Die Kunst
Der übermächtige Einfluss, welchen die Ära Ludwigs XIV. auf die Politik, die Gesellschaft und die Literatur der europäischen Kulturvölker ausübte, macht sich auch in der Kunst geltend. Das italienische Barock erobert, von Le Brun und Le Pautre französiert, als Stil Louis Quatorze die Welt. Und da diese Vorherrschaft der französischen Kunst auch durch das ganze 18. Jahrhundert hindurch anhält, hat man sich daran gewöhnt, die historischen Stile, welche die Kunst dieses Zeitraums bestimmen, das Rokoko und den Zopf nach den französischen Königen, deren Regierungen diese Jahrzehnte ausfüllen, auch als Stil Louis Quinze und Louis Seize zu bezeichnen und doch kann nichts irriger sein.
Man würde für das Rokoko, welches man allgemein Louis Quinze zu nennen pflegt, richtiger Regence sagen. Und insofern der sogenannte Stil Louis Seize nichts anderes ist als eine Vorblüte des später Empire genannten Stils, die sich aber unter Ludwig XV. entfaltete, würde man die Bezeichnung Louis Seize am besten ganz fallen lassen. Künstlerisch beginnt das 18. Jahrhundert mit dem Tode Ludwigs XIV. Gerade wie die französische Gesellschaft ordentlich aufzuatmen scheint in dem Augenblick, da der Tod des Königs sie von dem unerträglich gewordenen Joch der Etikette befreit, wie sie sich Hals über Kopf in den tollsten Wirbel der Vergnügungen und Zerstreuungen stürzt, geradeso entzieht sich die Kunst den strengen Regeln, denen sie bis dahin gehorchen musste.
An die Stelle der Regelmäßigkeit tritt die Willkür, die Laune wird zum obersten Gesetz. Alles gerät in Fluss, die geraden Linien beginnen sich zu schwingen, die tragenden Glieder krümmen sich, das rein Zufällige ersetzt die Symmetrie. Feierlich und pomphaft wie der Alexandriner der Tragödie erscheint das Barock neben der lustigen Sorglosigkeit des Rokoko, das unbekümmert um eine pedantische Ordnung alles auf den Kopf stellt und durcheinander wirft. Aus dem Chaos scheinbarer Unordnung erwächst dann jene Kunst der Caprice, deren graziöse Neckerei immer das Unerwartete bringt, welche spielt und tändelt und scherzt, eine Kunst, deren bezaubernder Reiz in einer unvergleichlichen Anmut liegt. Ihre Gebilde sind rätselhaft und unverständlich, Wunderblumen einer daseinstrunkenen Phantasie, nicht zu fassen und nicht zu beschreiben, wie Schöpfungen einer gesetzlosen Natur, die der Übermut mit der Schönheit zeugte. Eine ausgelassene Kunst für eine ausgelassene Gesellschaft, beider Geburtsstunde schlug in den Jahren, da Laws Aktienschwindel den Parisern die Fata morgana unermesslicher Reichtümer vorschwindelte. Müheloser Reichtum und genialer Leichtsinn sind denn auch die Elemente dieses Stils, der in seinen Schöpfungen einen undefinierbaren Duft von der unbekümmerten Lebenslust einer Zeit bewahrt hat, die genießen, nur genießen und nichts als genießen wollte.
Die Gesellschaft des Rokoko hat ihren Chronisten in der Kunst gefunden. Keine Feder wäre imstande gewesen, die Verfeinerung ihres Lebensgenusses, die Schwelgerei ihrer raffinierten Kultur zu beschreiben. Aus dem überschwenglichen Reichtum der spielenden Linien dieser Kunst aber, deren ruheloser Flug allen Gesetzen der Vernunft zu spotten, alle Regeln der Schwerkraft in Frage zu stellen scheint, klingt die gleiche Lebensfreude, dieselbe übermütige Verantwortungslosigkeit wie aus dem berühmten Geständnis jener großen Lebenskünstlerin der Zeit „nach uns die Sintflut“. Für das Urteil einer späteren Zeit hat sich dann auch, wie sonst bei keiner Epoche der Weltgeschichte die Kunst dieser Zeit völlig mit ihrem Geist identifiziert. Wer die Kunst des Rokoko kennt, der glaubt, die ganze Zeit zu kennen, gerade als pulsiere in diesen tollen seltsamen Schnörkeln noch ein geheimnisvolles Leben, als kose ein leises Geflüster der Vergangenheit zärtlich mit der Gegenwart. Der neue Stil ist zwar in Frankreich entstanden und hat sich von dort aus verbreitet, wie aber seine Väter keine Franzosen waren, Oppenort war Niederländer, Meissonnier Italiener, so hat er bei seinem Fluge über die Grenzen das spezifisch Französische überall so mit der fremden Eigenart vermischt, dass das englische, das spanische, das italienische Rokoko etwas von dem ursprünglichen Pariser Rokoko durchaus Verschiedenes geworden ist. Seine eigentliche Blüte hat dieser Stil überhaupt erst in Deutschland getrieben. Das landläufige Vorurteil, als habe man sich im Zeitalter der Ludwige in Deutschland damit begnügt, den Stil der Franzosen einfach zu kopieren, hat schon vor einem Menschenalter Gurlitt dahin widerlegt, dass in jener Zeit die deutsche Baukunst genau so reich an nationalen
Eigentümlichkeiten war, wie nur in irgend einer anderen Blütezeit der Kunst. Es ist bezeichnend für die nüchterne Art des 19. Jahrhunderts, dass überhaupt erst ein Kunstgelehrter kommen musste, um der Welt die Augen für den Reiz eines Stils zu öffnen, den man nur deshalb solange verachtet hatte, weil man seiner schöpferischen Fülle impotent gegenüberstand, weil man zu arm an Empfindung war, um künstlerische Werte zu genießen, die sich nur fühlen, aber nicht rechnerisch nachprüfen lassen. Als Gurlitt endlich sehen gelehrt hatte, da erkannte man plötzlich, welche Perlen feinsten Rokokos Deutschland besitzt und musste alsbald inne werden, dass die reichsten und köstlichsten Schöpfungen dieses Stils entweder von Deutschen oder von Ausländern auf deutschem Boden ausgeführt wurden. Es ist gerade als habe der fremde Zaubertrank die Phantasie deutscher Künstler in einen Rausch versetzt, dessen Ekstase ihrem künstlerischen Vermögen Flügel lieh. Aller Erdenschwere entkleidet, waltet ihr schöpferischer Geist fessellos im Reiche der Schönheit, in dem alle Schranken der Möglichkeit gefallen sind. Es entstehen Formen so neu, so kühn und vielgestaltig, dass neben ihnen die vergangene Kunst arm erscheint, dass ihr unerschöpflich quellender Reichtum jeder kommenden Kunst einen Vorwurf bedeutet.
Man würde für das Rokoko, welches man allgemein Louis Quinze zu nennen pflegt, richtiger Regence sagen. Und insofern der sogenannte Stil Louis Seize nichts anderes ist als eine Vorblüte des später Empire genannten Stils, die sich aber unter Ludwig XV. entfaltete, würde man die Bezeichnung Louis Seize am besten ganz fallen lassen. Künstlerisch beginnt das 18. Jahrhundert mit dem Tode Ludwigs XIV. Gerade wie die französische Gesellschaft ordentlich aufzuatmen scheint in dem Augenblick, da der Tod des Königs sie von dem unerträglich gewordenen Joch der Etikette befreit, wie sie sich Hals über Kopf in den tollsten Wirbel der Vergnügungen und Zerstreuungen stürzt, geradeso entzieht sich die Kunst den strengen Regeln, denen sie bis dahin gehorchen musste.
An die Stelle der Regelmäßigkeit tritt die Willkür, die Laune wird zum obersten Gesetz. Alles gerät in Fluss, die geraden Linien beginnen sich zu schwingen, die tragenden Glieder krümmen sich, das rein Zufällige ersetzt die Symmetrie. Feierlich und pomphaft wie der Alexandriner der Tragödie erscheint das Barock neben der lustigen Sorglosigkeit des Rokoko, das unbekümmert um eine pedantische Ordnung alles auf den Kopf stellt und durcheinander wirft. Aus dem Chaos scheinbarer Unordnung erwächst dann jene Kunst der Caprice, deren graziöse Neckerei immer das Unerwartete bringt, welche spielt und tändelt und scherzt, eine Kunst, deren bezaubernder Reiz in einer unvergleichlichen Anmut liegt. Ihre Gebilde sind rätselhaft und unverständlich, Wunderblumen einer daseinstrunkenen Phantasie, nicht zu fassen und nicht zu beschreiben, wie Schöpfungen einer gesetzlosen Natur, die der Übermut mit der Schönheit zeugte. Eine ausgelassene Kunst für eine ausgelassene Gesellschaft, beider Geburtsstunde schlug in den Jahren, da Laws Aktienschwindel den Parisern die Fata morgana unermesslicher Reichtümer vorschwindelte. Müheloser Reichtum und genialer Leichtsinn sind denn auch die Elemente dieses Stils, der in seinen Schöpfungen einen undefinierbaren Duft von der unbekümmerten Lebenslust einer Zeit bewahrt hat, die genießen, nur genießen und nichts als genießen wollte.
Die Gesellschaft des Rokoko hat ihren Chronisten in der Kunst gefunden. Keine Feder wäre imstande gewesen, die Verfeinerung ihres Lebensgenusses, die Schwelgerei ihrer raffinierten Kultur zu beschreiben. Aus dem überschwenglichen Reichtum der spielenden Linien dieser Kunst aber, deren ruheloser Flug allen Gesetzen der Vernunft zu spotten, alle Regeln der Schwerkraft in Frage zu stellen scheint, klingt die gleiche Lebensfreude, dieselbe übermütige Verantwortungslosigkeit wie aus dem berühmten Geständnis jener großen Lebenskünstlerin der Zeit „nach uns die Sintflut“. Für das Urteil einer späteren Zeit hat sich dann auch, wie sonst bei keiner Epoche der Weltgeschichte die Kunst dieser Zeit völlig mit ihrem Geist identifiziert. Wer die Kunst des Rokoko kennt, der glaubt, die ganze Zeit zu kennen, gerade als pulsiere in diesen tollen seltsamen Schnörkeln noch ein geheimnisvolles Leben, als kose ein leises Geflüster der Vergangenheit zärtlich mit der Gegenwart. Der neue Stil ist zwar in Frankreich entstanden und hat sich von dort aus verbreitet, wie aber seine Väter keine Franzosen waren, Oppenort war Niederländer, Meissonnier Italiener, so hat er bei seinem Fluge über die Grenzen das spezifisch Französische überall so mit der fremden Eigenart vermischt, dass das englische, das spanische, das italienische Rokoko etwas von dem ursprünglichen Pariser Rokoko durchaus Verschiedenes geworden ist. Seine eigentliche Blüte hat dieser Stil überhaupt erst in Deutschland getrieben. Das landläufige Vorurteil, als habe man sich im Zeitalter der Ludwige in Deutschland damit begnügt, den Stil der Franzosen einfach zu kopieren, hat schon vor einem Menschenalter Gurlitt dahin widerlegt, dass in jener Zeit die deutsche Baukunst genau so reich an nationalen
Eigentümlichkeiten war, wie nur in irgend einer anderen Blütezeit der Kunst. Es ist bezeichnend für die nüchterne Art des 19. Jahrhunderts, dass überhaupt erst ein Kunstgelehrter kommen musste, um der Welt die Augen für den Reiz eines Stils zu öffnen, den man nur deshalb solange verachtet hatte, weil man seiner schöpferischen Fülle impotent gegenüberstand, weil man zu arm an Empfindung war, um künstlerische Werte zu genießen, die sich nur fühlen, aber nicht rechnerisch nachprüfen lassen. Als Gurlitt endlich sehen gelehrt hatte, da erkannte man plötzlich, welche Perlen feinsten Rokokos Deutschland besitzt und musste alsbald inne werden, dass die reichsten und köstlichsten Schöpfungen dieses Stils entweder von Deutschen oder von Ausländern auf deutschem Boden ausgeführt wurden. Es ist gerade als habe der fremde Zaubertrank die Phantasie deutscher Künstler in einen Rausch versetzt, dessen Ekstase ihrem künstlerischen Vermögen Flügel lieh. Aller Erdenschwere entkleidet, waltet ihr schöpferischer Geist fessellos im Reiche der Schönheit, in dem alle Schranken der Möglichkeit gefallen sind. Es entstehen Formen so neu, so kühn und vielgestaltig, dass neben ihnen die vergangene Kunst arm erscheint, dass ihr unerschöpflich quellender Reichtum jeder kommenden Kunst einen Vorwurf bedeutet.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Mode - Menschen und Moden im achtzehnten Jahrhundert