Norden und Süden

Wie stark auch der Gegensatz zwischen dem Katholizismus des Südens und dem Protestantismus des Nordens sein mochte, weit stärker war noch jener,der dadurch entstand, dass der Süden ganz unliterarisch war. In Österreich wütete die Zensur so systematisch, dass man sich schließlich gezwungen sah, das Verzeichnis der verbotenen Bücher zu verbieten, damit man aus demselben nicht die guten Bücher kennen lerne!

Das kleine Bayern von damals zählte zwar 28.000 Kirchen und 200 Klöster mit 5.000 Mönchen, aber der einzige Verleger Grätz, der es seit undenklichen Zeiten gewagt hatte, sich darin anzusiedeln, büßte durch schikanöse Prozesse seiner Verfolger binnen kürzester Zeit sein Vermögen ein. Das Land war von der geistigen Bewegung, die das übrige Deutschland ergriffen hatte, so völlig ausgeschlossen, als läge es auf einem anderen Planeten, so dass Riehl einmal mit Recht sagen konnte, das bayerische Volk sei aus dem 17. in das 19. Jahrhundert geschritten, ohne etwas vom 18. zu merken. In der Reichsstadt Ulm machte man sich ein Verdienst daraus nichts zu lesen.


Man hatte dort nicht einmal den Versuch gemacht, eine Lesegesellschaft zu gründen, wie an anderen Orten, wo sie allerdings als Institute, welche die Aufklärung förderten, bald genug von der Polizei verboten wurden, denn selbstverständlich kann es keiner Regierung erwünscht sein, denkende Untertanen zu haben. Nicht einmal die Sprache war ein Bindemittel zwischen Nord und Süd. Das Schriftdeutsch, wie es sich im Lauf des Jahrhunderts herausbildete, machte man im Süden als „lutherisch Deutsch“ verdächtig, und die Norddeutschen wiederum gaben vor, die Sprache der anderen gar nicht zu verstehen.

Möchte man der sympathischen Pfälzerin Liselotte nicht beinahe gram werden, wenn sie „das verfluchte Österreichisch wohl eine abscheuliche sprach“ nennt? Die spinöse Markgräfin von Bayreuth kann von dem österreichischen Kauderwelsch der Kaiserin Amalie, die sie in Frankfurt besucht, nur hie und da ein Wort verstehen und Friedrich Nicolai, auch ein Berliner, begleitete seine Reisebeschreibung gar mit einem Wörterbuch des „Wiener Rotwelsch“, wie er den herzigen Wiener Dialekt artigerweise nennt. Keyßler, der im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts in Süddeutschland war, bemerkt, dass man aus dem mittäglichen Strich unseres geliebten Vaterlandes ruhig wegbleiben könne, da unsere Muttersprache im Munde von Schwaben, Bayern, Österreichern ohnehin nicht zu verstehen sei.

Goethe erzählt umständlich genug, wie er unter dem unerträglichen Hofmeistern der Leipziger, die seinen oberdeutschen Dialekt lächerlich fanden, gelitten hat, und Lauckhard nennt das Deutsch der Straßburger das jämmerlichste, ihre Aussprache die allergröbste, widerlichste und abscheulichste, die man hören könne.

059. Jacques-André Portail, Ein Duett

059. Jacques-André Portail, Ein Duett

060. Chardin, Das Tischgebet

060. Chardin, Das Tischgebet

061. Chardin, Die Briefsieglerin

061. Chardin, Die Briefsieglerin

062. Daniel Chodowiecki, Demoiselle Ledikowska (aus „Von Berlin nach Danzig). 1773

062. Daniel Chodowiecki, Demoiselle Ledikowska (aus „Von Berlin nach Danzig). 1773

063. Chardin, Dame mit Drehorgel

063. Chardin, Dame mit Drehorgel

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