IV. Geschichtliche Betrachtung über das Verhältnis der Kolonisten und Russen zu einander. In der Vorkriegszeit. — Nationalistische Kriegshetze gegen die Kolonisten. — Während der deutschen Besetzung. — Die schwere mennonitische Verirrung.
Eine Disharmonie zwischen den Kolonisten und den russischen Bauern bestand schon lange und hatte verschiedene Ursachen.
Da ich hiermit eine offene Frage berühre, deren Lösung den Mennoniten angelegen ist, möge hier kurz eine Darstellung dieses Missverhältnisses folgen.
Schon lange vor dem Weltkrieg sah der russische Bauer scheel auf den wirtschaftlich besser gestellten Kolonisten, der nur zu oft sein Dienstherr war.
Als Arbeiter wurde er zwar von den Mennoniten nicht so schlecht behandelt wie bei den Großgrundbesitzern, aber er war auch hier dem kapitalistisch Starken nur ein minderwertiger Untergebener und kein gleichgewerteter Bruder. Solches Verhältnis war im übrigen Russland noch weit schärfer ausgeprägt. Das war den Armen Russlands eine Qual, die die schließlich nicht mehr dulden wollten. Sie strebten eine Umwälzung an.
Da kam der Krieg. Das gab schlauen Nationalisten willkommenen Anlass, den Unmut des Volkes von sich auf die Fremdstämmigen zu lenken. Die Chauvinisten hetzten den landarmen russischen Bauer nicht gegen den Großgrundbesitzer, sondern auf den Kolonisten, der mit vielem Fleiß seinen Acker bebaute.
In Schriften, wie beispielsweise in dem infamen Werk „Rheingold“ oder in den Schriften eines gelehrten Fanatikers namens Bondar*), wurde gewissenlos geschürt gegen diese Wehrlosen, die nicht mehr geduldet werden geschweige denn Rechte haben sollten.
*) S. D. Bondar: Die Sekte der Mennoniten in Russland, Petrograd 1916.
Jeder Bauer musste schließlich in ihnen nichts anderes als Verräter und Schufte sehen.
Es kam bekanntlich dahin, dass diesen loyalen Bürgern Russlands, die in ihrer Naivität für den Vampyr-Zaren eifrig beteten, die Sprache ihrer Mütter, die Sprache ihrer Gottesdienste und Gebete verboten wurde. Und endlich ordnete Zar Nikolaus, der mit Recht in der Geschichte den Namen „der Blutige“ trägt, die Enteignung und Verbannung der Mennoniten an, nur weil sie ehemals Deutsche waren. Vergebens wiesen sie darauf hin, dass sie ebenso gut als Holländer gelten konnten, weil viele ihrer Vorfahren aus Holland stammten.
Die ungerechte Behandlung während des Krieges war nicht dazu angetan, bei den Kolonisten Liebe zum russischen Volke zu wecken. Feindesliebe sucht man bei den meisten Kolonisten, auch bei den Mennoniten, vergebens: diese hohe Stufe christlicher Nächstenliebe darf man bei den Kolonisten, deren Kultur hinter ihren ethischen Forderungen weit zurückbleibt, nicht erwarten.
Gemessen an der Betonung ihres entschiedenen Christentums sollte man freilich solche sittliche Größe bei ihnen vermuten dürfen.
Als im Jahre 1918 Deutschland und Österreich-Ungarn die Ukraine besetzten, wurde die bolschewistische Landverordnung aufgehoben. Naturgemäß entstanden dadurch in dem Verhältnis der Kolonisten zu den Russen Schwierigkeiten, die auch von Mennoniten nicht immer im versöhnlichen Geiste beseitigt wurden. Das brachte ihnen keine Sympathien bei den Russen ein. Diese übertrugen ihren Hass gegen die Okkupationsbehörden nach deren Abzug auf die Kolonisten, weil diese bei jenen in besonderer Gunst gestanden und Waffen zum Selbstschutz erhalten hatten.
Wie eingangs erwähnt, nahmen die Mennoniten Sagradowkas unbedenklich die Waffen an. Es trifft sie ein doppelter Vorwurf deshalb. Einmal war es politisch unklug. Dann aber widersprach es schreiend ihrer bisher stets bekundeten Anschauung über Wehrlosigkeit. Die russischen Bauern wiesen auf diesen Widerspruch hin und nannten sie Heuchler. Eine bittere Wahrheit hielt man ihnen vor: „Als unter Russland,“ so hieß es, „unsere Frauen und Kinder 1914 durch den Überfall gefährdet waren, da wolltet Ihr die Waffe der Verteidigung nicht nehmen. Aber nun es um Euer Eigentum geht, bewaffnet Ihr Euch.“ Das war allerdings sehr beschämend, da ihr Handeln weder von Staatserhaltungstrieb noch von wahrem Christentum zeugte.
Die Verirrung vom Pazifismus zum Militarismus ist für Mennoniten besonders belastend. Haben wir nicht stets mit berechtigtem Stolz auf unsre vierhundertjährige Überlieferung hingewiesen, die einen strengen Pazifismus bedeutet? Und gerade in dem Augenblick, als infolge des beispiellos mörderischen Krieges der Militarismus in seiner ganzen Fluchwürdigkeit erkannt wurde und der Pazifismus mit nie dagewesener Werbekraft sich auszubreiten begann, selbst in Deutschland — da verließen wir das hehre Ziel. Ein Mennonit, der den konsequenten Gedanken des Friedens aufgibt und den Krieg bejaht, richtet lieh lelblt. Er ilt fortan kein Mennonit mehr. Zum Glück fanden die Mennoniten in Sagradowka später wieder zur alten Wahrheit zurück und bereuten ihre Verirrung aufrichtig. Unwillkürlich taucht die Frage auf, ob das Schicksal Sagradowkas in dem Maße schwer ausgefallen wäre, wenn die Mennoniten lieh nicht zum Militarismus verirrt hätten. Ich läge : nein ! Die Mennoniten in Memrik verweigerten die Waffen, und auch dort ilt Machno durchgezogen. Er hat bei ihnen nicht so wüst gehäuft. Gibt das nicht zu denken? Ich will kein abschließendes Urteil fällen. Wer vermag in diesem Falle genau Ursache und Wirkung gegeneinander abzuwägen? Jedenfalls erkennen wir eine Fülle innerer und äußerer Ursachen, die zu dem schlechten Verhältnis zwischen den russischen Bauern und den mennonitischen Kolonisten Sagradowkas geführt haben.
Dessenungeachtet bleibt die Heimsuchung Sagradowkas ein himmelschreiendes Unrecht, eine flammende Anklage gegen solche Zustände in der zivilisierten Menschheit.
Da ich hiermit eine offene Frage berühre, deren Lösung den Mennoniten angelegen ist, möge hier kurz eine Darstellung dieses Missverhältnisses folgen.
Schon lange vor dem Weltkrieg sah der russische Bauer scheel auf den wirtschaftlich besser gestellten Kolonisten, der nur zu oft sein Dienstherr war.
Als Arbeiter wurde er zwar von den Mennoniten nicht so schlecht behandelt wie bei den Großgrundbesitzern, aber er war auch hier dem kapitalistisch Starken nur ein minderwertiger Untergebener und kein gleichgewerteter Bruder. Solches Verhältnis war im übrigen Russland noch weit schärfer ausgeprägt. Das war den Armen Russlands eine Qual, die die schließlich nicht mehr dulden wollten. Sie strebten eine Umwälzung an.
Da kam der Krieg. Das gab schlauen Nationalisten willkommenen Anlass, den Unmut des Volkes von sich auf die Fremdstämmigen zu lenken. Die Chauvinisten hetzten den landarmen russischen Bauer nicht gegen den Großgrundbesitzer, sondern auf den Kolonisten, der mit vielem Fleiß seinen Acker bebaute.
In Schriften, wie beispielsweise in dem infamen Werk „Rheingold“ oder in den Schriften eines gelehrten Fanatikers namens Bondar*), wurde gewissenlos geschürt gegen diese Wehrlosen, die nicht mehr geduldet werden geschweige denn Rechte haben sollten.
*) S. D. Bondar: Die Sekte der Mennoniten in Russland, Petrograd 1916.
Jeder Bauer musste schließlich in ihnen nichts anderes als Verräter und Schufte sehen.
Es kam bekanntlich dahin, dass diesen loyalen Bürgern Russlands, die in ihrer Naivität für den Vampyr-Zaren eifrig beteten, die Sprache ihrer Mütter, die Sprache ihrer Gottesdienste und Gebete verboten wurde. Und endlich ordnete Zar Nikolaus, der mit Recht in der Geschichte den Namen „der Blutige“ trägt, die Enteignung und Verbannung der Mennoniten an, nur weil sie ehemals Deutsche waren. Vergebens wiesen sie darauf hin, dass sie ebenso gut als Holländer gelten konnten, weil viele ihrer Vorfahren aus Holland stammten.
Die ungerechte Behandlung während des Krieges war nicht dazu angetan, bei den Kolonisten Liebe zum russischen Volke zu wecken. Feindesliebe sucht man bei den meisten Kolonisten, auch bei den Mennoniten, vergebens: diese hohe Stufe christlicher Nächstenliebe darf man bei den Kolonisten, deren Kultur hinter ihren ethischen Forderungen weit zurückbleibt, nicht erwarten.
Gemessen an der Betonung ihres entschiedenen Christentums sollte man freilich solche sittliche Größe bei ihnen vermuten dürfen.
Als im Jahre 1918 Deutschland und Österreich-Ungarn die Ukraine besetzten, wurde die bolschewistische Landverordnung aufgehoben. Naturgemäß entstanden dadurch in dem Verhältnis der Kolonisten zu den Russen Schwierigkeiten, die auch von Mennoniten nicht immer im versöhnlichen Geiste beseitigt wurden. Das brachte ihnen keine Sympathien bei den Russen ein. Diese übertrugen ihren Hass gegen die Okkupationsbehörden nach deren Abzug auf die Kolonisten, weil diese bei jenen in besonderer Gunst gestanden und Waffen zum Selbstschutz erhalten hatten.
Wie eingangs erwähnt, nahmen die Mennoniten Sagradowkas unbedenklich die Waffen an. Es trifft sie ein doppelter Vorwurf deshalb. Einmal war es politisch unklug. Dann aber widersprach es schreiend ihrer bisher stets bekundeten Anschauung über Wehrlosigkeit. Die russischen Bauern wiesen auf diesen Widerspruch hin und nannten sie Heuchler. Eine bittere Wahrheit hielt man ihnen vor: „Als unter Russland,“ so hieß es, „unsere Frauen und Kinder 1914 durch den Überfall gefährdet waren, da wolltet Ihr die Waffe der Verteidigung nicht nehmen. Aber nun es um Euer Eigentum geht, bewaffnet Ihr Euch.“ Das war allerdings sehr beschämend, da ihr Handeln weder von Staatserhaltungstrieb noch von wahrem Christentum zeugte.
Die Verirrung vom Pazifismus zum Militarismus ist für Mennoniten besonders belastend. Haben wir nicht stets mit berechtigtem Stolz auf unsre vierhundertjährige Überlieferung hingewiesen, die einen strengen Pazifismus bedeutet? Und gerade in dem Augenblick, als infolge des beispiellos mörderischen Krieges der Militarismus in seiner ganzen Fluchwürdigkeit erkannt wurde und der Pazifismus mit nie dagewesener Werbekraft sich auszubreiten begann, selbst in Deutschland — da verließen wir das hehre Ziel. Ein Mennonit, der den konsequenten Gedanken des Friedens aufgibt und den Krieg bejaht, richtet lieh lelblt. Er ilt fortan kein Mennonit mehr. Zum Glück fanden die Mennoniten in Sagradowka später wieder zur alten Wahrheit zurück und bereuten ihre Verirrung aufrichtig. Unwillkürlich taucht die Frage auf, ob das Schicksal Sagradowkas in dem Maße schwer ausgefallen wäre, wenn die Mennoniten lieh nicht zum Militarismus verirrt hätten. Ich läge : nein ! Die Mennoniten in Memrik verweigerten die Waffen, und auch dort ilt Machno durchgezogen. Er hat bei ihnen nicht so wüst gehäuft. Gibt das nicht zu denken? Ich will kein abschließendes Urteil fällen. Wer vermag in diesem Falle genau Ursache und Wirkung gegeneinander abzuwägen? Jedenfalls erkennen wir eine Fülle innerer und äußerer Ursachen, die zu dem schlechten Verhältnis zwischen den russischen Bauern und den mennonitischen Kolonisten Sagradowkas geführt haben.
Dessenungeachtet bleibt die Heimsuchung Sagradowkas ein himmelschreiendes Unrecht, eine flammende Anklage gegen solche Zustände in der zivilisierten Menschheit.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mennonitentum in der Ukraine