Kosciuszko

Eine andre hochherzige Tat des Kaisers wurde ebenso falsch gedeutet. Paul begab sich nämlich in Begleitung des Großfürsten Alexander Pawlowitsch und der Generäle seiner Suite in das Haus des Grafen Orlow, wo der berühmte Kosciuszko wohnte. Beiläufig bemerkt, wurde Kosciuszko unter der Kaiserin Katharina, der im Auslande verbreiteten Anschauungen entgegen, mit der seiner edlen Gesinnung und seinem unverschuldeten Ungemach gebührenden Achtung behandelt. Der Kaiser trat bei Kosciuszko ein und sagte: „Bisher konnte ich Sie nur bedauern, jetzt erfülle ich meinen Herzenswunsch, indem ich Ihnen die Freiheit wieder gebe; ich bin hierher geeilt, um Sie persönlich zuerst davon zu benachrichtigen.“

Kosciuszko konnte nicht ein Wort hervorbringen; aus seinen Augen rannen Tränen; das rührte den Kaiser noch mehr. Er bat Kosciuszko, neben ihm Platz zu nehmen und suchte durch freundliche Zusprüche, ihn wegen seiner Zukunft zu beruhigen.


Kosciuszko, hierdurch ermutigt, wagte es, den Kaiser zu fragen: „Werden auch meine andern Kameraden, die zugleich mit mir in Gefangenschaft geraten, befreit werden?“

„Gewiß,“ antwortete Paul, „wenn Sie für dieselben die Garantie übernehmen wollen.“

„Wenn Ihre Majestät gestatten, so will ich mir von ihnen vorher das Ehrenwort darauf geben lassen, daß sie niemals mehr die Waffen gegen Russland tragen werden. Versprechen sie das, so bin ich bereit, für sie die Garantie zu übernehmen.“

Einige Tage darauf reichte Kosciuszko dem Kaiser ein Verzeichnis derjenigen Polen ein, welche mit ihm zusammen gefangengenommen worden waren.

„Garantieren Sie für dieselben?“ fragte der Kaiser.

„Für alle, ebenso wie für mich selbst,“ antwortete Kosciuszko, worauf die Gefangenen sofort in Freiheit gesetzt wurden. Der Kaiser machte Kosciuszko und Potocki ein Gnadengeschenk von je 1000 Seelen (Leibeigenen), gestattete ersterem, seinem Wunsche gemäß, nach Amerika überzusiedeln und tat alles, um seine Reise möglichst zu erleichtern. Und in dieser rührend edlen Tat wollte man nichts andres sehen, als eine Entwürdigung des Andenkens der großen Katharina.

Um diese irrige Auffassung zu widerlegen, wollen wir des Kaisers eigene Worte anführen; als er Potocki aus Petersburg entließ, sagte er zu ihm: ,,.Ich war stets gegen die Teilung Polens; diese Teilung ist ungerecht und widerspricht den Grundsätzen einer gesunden Politik; aber es ist nun einmal geschehen; werden wohl die andern Mächte das freiwillig abtreten wollen, was sie gewaltsam euch entrissen haben, um euer Vaterland wiederaufzurichten? Wird der Kaiser von Österreich und vollends der König von Preußen die von ihnen erworbenen Länder zu Gunsten Polens opfern wollen? Ihnen meinerseits den Krieg erklären, hieße unbedacht handeln, denn der Erfolg ist nicht sicher; darum bitte ich, daß ihr euch keinen unnützen Illusionen darüber hingebt, was nicht mehr rückgängig zu machen ist, widrigenfalls werdet ihr euer geliebtes Polen und euch in noch größeres Unglück bringen.“

Diese Worte sind ein beredtes Zeugnis dafür, daß Paul — ganz abgesehen davon, ob seine Ansicht falsch oder richtig war — bei der Befreiung Kosciuszkos und seiner Kameraden sich von der Überzeugung leiten ließ, daß die Teilung Polens eine Ungerechtigkeit war, und daß die Männer, welche für die Verteidigung ihres Vaterlandes die Waffen erhoben hatten, als wahre Helden seine Hochachtung verdienten.