Bertram und seine Stoffe
Bis auf die Jugendjahre Bertrams, also etwa auf die Jahre um 1350, reicht eine feste Überlieferung in der Gestaltung der biblischen Stoffe. Für jede der herkömmlichen Szenen aus dem Leben der Maria und der Passion Christi gibt es ein Schema, das in Einzelheiten abgewandelt, aber in seinen Hauptzügen nicht geändert wird. In dem Künstlergeschlecht, dem Bertram angehörte, entsteht mit einem Schlage das Bedürfnis dies Schema zu verlassen und die heiligen Vorgänge zu erzählen, als seien sie noch nie geschildert worden.
Zur selben Zeit kommt in der Behandlung der menschlichen Gestalt ein neuer Typus auf. Die Körper waren überschlank, fast gestreckt gewesen, jetzt wurden sie kurz und erschienen kürzer, weil die Köpfe im Verhältnis zu groß waren. An die Stelle der langen schmalen Gesichter, die zu den langen Körpern passten, traten derbere; schematische, aber edle Bewegungslinien und Gebärden machten weniger vornehmen aber unmittelbar ausdrückenden Platz. Auch die langen graziösen Linien des Faltenwurfs wurden durch neue Formen derberer Art ersetzt, bei denen lange, hangende Formen öfter durch kräftige Querfalten gekreuzt werden. Auf den ersten Blick schmeichelt die ältere Formengebung einem akademischen Geschmack. Aber eine unbefangene Prüfung muss in dem schwerfälligen Neuen, das auf so viele Zartheit und Feinheit der Linien verzichtet, die ersten Ansätze zu einer neuen Entwidmung anerkennen. Sind die Körper und die Gesten schwerer als vorher, so spricht aus jeder Bewegung eine neue Erfassung des inneren Lebens; verlieren die Züge ihren äußern Adel, so gewinnen sie an individuellem Ausdruck und wechselndem Leben. In der Gesichtsfarbe wird das herkömmliche Braun aufgegeben und der Ton des Fleisches angestrebt, die Augen, die als schwarze Punkte in den Augenwinkeln saßen, werden braun oder blau und erlangen freie Bewegung zwischen den Lidern, so dass ihr Ausdruck jedesmal der Gebärde entspricht.
Und wie mit einem Ruck wird sich der Künstler der umgebenden Welt bewusst. Der Mensch ist ihm nicht mehr alles, er sieht den Raum mit, das Zimmer in dem er wohnt, mit Wand, Decke und Hausrat, sieht die Landschaft, durch die er schreitet, mit Bäumen und Kräutern und von allerlei Getier belebt.
Für alles dies muss der Künstler neue Darstellungsmittel suchen. Er beobachtet scharf den Ausdruck der Gemütsbewegung, er prüft die Farbe der Gewänder, der Architektur und der neuen Welt der Landschaft. Er tastet sich, zunächst unbeholfen und hilflos, in die Gesetze der Perspektive hinein und entdeckt die Zauber des Helldunkels. Alles das ist dasWerk einer Generation, und Bertram steht, seit wir seine Werke wiedergewonnen, für Deutschland als ihr typischer Vertreter da.
Was dieser weite Schritt in die Richtung des Naturalismus bedeutet, lehrt in unserer Sammlung der Vergleich einiger Szenen auf dem westfälischen Altar von etwa 1350 mit den entsprechenden Darstellungen bei Bertram. Es ist schwer zu sagen, wie weit diese beiden Meister zeitlich auseinander liegen, da wir bisher noch keine sichere Daten über die westfälische Malerei des vierzehnten Jahrhunderts besitzen. Vielleicht lebten sie fast gleichzeitig. Wir müssen uns begnügen, in dem westfälischen Altar der Kunsthalle die Stufe des Meisters zu erkennen, bei dem Bertram in die Lehre gegangen ist.
Nach alter Überlieferung stehen die Jungfrau und der Engel der Verkündigung aufrecht nebeneinander. Eine Andeutung des Raumes fehlt, wenn man nicht die Vase mit der Lilie zwischen den Figuren als Hinweis auf das Zimmer nehmen will. Maria hält das Gebetbuch in der Linken, neigt den Kopf und erhebt abwehrend die Rechte.
Auf den fünf Darstellungen der Verkündigung bei Bertram kniet der Engel stets, Maria viermal, und zwar im Gebet vor ihrem Betpult vom Engel überrascht. Einmal thront sie mit dem Buch in der Linken. Auf dem Buxtehuder Altar ist aus der Andeutung des Innenraums durch eine Vase, mit der sich Bertrams Vorgänger begnügten, das Zimmer selbst geworden, das mit seinen drei Wänden die Bewohnerin umschließt, von dessen zierlicher Decke die ewige Lampe herabhängt, und durch dessen Fenster das Licht nach den Gesetzen einströmt, die der Künstler in der Wirklichkeit beobachtet hatte.
Die Geburt Christi wird auf dem westfälischen Altar erst ganz leise mit neuer Empfindung belebt. Die Anordnung bleibt noch die feierliche des dreizehntenjahrhunderts. Maria ruht auf dem Lager, das Kind liegt in der Krippe, die in symbolischer Absicht auf einen Altar gestellt ist. Joseph sitzt und schläft. Nach strengem Kanon müsste Maria vom Kind abgewendet liegen, als Göttin in Nachdenken über den Erlösungsplan versunken. Der alte westfälische Meister hat in seiner Seele etwas wie eine Witterung des Kommenden gespürt. Maria wendet sich dem Kinde zu, es zuckt ihr schon in den Armen, das Kind neigt sich zu ihr aus der Krippe. Aber sie wagen es noch nicht, sich zu berühren und zu herzen. Das gestattet ihnen erst die folgende Generation, der Bertram angehört. Bei ihm hat Joseph das Kind an sich genommen und reicht es der Mutter, wobei Mutter und Kind einander die Hände entgegenstrecken. Oder Maria hält es glückselig in den Armen und legt es in die Krippe, die nun nicht mehr Altar ist. Die dann folgende Generation, der Bertrams Nachfolger Francke angehört, hat noch wieder einen neuen Typus ausgebildet, Maria liegt nicht mehr nach alter Weise auf dem Lager, sie herzt oder pflegt das Kind nicht mehr, sie kniet vor ihm und betet es an.
Die Ursachen dieser großen Stilwandlung, die alle Form, alle Farbe, alle Raumanschauung und die Gestaltung aller überlieferten Stoffe umfaßt, lassen sich nur zum Teil bezeichnen.
Wir verstehen sie vielleicht am besten, wenn wir uns daran erinnern, dass wir von den letzten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts an bei den Völkern des Kontinents ein ähnliches Phänomen beobachten können: die Neuentdeckung des Menschen und der Natur, die in dem Aufstreben eines neuen Standes, des Bürgertums, ihre Wurzel hat. Eine aristokratische Kunst der großen Gebärde und der einseitigen Teilnahme für den Menschen, die das Volksleben, die Landschaft, das Tierleben (von aristokratischen Vorgängen des Sports und der Jagd abgesehen) ausschließt, wird durch eine äußerlich weniger vornehme aber innerlich unendlich reichere ersetzt.
Wir haben auch in der Wandlung der Kunst des vierzehnten Jahrhunderts bei uns in Deutschland den Einfluss des eben zum Bewusstsein seiner Selbständigkeit und Macht erwachsenen Bürgertums zu sehen, das dann während des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts der Träger der deutschen Kunst werden sollte.
Dieser neue Stand hätte keine Veranlassung gehabt an die Stelle einer erstarrten religiösen Kunstform eine neue lebendige zu setzen, wenn nicht seine Religiosität, aus frischen Quellen genährt, neue Ausdrucksmittel gesucht hätte.
Henry Thode hat in seinem Werk über den h. Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien nachgewiesen, wie diese starke Seele die Empfindung und Anschauung seines Volkes erneuert hat. In einem dichterischen Werk seines engsten Kreises, den Meditationen über das Leben der Jungfrau Maria und die Passion Christi, die dem heiligen Bonaventura zugeschrieben werden, hat er die Quelle der neuen Formen nachgewiesen, in denen sich die italienischen Künstler von diesem Zeitpunkt ab die heiligen Geschichten vorgestellt haben.
Emile Mâle hat sodann in der Gazette des beaux Arts 1904 dasselbe Werk als eine der Hauptquellen der nordischen Mysterienspiele nachgewiesen, in deren dramatischem Getriebe wir seit langer Zeit das Stück realistischen Lebens sehen, das die Phantasie der Künstlermit unmittelbarer Anschauung nährte. Im vierzehnten Jahrhundert an Verbreitung gewinnend, haben sie jedoch erst im fünfzehnten überall gleichmäßig und gleichzeitig gewirkt, nördlich der Alpen wahrscheinlich von Paris ausstrahlend. Aus den Meditationen des heiligen Bonaventura stammt, durch das Mysterienspiel vermittelt, die Madonna, die bei unserm Hamburger Francke vor dem neugeborenen Christkinde kniet.
Wie weit dem Wirken Bertrams schon die Anschauung der Mysterien zugrunde liegt, ist nicht zu entscheiden. Hier und da möchte man geneigt sein, an den lebendigen Vorgang eines geistlichen Spiels zu denken, so bei dem erstaunlichen Reichtum der Handlung des bethlehemitischen Kindermords. Nachrichten über Mysterienspiele in Hamburg besitzen wir jedoch erst aus dem fünfzehnten Jahrhundert, womit freilich nicht gesagt ist, dass das 14. Jahrhundert sie nicht gekannt hat. Für das Verständnis Bertrams gibt uns Bonaventura noch keinen Schlüssel.
Auch lässt sich nur ganz allgemein als Hintergrund für Bertrams besondere Art die Wirksamkeit der deutschen Mystiker des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts andeuten. Unmittelbare Bezüge habe ich noch nicht gefunden. Das Wesen der mystischen Geistesstimmung, das auf Jahrhunderte die Kunst befruchten sollte, war die Versenkung in die heiligen Begebenheiten mit der Absicht, sie als Vision leibhaft vor sich zu sehen. Seit dem 13. Jahrhundert war in Deutschland eine Art Andachtsübung in Form visionärer Zustände aufgekommen, in denen die Hingerissenen das Leben der Jungfrau und das Leiden Christi in ihrem ganzen Verlauf, dazu alle Seligkeit des Himmels und alle Qualen der Hölle wie Wirklichkeit vor sich sahen. Seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts dringt diese Fähigkeit, gedachte Dinge wie wirklich vor sich zu sehen, in die Seele der nordischen Künstler. In diesem Sinne gehört auch Bertram mit all seinem Lebensgefühl und Realismus zu dem Stamm der Mystiker. Wie viel Traumhaftes in der Sicherheit seiner Vorstellung wirkt, lernt man erst nach und nach fühlen. Am stärksten äußert sich das traumhaft visionäre Wesen der Mystiker vielleicht im Besuch der Engel des Marienlebens. Verwandt mit der Form der Predigten der Mystiker ist schließlich auch der starke dramatische Einschlag bei Bertram.
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„Was uns an Tafelbildern der Zeit der ersten Morgendämmerung der modernen Kunst verloren gegangen ist, lässt sich nicht ermessen. Es fehlt fast alles, was die Niederländer vor 1400 geschaffen haben, die auf unsere Zeit gelangten französischen Gemälde des 14. Jahrhunderts sind an den Fingern einer Hand zu zählen, aus Westfalen ließe sich aus demselben Zeitraum kaum dieselbe Zahl zusammenbringen, aus Köln blieb etwas mehr übrig; wenn man den Clarenaltar mitrechnet, erheblich mehr. Je weiter nach Osten, desto reichlicher wird die Menge. Auf eigentlich deutschem Boden steht jetzt Hamburg voran, einiges weist Thüringen auf, ein paar Bruchstücke der Nürnberger Bereich (Heilsbronn). Dichter stehen die Monumente im Umkreis der Prager Kunst.
In den Ländern des Westens, den Niederlanden und Frankreich, in Süddeutschland haben teils die weitere Entwicklung der Kunst, die in Norddeutschland ausblieb, teils die bis zur französischen Revolution wiederkehrenden Erschütterungen der Bilderstürme und des Vandalismus gründlich aufgeräumt.
Auch von Meister Bertrams Werk ist nur ein Teil auf uns gekommen, so reich die Überreste im Vergleich zu dem sonst erhaltenen erscheinen mögen. Es fehlt unter den mit Sicherheit ihm gehörenden Bildern der ganze Kreis der Passion, wenn es von ihm schon eine Passion gegeben hat. Was wir von ihm besitzen beschränkt sich auf das alte Testament, das Marienleben, die Apokalypse und einige Heiligenlegenden, merkwürdigerweise lauter Seltenheiten auf dem Gebiet der Tafelmalerei.
Das alte Testament kommt unter den erhaltenen Altarwerken seiner Zeit überhaupt kaum vor, das Marienleben, wenn der Kölner Clarenaltar mitgerechnet wird, nur einmal neben ihm, die Apokalypse und die Legenden stehen wieder allein.
Es ist also nur beim Marienleben, das als abgeschlossener Zyklus auch wieder einzeln bleibt, ein Vergleich der typischen Szenen mit einem gleichzeitigen Werk möglich, dem Clarenaltar, der dann freilich noch die Passion enthält.
Aber wenn bei Bertram die vergleichende Heranziehung anderer Tafelbilder wegfällt, führt die Zusammenstellung der Szenen, die er selber behandelt, zu einem Ergebnis, das ihn bis weit ins fünfzehnte Jahrhundert zu einer ganz einzigen Erscheinung macht: derselbe Stoff wird in seinem Werk wiederholt behandelt, zwei seiner Altäre, der Buxtehuder und der Harvestehuder, sind Marienaltäre, und auch auf dem Grabower und dem Londoner kommen Szenen aus dem Leben der Jungfrau vor.
Wie Bertram sich zur gegebenen Aufgabe stellt, geht aus der Veränderung der Motive hervor, die bei wiederholter Darstellung desselben Vorwurfs auftreten.
Die Verkündigung bildet er nicht weniger als fünfmal. Dreimal sind die Typen wesentlich verschieden, und dreimal wandelt er dasselbe Motiv um.
Auf dem Grabower Altar kommt die altertümlichste Anordnung vor. Der Engel kniet und auch Maria steht schon nicht mehr, aber sie kniet nicht sondern thront, ganz von vorn gesehen, während der Engel in Seitenansicht neben ihr kniet. Maria hält das Gebetbuch mit der Linken — ein altertümliches Motiv; schon bei den übrigen Verkündigungen Bertrams überrascht der Engel diejungfrau beim Lesen — die Rechte hebt sie erstaunt und erschrocken ausgestreckt bis zur Kopfhöhe und sieht erschüttert vor sich in die Höhe. Ein reizvolles Motiv, wie die erhobene Hand den Mantel zerrend in straffe Falten zieht. Im Blick des Auges und der Bewegung der Hand klingen Staunen, Schreck und Abwehr zusammen.
Der zweite Typus erscheint wenig aber doch sichtbar abgewandelt dreimal. Zuerst ebenfalls auf dem Grabower Altar 1379. Maria wendet sich, den Blick in die Ferne gerichtet, lauschend zum Engel, die Linke presst sie auf die Brust, die Rechte spielt verloren mit den Blättern des Gebetbuchs. Auf der Außenseite des Harvestehuder Altars ist die Stellung nahe verwandt. Nur dass die Hände sich umgekehrt bewegen. Die Rechte liegt auf der Brust, die Linke presst sich mit dem Rücken gegen das Blatt des Gebetbuchs. Die Szene auf dem Londoner steht der Anordnung bei Francke und dem Lübecker Meister des Neukirchner Altars am nächsten. Maria wendet sich, die Augen niederschlagend, zu dem knieenden Engel. Die Linke liegt auf dem Buch, die Rechte ist mit der Handfläche nach außen abwehrend erhoben.
Das letzte und höchste in der Ausarbeitung des Themas bietet auch hier der Buxtehuder Altar, der das Kämmerlein der Jungfrau schildert. Sie kniet und hört den Engel mit gesenktem Blicke an. Ihre Hände liegen noch im Gebet zusammen, der Engel ist ihr genaht, während sie betete.
Die Geburt Christi kommt dreimal vor.
Das Schnitzwerk auf dem Harvestehuder Altar vertritt den altern Typus. Maria liegt noch auf dem Lager, richtet sich auf und streckt beide Hände nach dem Kinde aus. Das Christkind lag in der noch fast als Altar gebildeten Krippe und war schon der Mutter zugewandt. Das war annähernd schon von den Meistern der Generation vor Bertram erreicht (westfälischer Altar von 1350 in der Kunsthalle zu Hamburg). Das neue steckt diesmal im Joseph. Er sitzt nicht mehr und schläft, sondern er hat Brei gekocht und kommt mit dem eisernen dreifüßigen Tiegel in der einen und dem Napf in der andern Hand gebückt heran. Ochs und Esel sind noch als Köpfe über der Krippe sichtbar, ebenfalls ein altertümlicher Zug.
Auf dem Grabower Altar hat sich die Szene ganz geändert. Ochs und Esel liegen zu Füßen der Jungfrau neben der Krippe. Joseph, ein müder Greis, hält der Jungfrau das Kind entgegen, das ihr mit gespreizten Fingern zustrebt. Maria, noch auf dem Lager, breitet die Hände aus, das Kind zu empfangen.
Der Buxtehuder Altar gibt alles reicher. Maria hält das Kind in den Armen und schickt sich an, es in die Krippe zu legen, an die das Öchslein gebunden ist. Joseph ruht aus und stärkt sich durch einen Zug aus der Pilgerflasche. Engel schwingen Weihrauchgefäße, wie ein schmeichelnder Hund macht sich der Esel heran, eine Katze streckt sich neugierig im Gebälk des Stalles, ein Schwein macht sich gleichgültig neben der Krippe zu schaffen. Dieser Stich ins Tiermärchen gehört ganz Bertram.
Bei der Anbetung der Könige, die auf dem Grabower und dem Buxtehuder Altar vorkommt, ist das Bewegungsmotiv des Kindes jedesmal von großer Ursprünglichkeit und Schönheit, und jedesmal grundverschieden. Auf dem älteren Altar steht es mit dem linken Fuß auf dem Knie der Mutter, und als der knieende Greis seinen Arm umfasst, um die Hand zum Munde zu führen, greift es mit der Rechten nach der Mutter und hebt zuckend das freie Bein. So auffallend dies Motiv ist, das auf dem Buxtehuder Altar gibt noch mehr zu denken. Das Kind sitzt quer auf dem Schoß der Mutter und stemmt sich mit den rechten Fuß gegen. Die Mutter stützt das Kind mit der Rechten unter der Schulter und spielt mit seinem linken Fuß. Aus dieser Querlage des Körpers dreht das Kind Kopf und Schultern dem Greise zu und langt nach seinen Gaben.
Auf den beiden Schilderungen des bethlehemitischen Kindermordes hat Bertram dasselbe Schema verwendet. Drei Figuren gliedern die Komposition, links thront Herodes, in der Mitte steht hochaufgerichtet einer der Krieger, von rechts fällt ihn die Mutter des Kindes an, das er ermordet. Dazwischen allerlei Nebenfiguren. Die Einzelmotive und die Menschentypen sind dann wieder sehr verschieden. Auf dem Grabower Altar holt der mordende Krieger zum Schlage aus und hält das Kind bei den Händen, auf dem Buxtehuder hat er es eben durchbohrt und der Künstler legt den Nachdruck auf die Schilderung des Kindes. Die Mutter, die den Soldaten anfällt, tritt auf dem Buxtehuder Altar mit weit stärkerer Energie auf und wird hier mit flatterndem Haar feiner charakterisiert. Nur auf dem Grabower Altar kommt jedoch die Frau vor, die sich flehend dem König zu Füßen wirft. Etwas anders gewendet ist auf dem Buxtehuder Altar das Motiv des Gewappneten, der mit Herodes spricht. Während man aus der Darstellung des Grabower Altars nicht wissen kann, wonach er so eindringlich fragt — man braucht es schließlich nicht, er ist im Eifer und verlangt Befehle — weist er auf dem Buxtehuder mit der einen Hand auf den mordenden Krieger, mit der andern auf die Frau, die ihn anfällt, als wollte er fragen, ob er dem Kameraden nicht zu Hilfe kommen dürfe.
Eine eigentliche Wiederholung kommt mithin in keinem einzelnen Falle vor. Wenn auch das Schema, wie beim Tod der Maria, dasselbe bleibt, im Einzelmotiv bewegt sich der Künstler völlig frei.
Für die Beurteilung alles dessen, was stoffliche und dramatische Erfindung heißt im Werke Meister Bertrams, ist dies Ergebnis grundlegend wichtig. Wir dürfen dieselbe Freiheit auch in den Szenen, die nur einmal vorkommen, voraussetzen und bis auf weiteres annehmen, dass die Gedanken, die sich nachweisen lassen, dem Künstler selbst gehören.
Zur selben Zeit kommt in der Behandlung der menschlichen Gestalt ein neuer Typus auf. Die Körper waren überschlank, fast gestreckt gewesen, jetzt wurden sie kurz und erschienen kürzer, weil die Köpfe im Verhältnis zu groß waren. An die Stelle der langen schmalen Gesichter, die zu den langen Körpern passten, traten derbere; schematische, aber edle Bewegungslinien und Gebärden machten weniger vornehmen aber unmittelbar ausdrückenden Platz. Auch die langen graziösen Linien des Faltenwurfs wurden durch neue Formen derberer Art ersetzt, bei denen lange, hangende Formen öfter durch kräftige Querfalten gekreuzt werden. Auf den ersten Blick schmeichelt die ältere Formengebung einem akademischen Geschmack. Aber eine unbefangene Prüfung muss in dem schwerfälligen Neuen, das auf so viele Zartheit und Feinheit der Linien verzichtet, die ersten Ansätze zu einer neuen Entwidmung anerkennen. Sind die Körper und die Gesten schwerer als vorher, so spricht aus jeder Bewegung eine neue Erfassung des inneren Lebens; verlieren die Züge ihren äußern Adel, so gewinnen sie an individuellem Ausdruck und wechselndem Leben. In der Gesichtsfarbe wird das herkömmliche Braun aufgegeben und der Ton des Fleisches angestrebt, die Augen, die als schwarze Punkte in den Augenwinkeln saßen, werden braun oder blau und erlangen freie Bewegung zwischen den Lidern, so dass ihr Ausdruck jedesmal der Gebärde entspricht.
Und wie mit einem Ruck wird sich der Künstler der umgebenden Welt bewusst. Der Mensch ist ihm nicht mehr alles, er sieht den Raum mit, das Zimmer in dem er wohnt, mit Wand, Decke und Hausrat, sieht die Landschaft, durch die er schreitet, mit Bäumen und Kräutern und von allerlei Getier belebt.
Für alles dies muss der Künstler neue Darstellungsmittel suchen. Er beobachtet scharf den Ausdruck der Gemütsbewegung, er prüft die Farbe der Gewänder, der Architektur und der neuen Welt der Landschaft. Er tastet sich, zunächst unbeholfen und hilflos, in die Gesetze der Perspektive hinein und entdeckt die Zauber des Helldunkels. Alles das ist dasWerk einer Generation, und Bertram steht, seit wir seine Werke wiedergewonnen, für Deutschland als ihr typischer Vertreter da.
Was dieser weite Schritt in die Richtung des Naturalismus bedeutet, lehrt in unserer Sammlung der Vergleich einiger Szenen auf dem westfälischen Altar von etwa 1350 mit den entsprechenden Darstellungen bei Bertram. Es ist schwer zu sagen, wie weit diese beiden Meister zeitlich auseinander liegen, da wir bisher noch keine sichere Daten über die westfälische Malerei des vierzehnten Jahrhunderts besitzen. Vielleicht lebten sie fast gleichzeitig. Wir müssen uns begnügen, in dem westfälischen Altar der Kunsthalle die Stufe des Meisters zu erkennen, bei dem Bertram in die Lehre gegangen ist.
Nach alter Überlieferung stehen die Jungfrau und der Engel der Verkündigung aufrecht nebeneinander. Eine Andeutung des Raumes fehlt, wenn man nicht die Vase mit der Lilie zwischen den Figuren als Hinweis auf das Zimmer nehmen will. Maria hält das Gebetbuch in der Linken, neigt den Kopf und erhebt abwehrend die Rechte.
Auf den fünf Darstellungen der Verkündigung bei Bertram kniet der Engel stets, Maria viermal, und zwar im Gebet vor ihrem Betpult vom Engel überrascht. Einmal thront sie mit dem Buch in der Linken. Auf dem Buxtehuder Altar ist aus der Andeutung des Innenraums durch eine Vase, mit der sich Bertrams Vorgänger begnügten, das Zimmer selbst geworden, das mit seinen drei Wänden die Bewohnerin umschließt, von dessen zierlicher Decke die ewige Lampe herabhängt, und durch dessen Fenster das Licht nach den Gesetzen einströmt, die der Künstler in der Wirklichkeit beobachtet hatte.
Die Geburt Christi wird auf dem westfälischen Altar erst ganz leise mit neuer Empfindung belebt. Die Anordnung bleibt noch die feierliche des dreizehntenjahrhunderts. Maria ruht auf dem Lager, das Kind liegt in der Krippe, die in symbolischer Absicht auf einen Altar gestellt ist. Joseph sitzt und schläft. Nach strengem Kanon müsste Maria vom Kind abgewendet liegen, als Göttin in Nachdenken über den Erlösungsplan versunken. Der alte westfälische Meister hat in seiner Seele etwas wie eine Witterung des Kommenden gespürt. Maria wendet sich dem Kinde zu, es zuckt ihr schon in den Armen, das Kind neigt sich zu ihr aus der Krippe. Aber sie wagen es noch nicht, sich zu berühren und zu herzen. Das gestattet ihnen erst die folgende Generation, der Bertram angehört. Bei ihm hat Joseph das Kind an sich genommen und reicht es der Mutter, wobei Mutter und Kind einander die Hände entgegenstrecken. Oder Maria hält es glückselig in den Armen und legt es in die Krippe, die nun nicht mehr Altar ist. Die dann folgende Generation, der Bertrams Nachfolger Francke angehört, hat noch wieder einen neuen Typus ausgebildet, Maria liegt nicht mehr nach alter Weise auf dem Lager, sie herzt oder pflegt das Kind nicht mehr, sie kniet vor ihm und betet es an.
Die Ursachen dieser großen Stilwandlung, die alle Form, alle Farbe, alle Raumanschauung und die Gestaltung aller überlieferten Stoffe umfaßt, lassen sich nur zum Teil bezeichnen.
Wir verstehen sie vielleicht am besten, wenn wir uns daran erinnern, dass wir von den letzten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts an bei den Völkern des Kontinents ein ähnliches Phänomen beobachten können: die Neuentdeckung des Menschen und der Natur, die in dem Aufstreben eines neuen Standes, des Bürgertums, ihre Wurzel hat. Eine aristokratische Kunst der großen Gebärde und der einseitigen Teilnahme für den Menschen, die das Volksleben, die Landschaft, das Tierleben (von aristokratischen Vorgängen des Sports und der Jagd abgesehen) ausschließt, wird durch eine äußerlich weniger vornehme aber innerlich unendlich reichere ersetzt.
Wir haben auch in der Wandlung der Kunst des vierzehnten Jahrhunderts bei uns in Deutschland den Einfluss des eben zum Bewusstsein seiner Selbständigkeit und Macht erwachsenen Bürgertums zu sehen, das dann während des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts der Träger der deutschen Kunst werden sollte.
Dieser neue Stand hätte keine Veranlassung gehabt an die Stelle einer erstarrten religiösen Kunstform eine neue lebendige zu setzen, wenn nicht seine Religiosität, aus frischen Quellen genährt, neue Ausdrucksmittel gesucht hätte.
Henry Thode hat in seinem Werk über den h. Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien nachgewiesen, wie diese starke Seele die Empfindung und Anschauung seines Volkes erneuert hat. In einem dichterischen Werk seines engsten Kreises, den Meditationen über das Leben der Jungfrau Maria und die Passion Christi, die dem heiligen Bonaventura zugeschrieben werden, hat er die Quelle der neuen Formen nachgewiesen, in denen sich die italienischen Künstler von diesem Zeitpunkt ab die heiligen Geschichten vorgestellt haben.
Emile Mâle hat sodann in der Gazette des beaux Arts 1904 dasselbe Werk als eine der Hauptquellen der nordischen Mysterienspiele nachgewiesen, in deren dramatischem Getriebe wir seit langer Zeit das Stück realistischen Lebens sehen, das die Phantasie der Künstlermit unmittelbarer Anschauung nährte. Im vierzehnten Jahrhundert an Verbreitung gewinnend, haben sie jedoch erst im fünfzehnten überall gleichmäßig und gleichzeitig gewirkt, nördlich der Alpen wahrscheinlich von Paris ausstrahlend. Aus den Meditationen des heiligen Bonaventura stammt, durch das Mysterienspiel vermittelt, die Madonna, die bei unserm Hamburger Francke vor dem neugeborenen Christkinde kniet.
Wie weit dem Wirken Bertrams schon die Anschauung der Mysterien zugrunde liegt, ist nicht zu entscheiden. Hier und da möchte man geneigt sein, an den lebendigen Vorgang eines geistlichen Spiels zu denken, so bei dem erstaunlichen Reichtum der Handlung des bethlehemitischen Kindermords. Nachrichten über Mysterienspiele in Hamburg besitzen wir jedoch erst aus dem fünfzehnten Jahrhundert, womit freilich nicht gesagt ist, dass das 14. Jahrhundert sie nicht gekannt hat. Für das Verständnis Bertrams gibt uns Bonaventura noch keinen Schlüssel.
Auch lässt sich nur ganz allgemein als Hintergrund für Bertrams besondere Art die Wirksamkeit der deutschen Mystiker des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts andeuten. Unmittelbare Bezüge habe ich noch nicht gefunden. Das Wesen der mystischen Geistesstimmung, das auf Jahrhunderte die Kunst befruchten sollte, war die Versenkung in die heiligen Begebenheiten mit der Absicht, sie als Vision leibhaft vor sich zu sehen. Seit dem 13. Jahrhundert war in Deutschland eine Art Andachtsübung in Form visionärer Zustände aufgekommen, in denen die Hingerissenen das Leben der Jungfrau und das Leiden Christi in ihrem ganzen Verlauf, dazu alle Seligkeit des Himmels und alle Qualen der Hölle wie Wirklichkeit vor sich sahen. Seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts dringt diese Fähigkeit, gedachte Dinge wie wirklich vor sich zu sehen, in die Seele der nordischen Künstler. In diesem Sinne gehört auch Bertram mit all seinem Lebensgefühl und Realismus zu dem Stamm der Mystiker. Wie viel Traumhaftes in der Sicherheit seiner Vorstellung wirkt, lernt man erst nach und nach fühlen. Am stärksten äußert sich das traumhaft visionäre Wesen der Mystiker vielleicht im Besuch der Engel des Marienlebens. Verwandt mit der Form der Predigten der Mystiker ist schließlich auch der starke dramatische Einschlag bei Bertram.
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„Was uns an Tafelbildern der Zeit der ersten Morgendämmerung der modernen Kunst verloren gegangen ist, lässt sich nicht ermessen. Es fehlt fast alles, was die Niederländer vor 1400 geschaffen haben, die auf unsere Zeit gelangten französischen Gemälde des 14. Jahrhunderts sind an den Fingern einer Hand zu zählen, aus Westfalen ließe sich aus demselben Zeitraum kaum dieselbe Zahl zusammenbringen, aus Köln blieb etwas mehr übrig; wenn man den Clarenaltar mitrechnet, erheblich mehr. Je weiter nach Osten, desto reichlicher wird die Menge. Auf eigentlich deutschem Boden steht jetzt Hamburg voran, einiges weist Thüringen auf, ein paar Bruchstücke der Nürnberger Bereich (Heilsbronn). Dichter stehen die Monumente im Umkreis der Prager Kunst.
In den Ländern des Westens, den Niederlanden und Frankreich, in Süddeutschland haben teils die weitere Entwicklung der Kunst, die in Norddeutschland ausblieb, teils die bis zur französischen Revolution wiederkehrenden Erschütterungen der Bilderstürme und des Vandalismus gründlich aufgeräumt.
Auch von Meister Bertrams Werk ist nur ein Teil auf uns gekommen, so reich die Überreste im Vergleich zu dem sonst erhaltenen erscheinen mögen. Es fehlt unter den mit Sicherheit ihm gehörenden Bildern der ganze Kreis der Passion, wenn es von ihm schon eine Passion gegeben hat. Was wir von ihm besitzen beschränkt sich auf das alte Testament, das Marienleben, die Apokalypse und einige Heiligenlegenden, merkwürdigerweise lauter Seltenheiten auf dem Gebiet der Tafelmalerei.
Das alte Testament kommt unter den erhaltenen Altarwerken seiner Zeit überhaupt kaum vor, das Marienleben, wenn der Kölner Clarenaltar mitgerechnet wird, nur einmal neben ihm, die Apokalypse und die Legenden stehen wieder allein.
Es ist also nur beim Marienleben, das als abgeschlossener Zyklus auch wieder einzeln bleibt, ein Vergleich der typischen Szenen mit einem gleichzeitigen Werk möglich, dem Clarenaltar, der dann freilich noch die Passion enthält.
Aber wenn bei Bertram die vergleichende Heranziehung anderer Tafelbilder wegfällt, führt die Zusammenstellung der Szenen, die er selber behandelt, zu einem Ergebnis, das ihn bis weit ins fünfzehnte Jahrhundert zu einer ganz einzigen Erscheinung macht: derselbe Stoff wird in seinem Werk wiederholt behandelt, zwei seiner Altäre, der Buxtehuder und der Harvestehuder, sind Marienaltäre, und auch auf dem Grabower und dem Londoner kommen Szenen aus dem Leben der Jungfrau vor.
Wie Bertram sich zur gegebenen Aufgabe stellt, geht aus der Veränderung der Motive hervor, die bei wiederholter Darstellung desselben Vorwurfs auftreten.
Die Verkündigung bildet er nicht weniger als fünfmal. Dreimal sind die Typen wesentlich verschieden, und dreimal wandelt er dasselbe Motiv um.
Auf dem Grabower Altar kommt die altertümlichste Anordnung vor. Der Engel kniet und auch Maria steht schon nicht mehr, aber sie kniet nicht sondern thront, ganz von vorn gesehen, während der Engel in Seitenansicht neben ihr kniet. Maria hält das Gebetbuch mit der Linken — ein altertümliches Motiv; schon bei den übrigen Verkündigungen Bertrams überrascht der Engel diejungfrau beim Lesen — die Rechte hebt sie erstaunt und erschrocken ausgestreckt bis zur Kopfhöhe und sieht erschüttert vor sich in die Höhe. Ein reizvolles Motiv, wie die erhobene Hand den Mantel zerrend in straffe Falten zieht. Im Blick des Auges und der Bewegung der Hand klingen Staunen, Schreck und Abwehr zusammen.
Der zweite Typus erscheint wenig aber doch sichtbar abgewandelt dreimal. Zuerst ebenfalls auf dem Grabower Altar 1379. Maria wendet sich, den Blick in die Ferne gerichtet, lauschend zum Engel, die Linke presst sie auf die Brust, die Rechte spielt verloren mit den Blättern des Gebetbuchs. Auf der Außenseite des Harvestehuder Altars ist die Stellung nahe verwandt. Nur dass die Hände sich umgekehrt bewegen. Die Rechte liegt auf der Brust, die Linke presst sich mit dem Rücken gegen das Blatt des Gebetbuchs. Die Szene auf dem Londoner steht der Anordnung bei Francke und dem Lübecker Meister des Neukirchner Altars am nächsten. Maria wendet sich, die Augen niederschlagend, zu dem knieenden Engel. Die Linke liegt auf dem Buch, die Rechte ist mit der Handfläche nach außen abwehrend erhoben.
Das letzte und höchste in der Ausarbeitung des Themas bietet auch hier der Buxtehuder Altar, der das Kämmerlein der Jungfrau schildert. Sie kniet und hört den Engel mit gesenktem Blicke an. Ihre Hände liegen noch im Gebet zusammen, der Engel ist ihr genaht, während sie betete.
Die Geburt Christi kommt dreimal vor.
Das Schnitzwerk auf dem Harvestehuder Altar vertritt den altern Typus. Maria liegt noch auf dem Lager, richtet sich auf und streckt beide Hände nach dem Kinde aus. Das Christkind lag in der noch fast als Altar gebildeten Krippe und war schon der Mutter zugewandt. Das war annähernd schon von den Meistern der Generation vor Bertram erreicht (westfälischer Altar von 1350 in der Kunsthalle zu Hamburg). Das neue steckt diesmal im Joseph. Er sitzt nicht mehr und schläft, sondern er hat Brei gekocht und kommt mit dem eisernen dreifüßigen Tiegel in der einen und dem Napf in der andern Hand gebückt heran. Ochs und Esel sind noch als Köpfe über der Krippe sichtbar, ebenfalls ein altertümlicher Zug.
Auf dem Grabower Altar hat sich die Szene ganz geändert. Ochs und Esel liegen zu Füßen der Jungfrau neben der Krippe. Joseph, ein müder Greis, hält der Jungfrau das Kind entgegen, das ihr mit gespreizten Fingern zustrebt. Maria, noch auf dem Lager, breitet die Hände aus, das Kind zu empfangen.
Der Buxtehuder Altar gibt alles reicher. Maria hält das Kind in den Armen und schickt sich an, es in die Krippe zu legen, an die das Öchslein gebunden ist. Joseph ruht aus und stärkt sich durch einen Zug aus der Pilgerflasche. Engel schwingen Weihrauchgefäße, wie ein schmeichelnder Hund macht sich der Esel heran, eine Katze streckt sich neugierig im Gebälk des Stalles, ein Schwein macht sich gleichgültig neben der Krippe zu schaffen. Dieser Stich ins Tiermärchen gehört ganz Bertram.
Bei der Anbetung der Könige, die auf dem Grabower und dem Buxtehuder Altar vorkommt, ist das Bewegungsmotiv des Kindes jedesmal von großer Ursprünglichkeit und Schönheit, und jedesmal grundverschieden. Auf dem älteren Altar steht es mit dem linken Fuß auf dem Knie der Mutter, und als der knieende Greis seinen Arm umfasst, um die Hand zum Munde zu führen, greift es mit der Rechten nach der Mutter und hebt zuckend das freie Bein. So auffallend dies Motiv ist, das auf dem Buxtehuder Altar gibt noch mehr zu denken. Das Kind sitzt quer auf dem Schoß der Mutter und stemmt sich mit den rechten Fuß gegen. Die Mutter stützt das Kind mit der Rechten unter der Schulter und spielt mit seinem linken Fuß. Aus dieser Querlage des Körpers dreht das Kind Kopf und Schultern dem Greise zu und langt nach seinen Gaben.
Auf den beiden Schilderungen des bethlehemitischen Kindermordes hat Bertram dasselbe Schema verwendet. Drei Figuren gliedern die Komposition, links thront Herodes, in der Mitte steht hochaufgerichtet einer der Krieger, von rechts fällt ihn die Mutter des Kindes an, das er ermordet. Dazwischen allerlei Nebenfiguren. Die Einzelmotive und die Menschentypen sind dann wieder sehr verschieden. Auf dem Grabower Altar holt der mordende Krieger zum Schlage aus und hält das Kind bei den Händen, auf dem Buxtehuder hat er es eben durchbohrt und der Künstler legt den Nachdruck auf die Schilderung des Kindes. Die Mutter, die den Soldaten anfällt, tritt auf dem Buxtehuder Altar mit weit stärkerer Energie auf und wird hier mit flatterndem Haar feiner charakterisiert. Nur auf dem Grabower Altar kommt jedoch die Frau vor, die sich flehend dem König zu Füßen wirft. Etwas anders gewendet ist auf dem Buxtehuder Altar das Motiv des Gewappneten, der mit Herodes spricht. Während man aus der Darstellung des Grabower Altars nicht wissen kann, wonach er so eindringlich fragt — man braucht es schließlich nicht, er ist im Eifer und verlangt Befehle — weist er auf dem Buxtehuder mit der einen Hand auf den mordenden Krieger, mit der andern auf die Frau, die ihn anfällt, als wollte er fragen, ob er dem Kameraden nicht zu Hilfe kommen dürfe.
Eine eigentliche Wiederholung kommt mithin in keinem einzelnen Falle vor. Wenn auch das Schema, wie beim Tod der Maria, dasselbe bleibt, im Einzelmotiv bewegt sich der Künstler völlig frei.
Für die Beurteilung alles dessen, was stoffliche und dramatische Erfindung heißt im Werke Meister Bertrams, ist dies Ergebnis grundlegend wichtig. Wir dürfen dieselbe Freiheit auch in den Szenen, die nur einmal vorkommen, voraussetzen und bis auf weiteres annehmen, dass die Gedanken, die sich nachweisen lassen, dem Künstler selbst gehören.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meister Bertram tätig in Hamburg 1367-1415