Charakterzüge

E. F. Kudrjawzow, ein äußerst ehrenhafter und edeldenkender Mann, händigte dem Polizeimeister tausend Rubel Banko ein und befahl ihm, zu Fürst Gruzinski, Fürst Trubetzkoi, Zacharjin und Ljeniwzew zu fahren und ihnen zu sagen, er habe tausend Rubel gespendet, sie mögen auch ihrerseits etwas für die Reisenden tun. Es waren lauter reiche Leute, und sie gaben mehr, als der Gouverneur erwartet hatte. Dieser ließ dem Fürsten Ssibirski und Turtschaninow die Fesseln abnehmen, alles Nötige für sie einkaufen und den Nest des Geldes ihnen abgeben. Gleich, nachdem der Polizeimeister sich entfernt hatte, ließ er seinen Kanzleidirektor Ssolmanow rufen und diktierte ihm einen Bericht an Seine Majestät, der, soweit ich mich erinnere, folgendermaßen lautete: ,,,In der Voraussetzung, daß es Eurer Majestät erwünscht wäre, wenn die beiden Verbrecher, Fürst Ssibirski und Turtschaninow, lebendig an ihrem Bestimmungsorte einträfen und dort ihre Verbrechen bereuten, habe ich, nachdem ich mich während ihrer Durchreise durch Nischni Nowgorod davon überzeugt, daß sie krank und ihre Füße voller Wunden sind, und daß sie trotz der inzwischen eingetretenen Winterkälte weder Pelze, noch Mützen, noch auch Geld haben, ihnen die Fesseln abnehmen und sie mit allem Nötigen versorgen lassen, und glaube damit den Willen meines Kaisern erfüllt zu haben, worüber ich das Glück habe. Eurer Majestät Bericht zu erstatten.“

Kurz darauf erhielt der Gouverneur ein allerhöchstes Reskript, soweit ich mich erinnere, folgenden Inhalts:
„Sie haben mich richtig verstanden; ,Ihre menschenfreundliche Handlungsweise hat in meinem Herzen einen Widerhall gefunden, und zum Zeichen meines besonderen Wohlwollens übermittele ich Ihnen anbei die Insignien des heil. Annenordens I. Klasse, die Sie anzulegen haben u. s. w.“


Dieser Schritt, welcher von der Herzensgüte und dem Edelmut des Kaisers sogar Verbrechern gegenüber — ob vermeintlichen oder wirklichen, ist hierbei gleichgültig — Zeugnis ablegt, zeigt zugleich, wie der Kaiser von seiner Umgebung verstanden wurde.

Ein Lieutenant reichte einmal beim Kaiser eine Klage gegen seinen Hauptmann ein, der ihm eine Ohrfeige versetzt hatte. Der Kaiser ließ ihm folgende, wahrhaft ritterliche Resolution mitteilen:

„Ich habe ihm den Degen zur Verteidigung des Vaterlandes und seiner persönlichen Ehre gegeben, aber offenbar versteht er es nicht, mit demselben umzugehen; deshalb soll er aus dem Dienst entlassen werden.“

Einige Zeit darauf reichte derselbe verabschiedete Offizier wieder eine Bittschrift um dienstliche Verwendung ein. Der Vizepräsident des Kriegskollegiums meldete dies und erbat sich darüber Befehl, mit welchem Rang man ihn anstellen solle. „Natürlich mit demselben Rang, in welchem er vorher gedient hat,“ antwortete der Kaiser, „was der Kaiser einmal gegeben hat, nimmt er nicht zurück.“

Ein andermal nahm der Kaiser Paul auf der Tzaritzinwiese einem unter dem Kommando A. B. Zapolskis siebenden Bataillon Preobrashenzer die Parade ab. Das Bataillon führte die Übungen nicht gut aus. Der Kaiser geriet in Zorn und schickte dasselbe vom Exerzierplatz fort. Nunmehr marschierte, laut Befehl, ein Bataillon des Ssemjonowschen Regiments unter Graf Golowkin von der Gartenstraße her über die damals vorhandene kleine Brücke auf. Kaum hatte der Kaiser, bei dem der Zorn noch nicht verraucht war, das Bataillon bemerkt, so rief er gleich: „Schwach, schwach!“ Golowkin wandte sich zu den Soldaten und ermunterte sie mit den Worten: ,, Gut, Kinder, gut!“ Der Kaiser rief unausgesetzt: „ Schwach, schwach!“ Golowkin wiederholte seinerseits: „Gut, gut!“ Als aber der Kaiser hinzufügte: „Abscheulich, gräulich!“ kommandierte Golowkin: ,,Halt! Rechtsum marsch!“ und verließ den Exerzierplatz wieder durch die Gartenstraße abmarschierend. Der Kaiser wandte sich an den Grafen Pahlen und sagte: „Was tut er? Rufen Sie ihn zurück!“ Graf Pahlen eilte Golowkin nach und übermittelte ihm den Befehl des Kaisers, umzukehren. „Melden Sie Seiner Majestät,“ antwortete Golowkin, „er habe sich über das Preobrashensche Bataillon geärgert, meine Soldaten marschieren aber tadellos. Wenn der Kaiser schlecht ruft und ich ,gut‘, so macht das die Leute irre und es kann wirklich schlecht gehen. Ich werde dem Kaiser heute mein Regiment nicht vorführen.“ Wie sehr sich auch Graf Pahlen ihn zu überreden bemühte, Golowkin zog mit feinem Regiment in die Kasernen ab. Graf Pahlen kam zurück und überbrachte die Antwort. „Pfui!“ rief der Kaiser, „was ist das für ein empfindlicher Deutscher! Übrigens hat er recht! Du bist ja auch ein Deutscher, söhne uns mit einander aus, bitte Golowkin zu mir zum Mittagessen.“ Dieser Vorfall kann als Beweis dafür dienen, wie der Kaiser stets bereit war, seine Festigkeit einzugestehen und seine Beleidigungen wieder gut zu machen.

Hiernach erscheint die damals über ihn herrschende Ansicht, er habe den Tyrannen spielen wollen, nicht gerechtfertigt; ein Tyrann hätte Golowkin für seinen offenbaren Ungehorsam exemplarisch bestrafen lassen; zugleich aber ersicht man hieraus, wie falsch diejenigen handelten, welche aus unnützer Angst und wegen Abänderung der Uniform aus dem Dienst traten und dadurch den Kaiser Kutaissow und Konsorten, sowie den gatschinaschen Offizieren überlieferten. Da fand sein ritterlicher Geist schon keine Nahrung mehr. Auch hier bewährte sich das Sprichwort: „Böses Beispiel verdirbt gute Sitten.“