Allerlei Missgeschick

Die andre Anekdote zeigt, wie Katharina es verstand, die Meinung des Volkes, ja sogar den Aberglauben desselben zu achten, und dadurch eine „große“ Frau wurde. Sie stand schon an dem Platz, wo ihr Vorgänger, Michael Feodorowitsch, gestanden hatte, da erblickte sie eine anständig gekleidete Dame, welche sich dem Bilde der heiligen Mutter Gottes genähert hatte; die Dame betete, kniete nieder und legte eine große Papierrolle vor dem Heiligenbilde hin. Katharina wunderte sich darüber und befahl dem neben ihr stehenden Generaladjutanten, die Dame zu fragen, was das für Papiere seien. Dieser kommt zurück und meldet der Kaiserin: „Die Dame hat der Mutter Gottes eine gegen Eure Kaiserliche Hoheit gerichtete Bittschrift überreicht.“ Die Kaiserin ließ sie rufen und sagte: „Wofür bestrafen Sie mich so schwer, daß Sie der heiligen Mutter Gottes eine Bittschrift gegen mich einreichen?“ — „.Ich habe zu wiederholten Malen,“ antwortete die Dame, „Eure Majestät mit einem Gesuch zu belästigen gewagt, worin ich über die Ungerechtigkeit der Richter Klage führte, welche mich einer mir zukommenden Besitzlichkeit beraubt haben. Da ich aber keine Antwort erhielt, so entschloß ich mich, die heilige Mutter Gottes zu bitten.“ — „Nehmen Sie Ihr Gesuch zurück und übergeben Sie es mir; ich will selbst Ihre Angelegenheit untersuchen und Ihnen zu Ihrem Recht verhelfen.“ In der Tat hielt die Kaiserin ihr Versprechen und ließ der Dame das ihr unrechtmäßigerweise fortgenommene Gut zurückerstatten; dem Richter ließ sie eine Geldstrafe auflegen.

Eine derartige Handlung ist mehr geeignet, bei den Untertanen Anhänglichkeit an ihre Fürsten zu wecken, als die Austeilung von Belohnungen, denen oft kein wahres Verdienst zu Grunde liegt.


Nach manchen Missgeschicken, Beunruhigungen und Entbehrungen verschiedener Art gelangten wir schließlich an das Ziel unsrer Reise, und, o wehe! alles dasjenige, was mir im Gedanken vorgeschwebt, alles, was, aus der Ferne betrachtet, mir vorteilhaft, ja sogar anziehend erschienen war, erwies sich an Ort und Stelle als ungeeignet oder, richtiger gesagt, als völlig unmöglich. Das plötzliche Scheitern aller meiner Pläne und die trostlosen Aussichten für die Zukunft versetzten mein Herz in heftige Aufregung und zogen mir schließlich eine Krankheit zu. Meine Frau erkrankte gleichfalls. Man brachte uns krank nach Nischni Nowgorod. Wie unsre Leute uns zur Stadt hineingeschafft, wie es kam, daß es nach einem schweren Fieberanfall zuerst mit mir und darauf mit meiner Frau wieder besser zu gehen anfing — kann ich noch bis heute nicht begreifen. Kaum war ich so weit, daß ich auf den Füßen stehen konnte, so meldeten sich auch die Sorgen. Unsre Leute hatten zur Bestreitung der Ausgaben für die Wohnung, Medizin u. s. w. während unsrer Krankheit fast alle unsre Habseligkeiten, das Silberzeug, Uhren u. s. w. verkauft; zum Glück war aber mein Frack unangetastet geblieben, so daß ich in anständiger Kleidung vor dem Publikum erscheinen konnte. Da ich niemand kannte, begab ich mich direkt zum Zivilgouverneur und setzte ihm offen meine Lage auseinander; indes hatte er schon davon Kenntnis erhalten. Der Herr Zivilgouverneur empfing mich aufs liebenswürdigste, öffnete mir sein Haus und belebte in mir aufs neue die Hoffnung. Dank seinem Einfluß und den Bemühungen von M. S., dessen Bekanntschaft ich beim Gouverneur machte, wurde ich von der Adelsversammlung zum Assessor des Gewissensgerichts erwählt.