Das Verhör

Zwei Tage verbrachte ich in langweiliger Einsamkeit. Am dritten Tage erschien bei mir Potapow.

„Eine Kommission ist eingesetzt, um Sie zu verhören; seien Sie um elf Uhr bereit,“ sagte er zu mir.


„Ich bin bereit,“ antwortete ich; „sind Sie auch Mitglied der Kommission?“

„Mir ist die Ehre nicht zu teil geworden,“ antwortete Potapow. „Kommen Sie zu mir, man wird Sie durch die Hintertür führen; ich begleite Sie dann in den Areopag und entferne mich selbst.“

Gegen elf Uhr kam ich zu Potapow.

„Wir sind in Kleinigkeiten sehr genau,“ sagte er, auf seine Uhr sehend, „es sind noch zehn Minuten bis elf;“ er öffnete die Tür und führte mich in das nämliche blaue Zimmer, wo um einen Tisch herum drei Generäle saßen, der vierte Stuhl war frei.

Potapow entfernte sich und ich trat einige Schritte vorwärts. Niemand rührte sich von seinem Platz und ich tat es auch nicht.

Schließlich stand Graf Tschernyschew auf und sagte zu mir: „Wie lange ist es schon her, daß wir uns nicht gesehen haben, Jakob Jwanowitsch!“

„Seit dem Tage,“ antwortete ich, „wo Sie nach der Schlacht bei Borodino an Kutuzow den St. Georgsorden I. Klasse überbrachten.“

„Haben Sie mich wiedererkannt?“ fragte Graf Orlow. „Sie sind so gewachsen, daß es schwer sein würde, in Ihnen jenen Lieutenant wiederzuerkennen, der nach der Schlacht bei Borodino in meinem Wagen lag.“

„Dieser junge General aber, mit dem Sie nicht bekannt sein können, ist Wladimir Fedorowitsch Adlerberg.“

„Vielleicht ein Sohn des Oberstleutnants Adlerberg, der im Feldzug gegen die Schweden fiel?“

„Ganz richtig,“ antwortete er.

„Je suis donc en pays de connaissance; tant mieux!“

Graf Tschernyschew bat mich, auf dem vierten Stuhl Platz zu nehmen, öffnete die vor ihm liegende Mappe, nahm einige Papiere aus derselben und, nachdem er sie mir hinübergereicht, fragte er: „Haben Sie das geschrieben?“

Ich warf einen Blick darauf und sagte: „Das ist der Brief, den ich an den Kaiser gerichtet.“

„Auf Befehl Seiner Majestät, setzen Sie uns den Inhalt des Schreibens auseinander.“

„Der Brief ist, glaube ich, in gutem russisch geschrieben, und wenn er etwa für Ausländer nicht verständlich ist, so ist es nicht meine Schuld.“

„Der Anfang Ihres Schreibens ist eigentümlich; was sind das für Zeitverhältnisse, die Sie erwähnen?“

„Ganz einfach, der Krieg mit Polen.“

„Ja, das haben wir nicht verstanden.“

„Ich glaube aber doch, das lag sehr nahe,“

„Der Kaiser hat befohlen, Sie sollen uns alle Akten und Dokumente, die sich in Ihren Händen befinden, vorlegen.“

„Bedaure sehr, aber diesen Befehl kann ich nicht erfüllen; es würde der in meinem Brief abgegebenen Erklärung widersprechen, daß ich nur dem Kaiser allein bereit bin, die Papiere vorzulegen; der Kaiser stirbt nicht, die Umgebung des Hofes aber wechselt.“

„Wir sind Vertrauenspersonen Seiner Majestät.“

„Ich glaube es und freue mich darüber, aber dennoch kann ich die Papiere nicht aus den Händen geben. Was den Befehl des Kaisers anbelangt, so habe ich schon meine Erklärung abgegeben; vielleicht enthalten die Schriftstücke etwas über Sie, Herr Graf, was Sie nicht wissen dürfen.“

„Nun, dann fordern wir sie von Ihnen.“

„Melden Sie dem Kaiser, daß ich eher sterben, als die Papiere herausgeben werde. Ich werde dem Kaiser Alexander die Treue wahren, der es mir untersagt hat, sie irgend jemand zu zeigen; und diesen Befehl werde ich erfüllen, ob auch sein Antlitz mir nicht mehr lächeln kann. Etwas andres ist es, wenn der Kaiser sie verlangt, vor ihm darf nichts geheim bleiben.“