Gebiet ebenso schöpferisch wie bahnbrechend und hat für alle Zeiten die Grenzen abgesteckt, jenseits deren der Porzellanstil sich nicht wagen darf, will er sich nicht selbst aufgeben.

Ein günstiger Zufall war es, der die neue Kunst auch sofort vor dankbare Aufgaben stellte, als es galt, für die neuen Luxusgetränke Kaffee, Tee und Schokolade Gefäße zu bilden, und der glänzenden Lösung, die sie in ihren Bechern und Tassen für diese Aufgabe fand, hatte die Porzellankunst es zu danken, dass die vornehme Gesellschaft damit begann, ihre ganze Tafel mit Porzellan zu besetzen. Bis dahin hatten Reiche von Silber oder Vermeil, minder Begüterte von Zinn oder Steingut gegessen, den Tafelschmuck fertigte der Konditor aus Zucker oder Dragant. Alle diese Materialien verdrängt jetzt das Porzellan. Seit 1734 liefert Meißen Tafelservice, bei denen Form und Malerei um den Vorrang zu streiten scheinen, liefert es jene Serien von Gruppen und Figuren, die in Modellierung und Bemalung auf kleinstem Raum das höchste künstlerische Vermögen ihrer Bildner verraten.

Ob es nun Meißner Schäfer und Schäferinnen, Fischer, Jäger. Bauern sind, oder Nymphenburger Kavaliere und Damen, immer sind es Angehörige der vornehmen Welt, die wir vor uns haben, immer lächelt aus ihren süßen Gesichtchen die kokette Schelmerei, tragen sie die ländliche Maskerade mit derselben Ziererei wie den spitzenbesetzten Putz, immer ist ihr Tun das gleiche leichte Getändel. Die Gruppen bringen diese herzigen Dämchen und allerliebsten Herrchen in Situationen voll schalkhaften Humors und drolliger Neckerei, wo die leise Affektation ihrer Haltung die gesenkten Köpfchen und gespreizten Fingerchen, die tänzelnden Beinderln und gebauschten Röcke uns verraten, was man in der Perückenzeit unter Grazie verstand, wie man sich hielt, als das Menuett den Rhythmus der Bewegung angab. Zu diesen Tischdekorationen und Gebrauchsgefäßen tritt bald der ganze Kleinkram der Bedürfnisse des Luxus an Dosen, Flakons, Stockgriffen, Etuis, Vasen, Uhrgehäusen, Potpourris etc. Das Porzellan scheint sich geradezu die ganze Kultur untertänig machen zu wollen und vergißt wie ein glücklicher Eroberer die Grenzen seiner Macht. Die Freude an dem herrlichen Material verleitet den berühmten Kandier dazu, sich an die Ausführung einer überlebensgroßen porzellanenen Reiterstatue Augusts III. von Polen zu wagen und lässt Carl III. von Spanien in seinen Schlössern Zimmer völlig mit Reliefplatten von Porzellan auskleiden, ein Unternehmen, bei dem das Missverhältnis zwischen dem erzielten Resultat und der aufgewandten Mühe deutlich darauf hinweist, welche Schranken der Leistungsfähigkeit dieses festen, aber spröden und technisch unzuverlässigen Materials gezogen sind.

Das Porzellan errang sich seinen Platz bald auch in der Dekoration. Entweder belegte man wie in dem Zimmer des Grafen Dubsky in Brunn die Wände mit vielen Hundert kleiner Platten von Porzellan oder man überzog sie mit hölzernem Schnitzwerk, das auf tausend kleinen und kleinsten wie in zufälligem Spiel entstandenen Vorsprüngen und Konsolen Raum zur Aufstellung von Tassen, Vasen und Figuren bot, während dahinter befestigte Spiegel das unruhige Spiel des Lichts auf Farben und Glasur steigerten und vervielfältigten. August der Starke errichtete für seine Porzellansammlung ein eigenes Schloss, das japanische Palais, dessen Erdgeschoss für chinesisches und japanisches Geschirr bestimmt war, während das erste Stockwerk dem Meißener Porzellan vorbehalten blieb. Bei der Einrichtung war der Gedanke maßgebend, dass in jedem Zimmer Porzellan von einer Farbe vorherrschen sollte. In der Schlosskapelle waren nicht nur die großen Statuen, sondern auch Kanzel und Altar in Porzellan projektiert. Als der Pariser Kunsttischler Martin Carlin begann, seine Möbel mit Sevresplatten zu inkrustieren, fand sein Geschmack solchen Beifall, dass die Herzogin von Valentinois sich 1778 in Longchamps in einer ganz mit Porzellanplatten belegten Kutsche zeigte, eine Übertreibung der Mode, ähnlich jener, deren sich die Pompadour schuldig machte, als sie bei der Vorliebe des Hofes für Blumen aus Porzellan in ihrem Lustschloss Bellevue ein Treibhaus einrichtete, das nur parfümierte Porzellanblumen enthielt.
120. J. H. Tischbein, Lessing

120. J. H. Tischbein, Lessing

121. Nicolas Lavreince, Parkszene

121. Nicolas Lavreince, Parkszene

122. Graff, Frau Böhme, Goethes Freundin in Leipzig

122. Graff, Frau Böhme, Goethes Freundin in Leipzig

123. Hannon, Park mit Freundschaftstempel

123. Hannon, Park mit Freundschaftstempel

124. Chodowiecki, Minna von Barnhelm, 1770

124. Chodowiecki, Minna von Barnhelm, 1770

125. Drouais, Comte Philippe de Vaudreuil Stich von Henri Chefer

125. Drouais, Comte Philippe de Vaudreuil Stich von Henri Chefer

126. St. Aubin, Le Bal paré (Ausschnitt)

126. St. Aubin, Le Bal paré (Ausschnitt)

127. St. Aubin, Konzert

127. St. Aubin, Konzert

128. Nicolas Lavreince, Das Andenken

128. Nicolas Lavreince, Das Andenken

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