Rang und Titel

Da Rang und Titel zu gesellschaftlichen Ansprüchen berechtigten, so war das Streben nach solchen allgemein. Der Adel war käuflich, zumal hat ihn der Kurfürst Karl Theodor von Bayern während seines Reichsvikariates billig abgegeben. Für 900 bis 1000 Gulden konnte man Reichsgraf, für 600 bis 700 Gulden Reichsfreiherr werden und für 400 bis 500 Gulden hatte man schon den niederen Adel.

Die mindere Bürgerschaft der Reichsstädte staffelte sich z. B. in Nürnberg in „Ehrbare und Veste“, „Ehrbare und Wohlführnehme“, „Ehrbare und Fürnehme“. Da aber diese Titel den Ehrgeizigen noch nicht genügten, so bemühten sie sich eifrig um die Rats- und Konsultitel auswärtiger Fürsten; so eifrig, dass der Rat 1722 ein kaiserliches Verbot gegen diese Titeljagd erwirkte. Der brave Nettelbeck erzählt voll Spott, wie einer seiner Bekannten, ein armer Teufel, nachdem er von der reichen Erbschaft seiner Tochter eine größere Summe erhalten, sich als dringendste Notwendigkeit zuerst gleich den Titel eines „Licentrats“ kauft, der ihm, nachdem er alles vertan hat, auch schließlich als einzige Errungenschaft kurzen Glückes verbleibt. Friedrich Nicolai, der 1781 die Reichsstadt Ulm besuchte, bemerkt mit einem Erstaunen, welches an jemand, der Berliner Verhältnisse gewöhnt war, nicht ganz natürlich erscheint, den Unterschied, der dort das Patriziat von der Bürgerschaft trennte. In Gesellschaften musste jedermann nach seinem Range gesetzt werden.


Die Bürgermeister führten das Prädikat „Wohlgeborene Herrlichkeiten“, die Ratsherren „Hoch und Wohlweise“, ein Bürger hatte den Anspruch auf den Titel „Ehrbarer“, ein Kaufmann auf „Edler und Vester“, ein Patrizier aber bekam „Wohlgeboren“ und wenn sein Sohn etwa einen akademischen Grad erwarb, so stand diesem der Titel „Hochedelgeboren“ zu. Die zunehmende Aufklärung hat die Titel in Deutschland wenigstens vereinfacht. Einer der ersten, der sich von seinen Freunden die Titulaturen verbat, war der Dichter Gleim, weil er „der Einfalt griechischer Helden näherkommen wollte“.

Im Jahre 1794 erließ auch ein Adliger, der schlesische Graf Schlabrendorf, einen Aufruf an seine Standesgenossen zum Verzicht auf bloße Titel. Das Gefühl aber von dem Wesensunterschied der Stände war zu tief eingewurzelt, als dass es mit der Abschaffung einzelner Prädikate und Titulaturen hätte ausgerottet werden können. Wenn gelegentlich eine Frau von Wöllwarth auf Neubronn erklären konnte: „Adel und Bürgerstand seien zwei verschiedene Menschenrassen, deren Trennung auch im Jenseits fortdauern werde“, so sprach sie damit nicht nur eine persönliche Meinung aus oder urteilte im Sinne des Adels, nein, sie wusste nur zu gut, dass der Bürger selbst so dachte, hat doch der Mangel an Selbstachtung, der die Mehrzahl auszeichnete, der Überhebung des Adels nur zu viel Vorschub geleistet. Männer von der Bedeutung eines Moser, eines Pütter sind stolz darauf, wenn sie im Bade Pyrmont in adlige Kreise gezogen werden; Helferich Peter Sturz ist glücklich, wenn er sein Frühstück in Gemeinschaft Adliger einnehmen darf, und was soll man sagen, wenn Daniel Schubart, den der Herzog von Württemberg zehn Jahre wider Recht und Gerechtigkeit auf dem Hohenasperg gefangen gehalten hatte, nach seiner Freilassung an Posselt schreibt: der Herzog habe sich bei einer Unterredung so huldreich gezeigt, dass aller Groll seines Herzens gegen ihn wie Nachtgewölk verschwunden sei!?

Das Vorurteil der Stände gegeneinander ist im Laufe des 18. Jahrhunderts zwar nicht ausgeglichen worden, noch 1781 schreibt Philippine Engelhardt aus Kassel an Bürger, dass man ihr in bürgerlichen Kreisen den Verkehr mit Adligen sehr verüble, aber der intime geistige Verkehr in den Adel- und Bürgerstand je länger je mehr miteinander traten, lehrte sie, ihre Ansichten unter höflichen äußeren Formen zu verbergen. Drei Faktoren haben dieses Einandernäherbringen wesentlich gefördert. Erstens der Umstand, dass im Laufe des Jahrhunderts die geistige Bildung als höchstes Gut anerkannt wurde und dass der Wetteifer im Erwerb und im Genuss derselben Adlige und Bürgerliche zusammenführte. In dieser Beziehung ist vor allem der holsteinische Adel vorangegangen. Zweitens indem der Hang des Jahrhunderts zur Mystik die geheimen Gesellschaften und an ihrer Spitze die Freimaurerei begünstigte, deren Endzweck neben der Ausbreitung der Aufklärung die Milderung der Standesunterschiede war, und schließlich der Pietismus.

019. Watteau, Häusliche Beschäftigung

019. Watteau, Häusliche Beschäftigung

020. Jakob van Schuppen, Prinz Eugen von Savoyen, 1718

020. Jakob van Schuppen, Prinz Eugen von Savoyen, 1718

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