Ein Brief an den Kaiser Nikolai I.

Nach dem Tode des in Gott entschlafenen Kaisers Alexander I. und der Thronbesteigung Nikolai I. fingen in Moskau allerhand Verleumdungen über mich zu kursieren an, und zwar kamen alle aus dem Hause des Moskauischen Generalgouverneurs, Fürsten Galitzyn.

Als diese Gerüchte mir zu Ohren kamen, sprach ich beim Fürsten Galitzyn vor und bat ihn, die mir vom Kaiser Alexander aufgetragenen Geschäfte einer Durchsicht zu unterziehen, woraus er ersehen könne, daß alle über meine Person in Umlauf gesetzten Gerüchte einfach Verleumdungen sind.


Er antwortete mir: „Mich geht das nichts an und ich habe keine Zeit.“

„Sie sind Generalgouverneur von Moskau und ich habe mich als Moskauischer Edelmann an Sie, als meinen Vorgesetzten, mit meiner Bitte gewandt.“

,,Ich wiederhole Ihnen, ich habe keine Zeit dazu.“

„Nun, dann werde ich Ihnen, Durchlaucht, beweisen, daß der Kaiser selbst mich erhören wird.“ Ich machte eine Verbeugung und entfernte mich.

Die Folge davon war nachstehender Brief von mir an den Kaiser Nikolai I., den ich während des Aufstandes*) schrieb.

Moskau, den 6. Januar 1831.

„Allergnädigster Herr und Kaiser! Der Drang der augenblicklichen Zeitverhältnisse und der jetzige Zeitgeist machen es jedem treuen Untertanen zur heiligen Pflicht, kein einziges Wort, keinen einzigen Gedanken in seinem Herzen zu verschließen und durch Darlegung derselben vor Ihrem Throne jedem Wunsch nach Offenheit zuvorzukommen, wie vor dem Throne Gottes.

„Hören Sie nicht, Majestät, auf die Verleumdung, die meinen Dienst und meinen Charakter angeschwärzt hat. Dieselbe befindet sich sowohl mit meinem eigenen Wunsch, den Dienst zu verlassen, als im Jahre 1816 alles dem Grafen Araktschejew unterstellt wurde, im Widerspruch, als auch mit der Wichtigkeit der Geschäfte, die ich auf Allerhöchsten Befehl dem Herrn Chef des Generalstabes übergeben habe, als auch mit dem Ukas vom 23. März 1816, laut dessen ich dem Heroldsamt zugezählt wurde mit einem Gehalt von viertausend Rudeln. Vor dem erhabenen Angesicht Eurer Majestät bin ich bereit, mit unzweifelhaften, für mich überaus wertvollen Dokumenten die Wahrheit meiner Worte zu beweisen und die böswillige Verleumdung zu widerlegen, die man gegen mich ins Werk gesetzt hat, weil man mich wegen meiner makellosen Ergebenheit, wegen des mir vom Kaiser geschenkten Vertrauens und wegen der von mir gegen das Laster zur Schau getragenen Verachtung beneidet. Ich übergebe mein Schicksal in die Hände Eurer Majestät, dessen Macht nicht von dieser Welt stammt. Bei Ihrer Gerechtigkeit werden Sie nicht die eifrigen Bemühungen eines treuen Untertanen unbeachtet lassen, der bereit ist, mit der Tat zu beweisen, daß es schwer ist, an Treue und Gegebenheit denjenigen zu übertreffen, welcher niemals weder seinen Mund, noch seine Feder mit einer Lüge befleckt hat, und der ans vollem Herzen ist und bleiben wird mit tiefster Ehrfurcht, Allergnädigster Herr, Eurer Kaiserlichen Majestät treuuntertänigster Jakob de Sanglen.“

*) Gemeint ist der polnische Aufstand. Anmerk. d. Übers.