Die Bekenntnisse

Die Anhänglichkeit an ein bestimmtes Bekenntnis, der Fanatismus für ein solches, wie sie das kirchliche Leben des 16. und 17. Jahrhunderts gekennzeichnet hatten, war unter dem Einfluss der französischen Kultur einer großen Gleichgültigkeit gegen dasselbe gewichen. 1720 schreibt Liselotte: „Ich bin weder reformiert noch katholisch noch lutherisch, sondern eine gute Christin“, aber die Toleranz, für welche diese Äußerung der Fürstin ein so beredtes Zeugnis ablegt, war bei der Mehrzahl der Angehörigen der oberen Klassen in eine völlige Indifferenz umgeschlagen, während die große Masse in stumpf sinniger Werkheiligkeit verharrte.

Gegen beide, die Lauheit der einen, wie den Buchstabenglauben der anderen richtet sich der Pietismus. Wie einst im 15. Jahrhundert die Gottesfreunde und Mystiker das in scholastische Spitzfindigkeiten zerfaserte Christentum aus der Nüchternheit bloßer Verstandesspielereien in die herzliche Wärme einfältigen Kinderglaubens gerettet hatten, so flüchteten jetzt Spener und die Seinen ihr Luthertum aus der Erstarrung des Dogmas in die Innerlichkeit ihres Gefühls.


Der nach Tausenden zählende Anhang von Bekennern, den Spener fand, bewies, wie lebhaft das Bedürfnis war, dem er entgegen kam. Die heftige Feindschaft der orthodoxen Geistlichkeit, der er allenthalben begegnete, zeigte, welche Gefahr die herrschende Kirche in dieser Bewegung sah. Die Verfolgungen, die der Pietismus zu erleiden hatte, schlossen um alle, die sich zu ihm hielten, ein enges Band der Gemeinsamkeit, die durch einen süßlichen Gefühlskultus, eine seltsame Art weinerlicher Gottesverehrung, demütigender Gleichstellung vor dem Lamm dazu gelangte, die Standesunterschiede, wenigstens in kleinem Kreise zum ersten Male völlig zu verwischen. An den hochfrommen Höfen der Reuß, der Stollberg, der Wittgenstein und anderer verkehrten Handwerksgesellen auf einem sonderbaren Fuß der Gleichheit mit den regierenden Herrschaften.

So fuhr z. B. ein Herzog von Sachsen -Saalfeld einige fromme Schusterweiber, um den Heiland zu ehren, in eigener Person öffentlich spazieren und Graf Zinzendorf gründete seine neue Gemeinschaft als Gemeinde von „Brüdern“. Wie ein Komet seinen leuchtenden Schweif, so zog Spener einen Schwärm von Enthusiasten und Erweckten aller Art nach sich. Die Abschließung von der „argen Welt“ führte zu einem Konventikelwesen, in dem Unheilige wie Eva von Buttlar und ihre Rotte und Heilige wie Fräulein v. Klettenberg, Goethes schöne Seele, ihr Wesen mit gleicher Unbefangenheit trieben. Der allgemeine Zug der Zeit nach Aufklärung hat den Protestantismus dann zu völligem Rationalismus geführt, zu einer Nonchalance, die z. B. den zum Katholizismus übergetretenen Johann August Starck jahrzehntelang als lutherischen Oberhofprediger in Darmstadt fungieren lassen konnte, die Herder das Bedauern abnötigte, dass er nicht Kardinal werden könne.

Die protestantische Predigt verflachte zu bloßer Nützlichkeitslehre. Schiller sagte von Herders Predigten, dass man sie ebensogut in einer Moschee halten könne. Wenn die Gleichgültigkeit gegen die offenbarte Religion auch so zur Modesache geworden war, dass beispielsweise Rabener, der Geliert bittet, einen Hofmeister zu besorgen, welcher den Kindern eines Beamten in Dresden auch Religionsunterricht geben soll, ihn beschwört, diesen Umstand geheim zu halten, damit es dem Beamten nicht schade, so hat sie doch damals durchaus nicht dazu geführt, dass die Konfessionen sich gegenseitig Duldung gewährt hätten. Der Westfälische Friede hatte zwar die Gleichberechtigung des katholischen, lutherischen und reformierten Bekenntnisses feierlich verbürgt, aber das war eine schöne Theorie, von der die Wirklichkeit weit genug entfernt lag. Nicht nur in den kaiserlichen Erblanden war die katholische die einzig erlaubte Religion, auch in Bayern war den Protestanten jede Ansiedlung verboten.

Unter den Kurfürsten Johann Wilhelm und Karl Philipp sind die Reformierten der Pfalz in jeder Weise drangsaliert worden; aus Salzburg hat der Erzbischof Freiherr V. Firmian 1731 Tausende von Lutheranern und Reformierten ausgewiesen. Die Duldung, welche Karl XII. den Protestanten Schlesiens ausgewirkt hatte, ist ihnen nach dem Tode des Königs tunlichst verkümmert worden. In den paritätischen Reichsstädten war man übereingekommen, alle Ämter vom Bürgermeister bis zum Nachtwächter zwischen Katholiken und Protestanten entweder zu teilen oder sie wenigstens abwechselnd zu besetzen, gerade wie in Osnabrück abwechselnd den Bischofsstuhl mit Katholiken und Protestanten. Das waren Übereinkommen, welche die Quelle endlosen Haders geworden sind. Den gegenseitigen Hass, der das ganze Jahrhundert latent blieb, konnte der geringfügigste Anlass zu offener Flamme auflodern lassen, wie 1750 in Oehringen, wo es erst dem Einrücken einer ansbachischen Grenadier-Kompagnie gelang, die Zwistigkeiten zu schlichten, welche zwischen Katholiken und Protestanten wegen einer nach gregorianischem Kalender zu bestimmenden Feier des Osterfestes ausgebrochen waren; oder 1781 in Wallthüren, wo drei protestantische Grafen Leiningen mit ihrem Anhang die Fronleichnamsprozession gestört hatten, und es eines Aufgebots von 600 Mann würzburgischer Truppen bedurfte, um die Ruhe wiederherzustellen.

Dass im Laufe des 18. Jahrhunderts einmal die Truppen eines protestantischen Staates den Kirchenstaat besetzt hatten, ist heute ziemlich in Vergessenheit geraten, und doch stand 1708 General v. Arnim mit mehreren preußischen Regimentern vor der Einnahme Roms, und König Friedrich I. freute sich schon auf die päpstlichen Kanonen, die man ihm für sein schönes Zeughaus mitbringen werde. Als Papst Clemens XI. und Kaiser Joseph I., in dessen Armee die brandenburgischen Hilfsvölker marschierten, sich aber versöhnten, blieb der Welt die Wiederholung eines Sacco di Roma erspart. Dass es da, wo die eine Partei notorisch im Übergewicht war, an offener oder versteckter Gewalt nicht gefehlt hat, versteht sich von selbst. In Thorn ließen die Jesuiten 1724 zehn Protestanten, an ihrer Spitze den Bürgermeister Rösner, hinrichten, weil der Janhagel eine ihrer Prozessionen gestört hatte.

Die Schauergeschichten, welche in späterer Zeit entsprungene Mönche wie Feßler und andere erzählten, die von Klöstern zu berichten wussten, in denen des Protestantismus Verdächtige ewig eingekerkert wurden, mögen auf Übertreibung beruhen, indessen ist noch in Wiblingen in Schwaben ein Jurist Nickel wegen Gottlosigkeit enthauptet worden. Er hatte nichts getan als im Wirtshaus einige Voltairesche Ideen zum besten gegeben. In Frankreich, dem ja die Protestanten fehlten, spitzte sich der vorhandene Gegensatz der Meinungen auf einen Kampf zwischen strenggläubigen und freisinnigen Katholiken, auf die leidenschaftlich geführten Kontroversen zwischen Jansenisten und Jesuiten zu. Wenn Liselotte 1701 ihrer herzlieben Amelisse schreibt: „Die frantzösischen katholischen seien nicht so albern wie die teutschen, es ist gantz ein andere sach mit, schier als wens eine andere Religion were. Man ist nicht obligiert, an bagatelle und alberne mirakel zu glauben“, so wird man diese Anschauungen und diese Praxis wohl auf die konzilianten Hoftheologen beschränken müssen, denn die Fälle der Calas, der Sirven, d'Etallondes und anderer, die törichte oder imaginäre Vergehen gegen die Kirche blutig büßen mussten, beweisen zu deutlich das Gegenteil.

021 Antoine Watteau, Studie

021 Antoine Watteau, Studie

022 Antoine Watteau, Studie

022 Antoine Watteau, Studie

023 Antoine Watteau, Studie

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024. Louis de Silvestre, König August II. von Polen und König Friedrich Wilhelm I. von Preußen

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020. Kurfürst Karl Albert von Bayern im Jagdkostüm

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026. Amalia Maria Josepha, Kurfürstin von Bayern, im Jagdkostüm

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022. Antoine Pesne, Friedrich d. Gr. und seine Schwester Wilhelmine als Kinder

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