Bertrams Entwicklung

Der große Grabower Altar von 1379 und der Buxtehuder Altar Meister Bertrams liegen um mehr als ein Jahrzehnt auseinander. Der Buxtehuder Altar mag vielleicht gar in die Mitte der neunziger Jahre fallen.

An diesen beiden Werken kommt für eine Beobachtung der Entwicklung des Künstlers nur die Malerei in Betracht. Skulptur haben wir sicher datierbar nur von 1379. Die am Harvestehuder Altar und die in Doberan vermag ich heute noch nicht bestimmt einzuordnen, doch scheinen mir die Doberaner Arbeiten vor dem Grabower Altar von 1379 entstanden zu sein, weil, von anderen Anzeichen abgesehen, die Opferung Abrahams auf dem Laienaltar nicht wohl später als der, eine höhere Stufe der Entwicklung bezeichnenden Fassung dieses Vorwurfs 1379 erdacht sein kann. Die Malerei des Harvestehuder Altars erscheint mir als Werkstattarbeit, doch möchte ich sie zeitlich in die Nähe des Buxtehuder Altars rücken. Den Londoner Altar habe ich zuletzt 1901 gesehen, als der Grabower Altar noch unter der Übermalung steckte und seine beiden besterhaltenen Flügel unter Coignets Bildern noch nicht entdeckt waren. Auf die Beobachtungen hin, die ich damals machen konnte, möchte ich eine Datierung nicht vornehmen. Die große Freiheit im Aufbau der Magdalenenbilder scheint mir jedoch eher auf eine spätere Zeit zu weisen. Doch genügt die Gegenüberstellung der beiden großen Altäre aus Grabow und Buxtehude, um für das Gebiet der Malerei die für die Beurteilung seiner künstlerischen Eigenkraft mit ausschlaggebende Frage, ob bei Bertram eine Entwicklung nachweisbar ist, zu bejahen.


Am klarsten tritt der Abstand bei der Behandlung des Innenraums hervor. Der Grabower Altar kennt noch keine Figuren, die von den drei Wänden eines Raumes umhegt sind. Wo ein Innenraum angegeben wird, erscheint er hinter den Figuren. Auf dem Buxtehuder Altar ist die Maria der Verkündigung mit ihrem Betschemel eingeschlossen durch die Wände ihres Kämmerleins.

Auch bei dem andern Innenraum des Buxtehuder Altars, der Geburt der Maria, geht das Vermögen des Meisters weit über die Mittel hinaus, die auf dem Grabower Altar vorkommen.

Neben dieser Weiterführung der Raumdarstellung bietet der Buxtehuder Altar in seinen technischen Ausdrucksmitteln den Beweis, dass Bertram nicht stillgestanden oder zurückgegangen ist.

Alle die Mittel, die an den Pointillismus von heute erinnern, kommen auf dem Grabower Altar nur zweioder dreimal, also sehr selten und schüchtern vor, erst auf dem Buxtehuder Altar bilden sie die Regel. Hier erst finden sich überall die Rot, die durch kaum sichtbare Pünktchen von Gelb zum Leuchten gebracht werden; die Gelb, in denen weiße Tupfen ein zitterndes Leben erwecken; die Grau, die sich durch zarte bräunliche und weißliche Strichelung lockern; die Karmin, die durch eine leichte Schraffierung mit weißen Linien, die Zinnober, die mit gelben Stricheln aufgelichtet werden. Schon auf dem Grabower Altar weiß Bertram die Funktion der Grau im Farbenaufbau eines Bildes zu benutzen. Aber erst auf dem Buxtehuder bringt er graue Körper fast überall als Massen oder als Flecke an. Bald setzt er den grauen Altar in den Mittelpunkt, bald gibt er ein Tor, einen Thronsitz, oder eine Architektur als graue Masse an, ein andermal verwendet er das graugetönte Weiß eines Betttuches oder die zerstreuten grauen Flecke einer Schafherde.

Neben diesen mit Sicherheit zu bezeichnenden Merkmalen einer Ausbildung der künstlerischen Ideen und Mittel treten andere auf, die nicht ganz so deutlich in Worte zu fassen, aber doch zweifellos vorhanden sind. Dazu gehört vor allem ein breiterer und in höherem Grade naturalistischer Aufbau der Landschaft. Wenn auch auf dem Buxtehuder Altar keine Waldpartie von der Größe und Durchbildung vorkommt wie auf dem Grabower bei der Erschaffung der Pflanzen, so ist doch die altertümliche Bildung der Erdstürze des Grabower Altars überwunden. Das Gelände auf der Verkündigung an die Hirten des Buxtehuder Altars geht in der Natürlichkeit der Anlage und Farbe weit über die verwandten Motive des Grabower Altars hinaus.

Der Aufenthalt in Italien nach 1390, der zwischen der Entstehung der beiden Altäre liegt, hat keine Spuren hinterlassen, die ich mit voller Sicherheit bezeichnen könnte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Bertram die afrikanische Ziege mit der Rammsnase und den Hängeohren, die bei der Verkündigung an die Hirten auffällt, auch in seiner Heimat gesehen haben kann. Gestalten wie der Engel der Verkündigung an Joachim und die Frau hinter der Maria der Darstellung im Tempel fallen durch besondere Anmut auf und weisen vielleicht auf eine durch den Anblick italienischer Kunst bewirkte Steigerung des Gefühls für formale Schönheit. Doch kann ich eine unmittelbare Beziehung zu einem Werk der italienischen Kunst nicht nachweisen, und schließlich sprechen die Gestalt der Eva und die Skulpturen des Grabower Altars für das selbständige Vermögen des Meisters, Schönheit im Sinne der südlichen Welt auszudrücken.

Diese Tatsache einer Entwicklung des Meisters auf unserm Boden deutet auf einen frühen Anschluß an eine heimische Überlieferung. Für Künstler, die aus Zentren energischer Entfaltung in kunstlose Gegenden auswandern, gilt die Regel, dass sie das mitgebrachte künstlerische Kapital nicht allein nicht weiter entwickeln, sondern nach und nach aufzehren.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meister Bertram tätig in Hamburg 1367-1415