Pauls Herzensgüte

Kaum hatte der Oberst dieses unanständige Wort genannt, als er eine wohlverdiente, gehörige Ohrfeige abbekam. Der Oberst wankte. Brand hatte damit noch nicht genug, er versetzte ihm eine zweite, noch kräftigere Ohrfeige, und der Oberst stürzte mit ganzer Wucht zu Boden. Brand setzte ihm den Fuß auf die Brust, spuckte ihm ins Gesicht und sagte: „Aus Achtung vor der Uniform erlaube ich dir noch, mich zu fordern.“ Der Oberst aus Gatschina hatte kein Verständnis für solche Worte, er reichte einen Rapport ein, welcher eine genaue Beschreibung der Tätlichkeiten und des sonstigen Sachverhalts enthielt. Brand wurde sofort zum Gemeinen degradiert und zwar in demselben Regiment. Er war ein vortrefflicher Mann, gebildet, von edler Gesinnung; in der Soldatenuniform war er stolz auf seine Tat. Er unterschrieb sich stets als „Ritter des weißen Gurts“. Acht Tage vor der Abreise des Kaisers nach Petersburg erschien ein Feldjäger und forderte den Gemeinen Brand vor den Kaiser. Als er ins Kabinett trat, legte Paul ein Papier, das er in der Hand hielt, auf den Tisch und sagte, auf Brand zutretend: „Beim himmlischen König gibt es keine ewigen Strafen und beim irdischen Herrscher soll es auch keine geben. Sie haben sich gegen die Subordination vergangen und ich habe Sie dafür bestraft; das ist in der Ordnung. Aber Sie sind als anständiger Mann für Ihre Kaiserin eingetreten; geben Sie mir einen Kuss, Herr Oberstlieutenant.“

Diese Anekdote zeigt das edle Herz Pauls in seiner ganzen Größe, und das um so mehr, als sich niemand für Brand verwandt hatte.


Der Kommandant von St. Petersburg, Kotlubitzki, ein herzensguter Mensch, hatte Mitleid mit den vielen Offizieren, welche für verschiedene Vergehen im Frontdienst eine Arreststrafe abbüßten, und als er mit seinem Rapport über die in die Residenz Angereisten und aus derselben Abreisenden fertig war, blieb er noch vor dem Kaiser stehen mit einer langen Papierrolle in der Hand.

„Was ist das!“ fragte der Kaiser.

„Ein kleiner Plan, Eure kaiserliche Hoheit, man muß das Wachthaus durch einen Anbau erweitern.“

„Wozu denn das?“

„Es ist so eng, daß die Offiziere weder sitzen noch liegen können.“

„Dummes Zeug!“ sagte der Kaiser, „sie sind doch nicht eines Staatsverbrechens wegen eingesperrt. Heute soll die eine Hälfte aus der Haft entlassen werden und morgen die andre, dann wird für alle Platz genug sein; der Anbau ist unnütz, auch künftig soll so verfahren werden.“

Während meines Aufenthaltes in Nischni Nowgorod, wovon später die Rede sein wird, ereignete sich folgender bemerkenswerte Fall. Fürst Ssibirski und General Turtschaninow, welche aus Petersburg nach Sibirien in die Verbannung gingen, machten auf ihrer Steife im Posthof von Nischni Nowgorod Station. Der Polizeimeister von Nischni Nowgorod Kelpen meldete sich beim Herrn Zivilgouverneur E. F. Kudrjawzow und teilte ihm die Ankunft der Reisenden mit, wobei er ihre elende Sage schilderte: Ihre Füße seien von den eisernen Fesseln ganz wund gerieben und beide befänden sich in dem Zustande völliger Erschöpfung, außerdem seien sie im Herbst abgereift, daher unterwegs von dem Winter überrascht worden, und hätten weder Pelze, noch warme Mützen und Stiefel, auch an Geld fehle es ihnen.