Das Gewissensgericht

Das Gewissensgericht war vom Kaiser Alexander nach dem Tode Pauls I. aufs neue eingeführt worden. Hier ereignete sich ein Vorfall, den ich mitteilen zu müssen glaube, weil er einen bedeutenden Einfluß auf die zukünftige Gestaltung meines Geschickes gehabt hat. In Nischni Nowgorod lebte ein Mann, der durch seine Sonderlichkeiten und seinen Reichtum bekannt war. Dies war der Lieutenant a. D. Narmondski; er trug einen langen russischen Kaftan*) aus Sammet und verbrachte seine Tage in völliger Zurückgezogenheit von aller Welt. Ich hatte von ihm öfters gehört, ihn aber noch nicht zu Gesicht bekommen. Eines Morgens in der Frühe erscheint bei mir der Polizeimeister von Nischni Nowgorod, Kempeck, früherer Fähnrich in preußischen Diensten, daher mit einem langen, bis an den Gürtel reichenden Zopf versehen, und eröffnet mir folgendes: „Herr Narmondski befindet sich in einer unglücklichen Lage, er ist aber mein Wohltäter. Es ist nämlich hier ein verabschiedeter Major T. angekommen, der von den erben Narmondskis für fünftausend Rubel Banko das Anrecht auf ein auf zweitausend Bauernseelen bestehendes Gut käuflich erworben haben will. Er hat im Zivilgerichtshof Unterstützung gefunden; das Gericht hat, auf Grund des Antrages T.s, an Narmondski die Forderung ergehen lassen, vor demselben zu erscheinen und Rede zu stehen. Dieser hat keins von beiden getan, sondern die Erklärung abgegeben, daß bei seinen Lebzeiten, zumal für fünftausend Rubel, niemand das Gut von zweitausend Bauernseelen kaufen könne, ohne die Krone zu betrügen. Die Gerichtsbehörde hat ihn verhaften lassen. Narmondski bittet um die Erlaubnis, beim Gewissensgericht eine Bittschrift einreichen zu dürfen.“ Der Richter, Fürst G., war verreist; ich ergriff mit Freuden die Gelegenheit, einen Verfolgten zu schützen, und erklärte dem Polizeimeister, daß da gar keine Frage sein könne, er solle nur sein Gesuch einreichen, unterdessen schickte ich an den Fürsten eine Stafette mit folgendem Schreiben: „Kommen Sie, Herr Fürst, sobald wie möglich; man bedrückt hier einen Unschuldigen; er hat beim Gericht ein Gesuch eingereicht, und ich habe schon die ersten Schritte getan. Um Gottes willen, kommen Sie recht bald, damit man uns nicht eine ehrliche Sache entreißt.“ Der Fürst eilte sofort herbei; wir forderten vom Zivilgericht die Herausgabe der Akten und ließen auf Grund des betreffenden Gesetzartikels Narmondski unverzüglich aus der Haft befreien. Der Major T. lehnte es ab, sich dem Urteilsspruch des Gewissensgerichts zu unterwerfen, und wir unsrerseits wiesen auf Grund eben dieser seiner Weigerung seinen Antrag zurück, unter Darlegung der völligen Gesetzwidrigkeit desselben. T. reiste nach Petersburg und führte beim Justizminister Klage über den Fürsten und mich; die Folge davon war, daß wir nach Petersburg zitiert wurden. Unsre Beredsamkeit und die Wärme, mit welcher wir die Unschuld in Schutz nahmen, gereichten dem Major T. zur Schande. Er wurde abgewiesen; was aber mich anbetrifft, so wurde befohlen, mich in den Staatsdienst aufzunehmen; ich erhielt eine Anstellung als Vizepräsident der Apanagenverwaltung zu Moskau.

[i]*)Ein langer, in der Taille fest anliegender und nach unten gefallener Stock. Anmerk. d. Übers.[/b]