Deutsch und französisch

So wenig wie Deutschland als Staat sich mit Frankreich, so wenig konnte die deutsche Literatur sich mit der französischen messen. Wie hätte neben der Formvollendung, der glatten Eleganz der Corneille und Racine, dem Witze Molieres und Boileaus der Schwulst bestehen können, den die Lohenstein und andere in einer holperigen Sprache von sich gaben, oder jene entsetzlichen Romane Anton Ulrichs von Braunschweig, von denen Liselotte trotz ihrer Neigung für den blutsverwandten Autor gestand, sie könne täglich nur einige Seiten davon auf dem Kackstuhl lesen.

Das Deutsche, wie man es im Beginne des 18. Jahrhunderts schrieb und sprach, ist eine plumpe, mit Fremdwörtern infizierte Sprache, deren grammatikalisch ungefügen Bau die Schriftsteller nur mit Gewalttätigkeit handhaben können. Wie schwerfällig drücken sich selbst solche Deutsche aus, die eine Vorliebe für ihre Muttersprache haben, wie Liselotte oder Friedrich Wilhelm I, wie wenig können auch sie, um ihre Gedanken klar zu machen, das fremde Idiom, sei es selbst nur in einigen Worten oder Phrasen, entbehren. Im Munde des sächsischen Postmeisters Trömel, der sich als Dichter Jean Chrétien Toucement nannte, wird dieses Kauderwelsch der damaligen Umgangssprache absichtlich oder unabsichtlich geradezu burlesk.


Unter diesen Umständen kann es nicht wundernehmen, dass die Deutschen der höheren Klassen, welche die Elemente einer feineren Gesittung von Frankreich empfingen, besonders die Höfe und der Adel sich auch mit Vorliebe der französischen Sprache zum Ausdruck ihrer Gedanken bedienten. Das ganze Jahrhundert hindurch bleibt Französisch die Sprache des Weltmanns. Baron Pöllnitz am Beginn, Graf Lamberg am Schluss legen ihre mondainen Erinnerungen so gut Französisch nieder wie der Italiener Casanova. Friedrich der Große schreibt, spricht, dichtet lebenslang besser Französisch als Deutsch, ebenso wie seine boshafte Schwester, die Markgräfin von Bayreuth. Voltaire schreibt 1750 aus Potsdam: Ich befinde mich hier in Frankreich. Man spricht nur unsere Sprache. Das Deutsche ist bloß für Soldaten und Pferde. Kaiser Franz, der Gemahl der Maria Theresia, lernte überhaupt nie ordentlich Deutsch. Die Prinzessin Eleonore Oettingen-Spielberg fing erst an, Deutsch zu lernen, nachdem sie sich mit dem Fürsten Liechtenstein vermählt hatte und konnte es sich in einem halben Jahrhundert doch nicht zu eigen machen.

Der Marquis de Boufflers übersetzt während eines Aufenthalts in Wien Wielands Grazien in das Französische und begeisterte die Damen dadurch für die deutsche Sprache. Fräulein von Pannwitz korrespondiert mit ihrem Bräutigam, dem Herrn von Voß, Französisch, gerade so wie Wieland mit Sophie von Gutermann. Deutsche, die in Paris ihren Wohnsitz nahmen, beherrschten die Sprache ihrer neuen Heimat bald besser als die des Mutterlandes, wie etwa Grimm oder der berühmte Kupferstecher Wille, während im umgedrehten Fall Franzosen, wie Henri de Gatt, der Vorleser Friedrichs des Großen, 40 Jahre und länger in Deutschland angesessen sein konnten, ohne je seine Sprache zu lernen.

Erst von jenen Tagen an, da Christian Thomasius 1687 in Leipzig das erste auf deutschen Universitäten in deutscher Sprache gehaltene Kolleg ankündigte, eine Tat, welche der Senat als entehrend für die Hochschule ansah, ist die deutsche Sprache langsam zu Ehren gekommen. Thomasius Beispiel folgte erst 1705 Professor Buddeus in Jena. Eine systematische literarische Pflege wurde ihr aber erst, zu teil, als Gotsched zu diesem Zweck 1727 in Leipzig eine Gesellschaft gründete, welcher bald an anderen Orten, wie z. B. in Jena Tochtergesellschaften zur Seite traten. Diese absichtliche Pflege des Deutschen betont bewusst und gewollt den Gegensatz, in dem sich das Bürgertum zu dem Adel fühlte. Sie bildet eines der stärksten Elemente in der Reaktion der aufkommenden deutschen bürgerlichen Gesellschaft, gegen die französierten höfischen und adligen Kreise der vornehmen Welt. Der Verachtung des Heimischen, wie jene sie affektierten, stellten sie die Überschätzung desselben entgegen, ein Umstand, der die scharfe äußere Trennung der beiden Stände geistig noch bedeutend vertiefte. Die Gesellschaft jener Zeit gliederte sich in Stände, die gegeneinander mit so viel Rechten und Pflichten verbarrikadiert waren, dass deren Wahrung nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Staaten als Ganzes den Gegenstand eifersüchtigster Sorge bildete.

013. Antoine Watteau, Cavalier

013. Antoine Watteau, Cavalier

014. Antoine Watteau, Firmenschild des Gersaint (Ausschnitt)

014. Antoine Watteau, Firmenschild des Gersaint (Ausschnitt)

015. Watteau-Liotard, Französische Schauspielszene

015. Watteau-Liotard, Französische Schauspielszene

016. Watteau-Basan, Italienische Schauspieler

016. Watteau-Basan, Italienische Schauspieler

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