Familien- und Dorffeste

Wo sich eine so strenge Eigenart und ein so geschlossenes Familienleben findet, wie bei den mecklenburgischen Bauern, da wird es für eine Sittenschilderung derselben doppelt wichtig, diejenigen Momente zu sammeln, in welchen ein stärkeres Hervortreten der charakteristischen Eigentümlichkeiten natürlich notwendig wird. Es findet dies an solchen Tagen statt, welche für die Familie und für die dörfliche Gemeinschaft von besonderer Wichtigkeit sind. An diesen Tagen lässt sich der Charakter der Leute am leichtesten durchforschen, nur muss man nicht in den Irrtum verfallen, dasjenige für gewöhnliches Wesen zu halten, was nur die Blüte fröhlicher Festesstimmung ist.

Veranlassung zu solchen Festlichkeiten geben die hervorragenden Ereignisse teils des Familienlebens, teils des dörflichen Lebens. Erstere, welche wir hier zunächst betrachten, treten nicht häufig ein; die Leute benutzen keineswegs jegliche Veranlassung, um sich einen lustigen Tag zu machen, sie gehen nur auf die Hauptmomente im Leben zurück, aber wenn diese eintreten, dann machen sie ihre Sache auch gründlich. Beides ist dem Volkscharakter gemäß. Der leichtblütige Süddeutsche belustigt sich über jede Kleinigkeit, weil es ihm nicht schwer wird, sowohl sich zu einer fröhlichen Stimmung zu erheben, wie auch aus dieser wieder in seine Alltagsstimmung zurückzukehren. Anders unser schwererer Norddeutscher, bei dem erst eine radikale Umwälzung vorgehen muss, ehe er in die rechte Stimmung kommt, die ihn dann aber auch gründlich ergreift und ihn nicht so bald wieder zur Alltagsruhe zurückfinden lässt. Schon dies erklärt, weshalb er sich selten eine wirkliche Festlichkeit macht; er beschränkt sich deshalb auf die drei wichtigsten Begebenheiten im menschlichen Leben: Geburt, Verheiratung und Tod. Diese drei geben ihm Veranlassung zum Familien-“Feste“, d. h. zur feierlichen Erhebung aus dem Zustande der Alltagsruhe. Wie nun aber der Bauer überhaupt nicht leicht Ursache und Zweck einer Sache aus den Augen verliert, so veranstaltet er auch eine Feierlichkeit hauptsächlich nur zu Ehren der Person in seiner Familie, auf welche sich dieselbe ganz besonders bezieht: mit der Taufe ehrt er den Täufling, mit der Hochzeit den Bräutigam und die Braut, mit der Beerdigung den Verstorbenen. Aus dieser Grundanschauung erklart sich manches Eigentümliche, was namentlich bei der Beerdigung dem Beobachter auffällt und oft ganz unrichtig verstanden wird. Es folgt auch aus ihr, dass die Verheiratung wesentlich das wichtigste Familienereigniß ist, denn hier nehmen die betreffenden Personen selbst, und zwar in höchster Vollkraft, Teil an der Sache. Deshalb konzentriert sich die Summe aller Familienfestlichkeit in der Hochzeit, und es wird nun erkennbar, weshalb diese stets in einer scheinbar unverhältnismäßigen Weise und mit sehr bedeutenden Opfern hergestellt wird. Für unseren Zweck ist eben darum auch gerade die Betrachtung der bäuerlichen Hochzeitsfestlichkeit von besonderer Wichtigkeit.


Aus der Kindtaufe wird durchgehends keine große Feierlichkeit gemacht, wozu auch wohl das Taufen im Hause, welches eine Zeitlang zu sehr eingebürgert war, das Seinige beigetragen hat. So großen Wert der Hofbesitzer auf die Geburt eines Stammhalters legt, so lässt er doch dessen Taufe ohne Sang und Klang vorübergehen. „Wat hett de Lütt dorvan“? Diese charakteristische Frage gibt den Standpunkt der Eltern an, wie sie auch zugleich zeigt, was die Leute bei der Festlichkeit vornehmlich suchen, und auf was ihr Blick hin gerichtet werden muss, damit sie die höhere Bedeutung derselben inniger erfassen lernen. Eins hängt hier mit dem Anderen zusammen; als früher die Taufen mehr in der Kirche stattfanden, da gab es auch größere Festlichkeit (im Sinne der Leute), jetzt feiert man die Taufe mit einem „Kaffee nebst Stuten“, zu welchem sich die Paten versammeln.

Mit ganz anderer Energie gibt man der Hochzeitsfestlichkeit Raum. Bei dieser treten so manche Anklänge an ältere Sitten und Zeiten zu Tage, welche sich sonst sehr selten zeigen; hier gibt sich der Bauer so ganz in seiner Vollnatur, dass wir gewiss mit Recht den Leser durch den ganzen Verlauf einer solchen führen dürfen. Die Hochzeit ist es auch, bei welcher die Schranken, welche die Familie umgeben, einmal fallen; man kann sie nur ein Familienfest nennen, insofern sie aus dem Schooße der Familie hervorgeht, sonst ist sie ebensowohl ein Dorsfest, weil während der Zeit ihres Verlaufes das ganze Dorf notwendig Teil nimmt. Es zeigt sich hier, dass der Kreis der dörflichen Gemeinschaft eben nur der erweiterte Familienkreis ist, über jene aber geht man nicht hinaus; sehr selten nehmen an der Hochzeit Auswärtige — versteht sich, soweit sie nicht befreundet oder verwandt sind oder honoris causa eingeladen werden müssen — Teil, und so gibt sich auch die Hochzeit wieder als einen Ausdruck für die dörfliche Geschlossenheit zu erkennen.

Wenn ein junger Mann die Einwilligung der Eltern zu seiner Verheiratung erlangt hat, so versammeln sich zunächst an einem Sonntag Nachmittag die Alten des Dorfes zur gemeinschaftlichen Beratung über die Zeit und die Einrichtung des Hochzeitsfestes.

Hinsichtlich der Zeit ist es Sitte, den Herbst zu wählen, wo nach beschaffter Ernte sich leicht einige Tage der Muße finden; für den günstigsten Tag hält man den Freitag, sobald er nicht auf den 13. oder 17. des Monats fällt. Diese Frage ist bald erledigt; wichtiger aber sind die anderen, was gekocht werden, wer eingeladen werden, welche Köchin man wählen solle u. s. w. Letztere ist eine Hauptperson des Tages, von der nicht bloß das Gedeihen der leiblichen Nahrung, sondern anch in ganz wesentlichem Grade das Wohlsein des Brautpaares uud das Glück der Ehe abhängen. Deshalb darf man nur eine sehr erfahrene Person wählen, welche die Stelle der Hausfrau allseitig zu vertreten vermag. Oder wie, wenn man eine Köchin annähme, die nachlässig genug wäre, Fremde in die Töpfe blicken zu lassen, wodurch dem jungen Brautpaare unfehlbar etwas „angetan“ würde? Wie wenn die Köchin nicht verstände, böse Zauber der Feinde oder Neider (z. B. einen kreuzweise unter das Bratenfeuer gelegten Strohhalm u. dgl. m.) unwirksam zu machen, indem sie kreuzweise über die Schulter spukt oder sonstige Gegenmittel anwendet? Wie wenn man eine Person wählte, die — selbst eine heimliche Feindin — rückwärts zur Türe herein käme und dadurch den Ehefrieden sofort hinausjagen würde? Man weiß ja, dass ein feindliches Gebahren nicht bloß auf die Eheleute und deren Glück, sondern sogar auf das Wohl und Wehe der Nachkommenschaft zurückwirkt. Deshalb und aus anderen ähnlichen Gründen ist also die Köchin eine höchst wichtige Person, deren Wahl aus der Überlegung aller Bauernväter und -Mütter des Dorfes, unterstützt durch eine Kanne Kaffee's, nach gründlicher Beleuchtung und Erledigung aller Bedenken hervorgehen muss. Ist diese Beratung geschlossen, so folgt sofort eine neue: „Wer sall de Köstenbidder sien?“ Diese Person, der Hochzeitsbitter, welcher die auswärtigen Ehrengäste seierlich einladen soll, den Pastor, welcher das Amt verrichtet, die Kausleute, von welchen die Aussteuer genommen, die Verwandten aus benachbarten Dörsern u. s. w,, diese Person dars der Familie keine Schande machen. Von Rechtswegen gebührt das Amt eines „Köstenbidders“ dem Großknechte des Brautvaters, welcher zugleich der Hochzeitsvater ist; aber es bleibt immer noch erst zu untersuchen, ob jener dazu den rechten Witz besitzt, ob er auch mit dem Brautpaare zu nahe verwandt, ob er verlobt ist u. a. m, was auf letzteres nachteilig zurückwirken könnte.

Ist nun auf diese Fragen das Nötige beraten und beschlossen, so beginnen die ernstlichen Vorbereitungen zum Feste. Kalb und Schwein werden tüchtig nachgemästet, damit das Schlachten und Kochen nach aller Richtigkeit am Mittwoch vor dem Hochzeitstage beginnen könne. Das schönste Pferd des Stalles wird von der Arbeit zurückbehalten, tüchtig mit Hafer gefüttert und fleißig gestriegelt, damit es der Ehre würdig werde, den „Köstenbidder“ auf seinem Ritte zu tragen. Mindestens während der vorhergehenden vierzehn Tage darf dies Pferd nicht gearbeitet haben und muss an den beiden letzten Sonntagen aufmerksam geputzt sein; es würde sonst ganz gewiss ein Unglück geben. Am Tage der Einladung nun werden Mähne und Schweif des Pferdes in viele kleine Zöpfe zierlich geflochten, der Hochzeitsbitter selbst wird mit Sträußen von Flittergold, künstlichen Blumen und bunten Glasperlen am Hute, an der Brust und an den Achseln geschmückt, und so beginnt er seine Fahrt. Jede vorher bestimmte Familie wird einzeln eingeladen, und es ist Ehrensache für den Hochzeitsbitter, bis in die Wohnstube derselben zu reiten und hier in zierlich gesetzten Reimen seine Botschaft vorzutragen. Zur Erwiderung derselben erhält er ein Glas Wein oder Branntwein, das Pferd aber — zuweilen auch der Reiter — ein langes buntseidenes Band, welches an einem der vielen Zöpfe befestigt wird. Man wird sich vorstellen können, wie Ross und Reiter sich darstellen, nachdem 50 bis 100 Einladungen stattgefunden haben, und welch' ein Jubel es für die Jugend der kleinen Städte und der Dörfer ist, wenn der „Köstenbidder“ im Galopp und mit lautem Jauchzen durch die Straßen reitet.

In einigen Gegenden des Landes, wo der Vater des Bräutigams der Hochzeitsvater ist, beginnt das eigentliche Fest schon am Abende des Donnerstages damit, dass die Aussteuer der Braut nach der Wohnung des Bräutigams „hingeblasen“ wird, wobei die verschiedenen Koffer oder Laden einzeln auf vierspännigen Wagen gefahren werden. Der blaugemalte „Staatskoffer“, zur Aufnahme des besten Leinenzeuges bestimmt, nimmt als Hauptstück den ersten Wagen ein; die übrigen Koffer, je nach dem Reichtume des Brautvaters, folgen in einer Reihe, die dann auch wohl unter Musik- und Kehlenbegleitung mehrmals durch den Ort zieht. Die Tore aller Gehöfte sind weit geöffnet, nur dasjenige des Bräutigams ist sorgsam verriegelt und dieser stellt sich, als höre und sähe er von dem ganzen Aufzuge nichts. Es bedarf deshalb eines furchtbaren Geblases, begleitet von Peitschengeknall und Poltern, an die Hoftüre, ehe er von den vor derselben haltenden Wagen Notiz nimmt. Er stellt sich ganz verwundert und es kostet viele Bitten und kräftige Späße, die der „Köstenbidder“ zum Besten gibt, bis das Tor soweit geöffnet wird, dass die Wagen einziehen können. Eine ganz ergötzliche Szene, wenn die betreffenden Burschen tüchtigen Witz besitzen. Ihr folgt ein Tänzchen, um „die Beine zu morgen geschmeidig zu machen“.

Am Freitage beginnt mit dem frühesten Morgen der Aufputz. Stundenlang ist die Braut unter den Händen schmückender Frauen, welchen gewöhnlich in den Domänen die Predigerfrau leitend zur Seite steht. Letztere hat auch die Pflicht, auf Verlangen den erforderlichen Putz zu liefern. In wirklich erstaunlicher Fülle des Glanzes tritt endlich die jungfräuliche Braut aus der Kammer hervor. Mit ihren besten neuen Zeugen, meistens von schwarzem Tuche, bekleidet; mehrere lange buntseidene Schärpen um den Leib; mit weißem, reich in Gold und Silber gesticktem Halstuche und mehreren Halsbändern; vor der Brust, an den Seiten, an Ellenbogen und Schultern, selbst auf dem Rücken mit Sträußen von Flittergold und Glasperlen; auf dem Haupte die fußhohe Krone von gleichem Golde, Glasperlen, künstlichen Blumen und Silberdraht, an welchem lose befestigt kleine hölzerne Vögel hin und her schweben; in der einen Hand das Gesangbuch, in der anderen das Schnupftuch („Tränendank“), so steht sie vor uns glückseligen Herzens und frohen Gesichts. Auf ähnliche Weise, jedoch minder reich und natürlich ohne Krone, sind die 2 oder 4 Brautjungfern geputzt. Auch der Bräutigam trägt gleichen Schmuck am Hute, an der Brust, oft auch an den Armen und ihm gleich zeigen sich die vier Brautführer. Auch von den übrigen Gästen putzen sich manche, was jedoch in ihrem Belieben steht. Mit reichbebänderten Pferden, welche der geschmückte „Köstenbidder“ reitet, ist der Brautwagen bespannt, ein gewöhnlicher Leiterwagen mit Stühlen oder Säcken; ihm folgen beliebig andere. Die Musik eröffnet den Zug und von ihren Klängen geleitet geht es in langsamem Schritte, höchstens in kurzem Trabe zum Kirchorte, wo die Trauung stattfindet.

Will nun der Leser dem ferneren Verlaufe der Festlichkeiten beiwohnen, so besteige er mit uns den Wagen. Wir schließen uns dem rückfahrenden Zuge an, der dahergerast kommt, wie die wilde Jagd, dass die Funken stieben und die Musici mit aller Anstrengung ihrer Lungen den Instrumenten nur ohrzerreißendes Gequicke entlocken können. Aber Musik muss sein, gleichviel wie sie ist, und da die Musici das wissen, so ersetzen sie die bei der Begeisterung der Fahrenden unmöglich gewordene Harmonie durch desto lautere Töne. Aber warum denn die Eile? Darum, weil der Schmaus, der Tanz unserer warten; wer dürfte da zögern, zumal der Weg weit ist! Kurz vor dem Dorfe fahren die Wagen, in welchen sich die Spielleute und der Hochzeitsvater befinden, etwas voraus, während die übrigen ihre Eile mäßigen. Dies geschieht, damit der Empfang der Gäste durch den Hochzeitsvater ordnungsmäßig vor sich gehen könne. Wir kommen demnach mit den letzteren Wagen aufs Gehöft. Da stehen schon wieder die Musici und empfangen jeden Wagen einzeln mit schallendem Tusch zum größten Gaudium der umherstehenden Kinder, die regelmäßig jauchzend einstimmen. Die Gesellschaft steigt aus und nähert sich der großen Haustüre. Plötzlich wird uns diese aber von dem Brautvater vor der Nase verschlossen. Wir sollen wahrscheinlich gute Worte geben. Einer versucht, durch solche Einlass zu erlangen, ebenso vergebens, wie der Andere; die Braut klopft an und bittet um Öffnung der Türe, die aber verschlossen bleibt, bis sich endlich auch der Bräutigam zur Bitte versteht. Da macht der Hochzeitsvater allerlei Einwendungen. Wenn die jungen Leute versprächen, im Hause friedlich und wie es christlichen Eheleuten gezieme, mit einander zu leben; wenn sie ihre alten Eltern ehren und lieb haben wollten, dann ließe sich noch eine Einkehr vermitteln. Der Bräutigam verspricht es hoch und heilig, woraus sich denn die Tür öffnet und der Hochzeitsvater die jungen Eheleute zusammen über die Schwelle gehen lässt mit dem Wunsche, dass sie einst zusammen über dieselbe möchten hinausgetragen werden zur ewigen Ruhe. An diese schöne Empfangssitte reihen sich die Glückwünsche der Gäste, welche darauf sofort von den Schaffnern mit einem Willkommenstrunke erquickt werden. Zur Bekräftigung eines guten Wunsches gehört ja, dass er herzhaft betrunken werde; die Schaffner aber sind junge, dem Brautpaare nahestehende Bursche, welche auf Ordnung zu sehen und Auswärterdienste zu verrichten haben, weshalb sie in Hemdsärmeln und mit weißen, zurückgeschlagenen Schürzen sich präsentieren.

Eine kleine Pause dient dazu, dass sich Jeder zum sofort beginnenden Mahle stärken möge; es ist dies sehr notwendig, denn das Mahl ist ein solches, wie es wenigstens dem Städter nicht oft geboten wird, ein wahrhaft homerisches. Der Pastor mit seiner Familie, die Eltern des Brautpaares, die Honoratioren der Stadt, soweit sie geladen sind, haben ihren Tisch in der „Dönsk“ (Stube); die übrigen Gäste nebst dem jungen Ehepaare reihen sich ihrem Range gemäß an langen, rings um die Diele aufgestellten Tischen. Das ganze Dorf nimmt bis auf die Mutter mit ihrem Säuglinge Teil; selbst Neugierige aus der Fremde gehen nicht leer aus, müssen sich aber mit den untersten Plätzen begnügen, falls sie nicht etwa angesehenere Leute sind. Eine Hühnersuppe mit Klößen, in welcher die ganzen Hühner schwimmen, eröffnet das Mahl. Ihr folgt Fleisch in allerlei Gestalt nebst Kartoffeln und gekochten Pflaumen, dicker Reis und Kuchen, Pudding aus Semmeln und Rosinen mit Pflaumensauce, dazu Wein, Punsch, Schnaps u. dgl. m. Wie überall, so richtet sich auch hier die Reichhaltigkeit des Mahles nach dem Vermögen der Leute; bei besonders großen Hochzeiten werden ganze Kühe, Kälber, Hammel und Schweine verzehrt. Wir erinnern uns, dass einmal 25 Scheffel Weizenmehl verbacken und 26 Stück Hutzucker zu Punsch und Kaffee verbraucht wurden. Charakteristisch ist es, dass die Butter in Gestalt eines Hahnes (des Symbols der Fruchtbarkeit) auf den Tisch gesetzt wird. Eine eigentümliche Speise aber ist dieser große „Klump“ (Klooß) aus geriebenem Zwieback und Semmeln, vielen Rosinen, Gewürzen und Butter. Er ist zugleich das volkstümliche Pfingstfest-Gericht, äußerst wohlschmeckend, aber sehr fett und schwer. Die Schaffner warten während des Mahles auf und sind in steter Bewegung. Sie tragen den Gästen die schweren, dampfenden Schüsseln unter fortwährendem, zur Vorsicht mahnenden Rufe: „Hetigkeit! Hetigkeit!“ (Heißigkeit von „heiß“) zu. Während des Mahles wird auch für die Musici gesammelt, welche weiter keinen bestimmten Lohn für ihre Mühe erhalten. Es ist eine auffallende Erscheinung, dass diese sowohl bei Hochzeiten, wie bei sonstigen Festlichkeiten immer nur auf Gemeinkosten bestellt werden. Auf die ganze Mahlzeit gehen übrigens 5 bis 6 Stunden hin; Jeder isst, soviel er mag und pausiert, wann er will. Als Getränk gibt es Punsch oder Weißwein, seltener Rotwein, zuweilen sogar Rheinwein, den man aber durchweg mit Zucker versüßt trinkt. Wenn alle Gäste gesättigt sind, steckt man die Pfeisen an und schaut in stiller Ruhe auf die fleißige Arbeit zurück, sich die Zeit mit allerlei Kurzweil vertreibend, bis die Köchin solche unterbricht, welche, ein glimmendes Stück Werg in der Hand, herbeieilt und klagt, dass sie beim Kochen ihr Hemd verbrannt habe! Dies gibt, da die Köchin gewöhnlich eine resolute Person ist, manche Ergötzlichkeit, die damit endigt, dass Jeder ihr ein Geschenk auf den Teller legt, worauf sie getröstet sich entfernt. Mittlerweile sind die Pfeifen ausgebrannt, der Kaffee ist getrunken, die Schaffner haben in Eile gegessen, die Diele ist von Tischen und Bänken geleert, die auf einer durch leere Tonnen hergestellten Erhöhung sitzenden Musici Probieren ihre Instrumente — eine neue Szene eröffnet sich, nun voller lauter Heiterkeit, denn mit den zum Tanze ladenden Klängen entschwindet der letzte Rest des bisher mit Mühe bewahrten Ernstes.

Die neumodischen Tänze sind jetzt überall hinreichend bekannt; das Volk muss aber eigentümliche Tanzweisen gehabt haben, wie aus den wenigen Resten hervorgeht, die sich eben bei Hochzeiten erhalten haben. Dahin rechnen wir denjenigen Tanz, welchen man „Schöndör und stolz“ nennt, was wir nicht mit Mussaens als „chaine durch“ auffassen möchten, sondern durch die Worte „schön hindurch und stolz“ erklären. Dazu passt der Tanz vorzüglich. Er ist eine Art Quadrille mit 2 Touren; bei der ersten tanzen vier Personen kreuzweise durch einander (schön hindurch, aber eine chaine ist das nicht); bei der zweiten gehen sie mit in die Seite gestemmten Armen (stolz) im Kreise herum. Sodann gehört ihnen der Großvatertanz, eine ergötzliche Polonaise, welche gegen das Ende der Festlichkeit getanzt wird. Alt und Jung nimmt an demselben Teil, Jeder mit irgend einem wirtschaftlichen Instrumente bewaffnet (Besen darf man aber nicht nehmen, die würden Unglück bringen). Nach der Melodie: „Und as de Grotvare de Grotmoder nahm“ etc. geht nun der ganze von der Jugend geführte Zug durch Türen und Fenster, auf den Heuboden, in die Ställe u. s. w. Es ist ein scherzhafter Tanz, der in einigen Gegenden auch „Auskehr“ genannt wird und originelle Szenen veranlasst. Endlich gehört dem Volke derjenige Tanz, welcher die eigentliche Hochzeitfeier um Mitternacht des Freitags schließt und „Rückelreih“ (Rückenreihe?) genannt wird. Sein Zweck ist, die Braut „auszutanzen“, nämlich aus der Gemeinschaft der Unverheirateten, zu welcher sie bisher gehörte. Er vertritt also die Stelle des Brauttanzes in den höheren Ständen. Zwei junge Bursche nehmen die Braut in ihre Mitte; um sie schließen Hand in Hand die jungen Mädchen einen Kreis, welcher wieder ebenso von den ledigen Männern umkreist wird, doch so, dass sich in letzterem Kreise zwei Männer nicht angefasst haben. Der Eine von diesen reitet auf einer „Gassel“ (hölzernen Dreschgabel), während der Andere ihn mit knallender Peitsche treibt. Sofort drehen sich beide Kreise um die Braut, und der Bräutigam muss nun versuchen, jene von außen her zu durchbrechen, um die Braut zu befreien. Ist ihm dies nach heftigem Kampfe gelungen, so ändert sich die Szene. Der Bräutigam steht jetzt zu ihrem Schutze neben der Braut im innersten Kreise, während die Tänzer sich wieder in Bewegung setzen und die älteren Frauen nun versuchen, die Reihen zu durchbrechen. Dies ist der Gipfelpunkt aller erdenkbaren Ausgelassenheit, an der nicht selten 50 und mehr Personen Teil nehmen. Das Kreischen und Jauchzen, die Verwirrung sind unbeschreiblich. Am Ende gelingt es zwar den Frauen, die Braut zu erhaschen, aber nun ist auch aller Schmuck samt der jungfräulichen Krone jämmerlich zerrissen und zerzaust. Von den Siegerinnen in die Brautkammer geführt, wird sie der Überbleibsel vollends entledigt und ihr die „Mütze“ (Haube) als Zeichen der Verheirateten aufgesetzt.

Hiermit ist die eigentliche Hochzeitfeier beendigt, obwohl Musik und Tanz noch fortdauern. Wenn eine große Bauernhochzeit stattfindet, so wird auch am Sonnabend noch getanzt und findet am Nachmittage des Sonntages noch eine Nachfeier statt. An diesen Tagen zeigt sich jedoch nichts Eigentümliches; da man die Musik aber einmal im Dorfe hat, so will man sie auch möglichst lange genießen nnd nebenbei die Überbleibsel des Hochzeitmahles nicht umkommen lassen. Die städtischen Gäste entfernen sich gewöhnlich in der Nacht des Freitags, nachdem sie noch die Aussteuer besichtigt haben, falls dieselbe, wie in einigen Gegenden geschieht, im Hause des Brautvaters geblieben ist. Das Bett, die Kleidungsstücke und das Leinenzeug werden gebührend bewundert und gelobt; die Gäste aus der Stadt steuerten auch an Geschenken bei, was Jeder vermochte, vergoldete Tassen, Teller, Gläser, auch wohl silberne Lössel u. dergl. Die Dorf-Einwohner pflegen keine Hochzeitgeschenke zu geben, in einigen Gegenden des Landes (bei Dargun) muss jedoch jede geladene Familie zum Schmause ein Huhn beisteuern.

Und damit haben wir das einer mecklenburgischen Bauerhochzeit Eigentümliche verzeichnet. Von der reichen Masse genossener Belustigungen fast übersättigt, besteigen wir unseren Wagen zur Rückreise, während aus den heiseren Kehlen der Musici uns ein wehmütiger Nachruf begleitet, ein schwacher Schatten des Willkommens. Schwerlich wird die Erinnerung an ein solches Fest jemals dem Gedächtnisse des Teilnehmers entschwinden, aber wohl dem, welchem sie nicht lästig noch lange in Augen, Ohren und Magen liegt!

Auch der Schlussakt des Lebensdramas, der Tod, bietet unserer Betrachtung Eigentümliches. Das Volk hat im Allgemeinen keine Furcht vor dem Tode, dem doch Niemand entrinnt; Ruhe und Ergebung helfen auch über die letzte Stunde fort. Manches alte Mütterchen hat Jahrelang das selbstgesponnene Leichenhemd in der Lade liegen und den ihr schon bei Lebzeiten angepassten Sarg in der Kirche stehen. Dies tun sie nicht aus Gleichgültigkeit, sondern weil sie durchweg großen Wert auf ein anständiges und möglichst feierliches Begräbnis legen. Ein alter Kuhhirte, der sich mühsam 30 Thaler erspart hatte, sagte, er hätte dies Geld bestimmt, um sich mit Geläute begraben zu lassen. — Sobald der Tod eingetreten ist, wird die Leiche noch vor der Erkaltung gewaschen und bekleidet, ein Geschäft, welches die älteren Dorffrauen freiwillig übernehmen. Wenn möglich, setzt auch sofort das Geläute der Glocken die Gemeinde von dem Hinscheiden eines der Ihrigen in Kenntnis; auch am Tage der Beerdigung wird das Gefolge durch Geläute zusammengerufen. Bei armen Leichen findet eine mündliche Einladung zum Gefolge „um Gotteswillen“ statt. Die dörfliche Zusammengehörigkeit der Bewohner erfordert es, dass sich kein Haus vom Gefolge ausschließen darf; jede Familie sendet wenigstens einen Leidtragenden, und angesehene Leichen werden oft von Hunderten zu Grabe geleitet. Man versammelt sich im Sterbehause oder im Wirtshause, wenn der Verstorbene außerhalb des Kirchortes gewohnt hatte; von hier geht der Zug langsam zum Friedhofe. Liegt letzterer, wie es meistens der Fall ist, um die Kirche her, so bewegt sich der Zug einmal um diese herum, damit „der Tote Ruhe im Grabe habe und nicht wieder komme“. Bei feierlichen Beerdigungen trägt man den Sarg in die Kirche und stellt ihn vor den Altar, worauf eine Leichenrede gehalten wird, die zugleich den Lebenslauf des Verstorbenen kurz berührt. Darauf folgt das Begräbnis. Das ganze Gefolge begibt sich nun ins Wirtshaus oder ins Sterbehaus, wo man ein Glas Bier oder eine Tasse Kaffee zu sich nimmt. Vornehmer und feierlicher ist es, wenn die Angehörigen einen Leichenschmaus veranstalten, wobei es meistens Schweinebraten nebst dickem Reis und Pflaumen gibt, was man scherzweise „de Hut vertehren“ nennt. — Bei Beerdigungen muss man übrigens sehr vorsichtig sein, teils um die Ruhe des Toten nicht zu stören, teils um der Überlebenden willen. Man darf die Leiche nicht an einem, unverdeckten Spiegel vorübertragen, weil der Verstorbene sonst spuken würde; man darf sich nicht auf die Bahre setzen und nichts ins Grab fallen lassen, weil, wer solches täte, „unfehlbar bald sterben würde“. Auch darf dem Toten kein Zipfel seiner Bekleidung in den Mund kommen, weil er sonst „seine Familie nach sich holt“. Man legt deshalb, um die Bekleidung zusammenzuhalten, ein Stückchen frischen Rasens auf die Brust; eine Stecknadel darf man nicht verwenden, weil diese schon Jemand könnte gebraucht haben, der alsdann würde sterben müssen. An manchen Orten wird im Sterbehause von der Stelle, an welcher die Bahre gestanden, bis zur Haustür hin Asche gestreut, wobei die Person, welche dies Geschäft vollbringt, rückwärts gehen muss, anderenfalls sie „dem Toten nachfolgen würde“. An den mehrsten Orten wird sofort nach dem Hinaustragen der Leiche aus demselben Grunde rückwärts ausgefegt; nie darf Jemand aber die Schwelle übertreten, ehe jene Reinigung vollzogen ist. Es gibt dieser Gebräuche noch manche, da fast jede Dorfschaft ihre Eigentümlichkeiten hat; aber da wir nur die Absicht haben, das Zusammengehörige darzustellen, beschränken wir uns auf das Gesagte.

Blicken wir nochmals auf die Feierlichkeiten zurück, zu welchen das Familienleben Veranlassung gibt, so werden wir sofort erkennen, dass dieselben im Grunde so einfach sind, wie das ganze übrige Leben, und dass sie sich, wie dieses, nur nach der Seite des Realen und Materiellen durch das Massenhafte und Gediegene auszeichnen. Essen und Trinken ist und bleibt die Hauptsache, die materielle Auffassung kehrt sich immer heraus. Dies kann auch nicht weiter auffallen, wenn man erwägt, dass selbst der heilige Abend vor der Weihnacht im Kreise dieser Leute eigentlich nur durch Essen und Trinken gefeiert wird und vorzugsweise der „Vullbuksabend“ heißt. Es ist nicht unsere Sache zu entscheiden, inwiefern das Übermaß materiellen Genusses bei den beregten Gelegenheiten etwa tadelnswert ist; wir schildern nur, was wir im Volke finden, und erklären dies aus der bekannten Erscheinung, welche sich überall wiederholt, dass ein gesundes, natürlich erwachsenes, kräftiges Volk sich immer ebenso an das Materielle lehnt, wie es an seinem Wesen und seiner Sitte aufs Beharrlichste festhält.

Auch das müssen wir nochmals hervorheben, was sich bei solchen Gelegenheiten selbst dem oberflächlichsten Beobachter zeigt, und was mit der naturgemäßen Entwickelung des Volkes genau zusammenhängt — das überall strenge Festhalten an der bestimmten Standesabsonderung. Je mehr diese Feierlichkeiten aus der Familie in die Dorfgemeinschaft übergehen, desto mehr macht sich, wie im Dorfe selbst, die Standesverschiedenheit geltend und begründet eine unverrückbare Ordnung. Der Familie und den eingeladenen Städtern, sodann auch den bäuerlichen Hofbesitzern gehört die Stube; an den Tischen auf der Diele sitzen die Bauern obenan, ihnen folgen die Büdner, dann die Tagelöhner, während Hirten und „Jungens“ am alleruntersten Orte, wohl gar vor der Türe stehend an der allgemeinen Fröhlichkeit Teil nehmen. Dies Alles geht ganz harmlos und ohne Neid vor sich; man kann sogar oft wahrnehmen, wie selbst die Familienrücksichten durch die Macht der Standesabsonderung verwischt werden. Daraus ergibt sich ganz von selbst, dass wir behaupten durften, unter diesen Verhältnissen seien ebenbürtige Ehen die natürlichsten und wünschenswertesten.

Einfach wie das Haus, das Leben und die Sitte ist auch die letzte Wohnung der Menschen. Ein Rasenhügel mit schmucklosem, schwarzem Kreuze von Holz (selten von grauem Sandsteine), darauf ein biblischer Vers und der Name des Verstorbenen — das ist die Summe. Selten sind Blumen, seltener Einfassungen und Grabplatten bei Leuten aus dem Volke. Aber über den Tod hinaus reichen die Gemeinschaft und der Stand; jedes Dorf hat gewöhnlich auf dem Friedhofe seinen bestimmten Raum und auf diesem trennen sich wieder die Besitzenden von den Besitzlosen, die Armen von den Reichen. Das sind Folgen tief in den Herzen liegender Gefühle und Sitten.

Eigentlicher Dorffeste gibt es jetzt nur noch wenige; früher fanden solche viel häufiger statt. Da dieselben aber stets in erster Reihe auf materiellen Genuss berechnet waren und es nicht selten vorkam, dass nicht sowohl das Essen als das Trinken die Hauptrolle spielte und die Leute, vom Getränk begeistert, ihre natürliche Seite in einer Weise hervorkehrten, die zu Exzessen verführte und in mancher Beziehung gefahrbringend erschien, so sind einzelne Belustigungen untersagt, die früher regelmäßig stattfanden. Dahin gehört z. B. die Feier des Pfingstfestes, bei welcher die jungen Bursche ein Wettrennen abhielten, dessen Preis eine Tonne Schnaps war. Dieser das ganze Fest kennzeichnende Preis wurde alsdann vertanzt. Im Schwerinschen ist diese Feier untersagt; im Ratzeburgischen soll statt ihrer das „Kranzreiten“ der Knechte stattfinden. Die jungen Leute eines Dorfes reiten in langer Reihe hinter einander her und stechen nach eisernen Ringen. Wer die mehrsten erbeutete, ist König und Held des nun folgenden Tanzfestes. Bei Parchim findet (wir wissen nicht, ob noch jetzt?) um diese Zeit das „Peitschenknallen der Hirten“ statt. Letztere ziehen mit knallenden Peitschen von Haus zu Haus und erbitten Gaben, welche alsdann gemeinschaftlich vertanzt werden.

Auch die Feier des Johannistages ist eingegangen. Vor mehr als 20 Jahren nahmen wir einmal an einer solchen Teil; es wurde getanzt nnd gegessen. Gegen Abend befestigten die jungen Leute „Wiemen“ (Strohwische) an langen Stangen, welche sie darauf anzündeten und auf dem Felde im Kreise umherlaufend schwangen, eine Erinnerung an die uralte Feier der Sommer-Sonnenwende. — Heute sind kaum andere Dorffeste von Bedeutung mehr, als das Erntefest und das sogenannte Winterbier, von denen sich letzteres aber auch oft einem Zustande nähert, der wenigstens eine Überwachung wünschenswert macht. Das Erntebier knüpft sich so nahe an die wichtigsten Interessen der Leute und ist mit ihren Sitten so eng verschlungen, dass wir es etwas näher betrachten müssen, ein wirklicher Festzug mit Rede und Gegenrede, Gejauchze und Getanze. Um Nachmittag beginnt darauf der eigentliche Tanz und die Entpfropfung der Bier- und Branntweinfässer. Des Wirtes Pflicht ist nur die Sorge fürs Getränk, doch findet sich wohl Niemand, der nicht auch ein Butterbrot für die Knechte und Tagelöhner, einen Schweinebraten für die Bauern hätte. Kommt dazu um Mitternacht noch ein Kaffee mit Semmeln, so ist selbst den ausverschämtesten Wünschen Genüge geschehen. An manchen Orten dauert das Erntebier zwei Tage und der Nachmittag des folgenden Sonntags geht gewöhnlich auch nicht leer aus. Wir erfuhren, dass etwa 50 Personen in zwei Tagen vier Anker Schnaps und acht Anker Bier verbraucht hatten. — Bei Rostock herrscht noch der eigentümliche Gebrauch, dass die Knechte am Tage vor dem Erntebier im Dorfe umherziehen und sich von den Mädchen mit Kringeln beschenken lassen.

Der Charakter des Erntefestes (Erntebier, „Austköst“ — „Köst“ ist die volkstümliche Bezeichnung für jede Festlichkeit, die mit Schmausen und Tanzen verbunden ist —) wird sich schon daraus zu erkennen geben, dass der Tag, an welchem es stattfinden soll, bei einer allgemeinen Bauerversammlung*) im Schulzenhause bestimmt wird. Das Fest selbst geht bei den Hofbesitzern der Reihe nach um. Am Morgen des Tages versammeln sich die jungen Leute, flechten zuvörderst eine große Krone aus Kornähren und Fichtenzweigen, schmücken sie mit seidenen Bändern und Flittergold und umreihen sie mit Schnüren von Hagebutten, den Früchten der wilden Rosen. In der Mitte der Krone wird in manchen Gegenden ein aus Holz oder Tragant verfertigter Hahn befestigt. Die Hagebutten und der Hahn sind Symbole der Fruchtbarkeit, nach alter Mythe dem Tor, dem scandinavischen Gotte der Fruchtbarkeit, heilig. Ist die Krone fertig, so wird sie von dem Großknechte des Festhauses, welchem die übrige Jugend folgt, durch das Dorf in das Festlokal, die große Diele des Hauses, getragen und hier an einem Balken befestigt. Früher folgte Alt und Jung dem Zuge durchs Dorf; im westlichen Landesteile ist derselbe noch heute ein wirklicher Festzug mit Rede und Gegenrede, Gejauchze und Getanze. Um Nachmittag beginnt darauf der eigentliche Tanz und die Entpfropfung der Bier- und Branntweinfässer. Des Wirtes Pflicht ist nur die Sorge fürs Getränk, doch findet sich wohl niemand, der nicht auch ein Butterbrot für die Knechte und Tagelöhner, einen Schweinebraten für die Bauern hätte. Kommt dazu um Mitternacht noch ein Kaffee mit Semmeln, so ist selbst den ausverschämtesten Wünschen Genüge geschehen. An manchen Orten dauert deas Erntebier zwei Tage und der Nachmittag des fplgenden Sonntags geht gewöhnlich auch nicht leer aus. Wir erfuhren, dass etwa 50 Personen in zwei Tagen vier Anker Schnaps und acht Anker Bier verbraucht hatten. – Bei Rostock herrscht noch der eigentümliche Gebrauch, dass die Knechte am Tage vor dem Erntebier im Dorfe umherziehen und sich von den Mädchen mit Kringeln beschenken lassen.

*) Diese Bauernversammlungen geschehen zur Beratung über Gemeinde-Angelegenheiten. Bauern und Büdner nehmen an ihnen Teil. Früher schickte der Schulze zum Zwecke der Berufung einen geschälten Weidenstab im Dorfe herum, woher wohl die Redensart entstanden ist: „De Knüppel geit üm!“ (Ausgepasst!) Der geschälte Weidenstab spielte überhaupt früher m den Dorfordnungen eine große Rolle; man bediente sich seiner zum „Kaveln“ und noch kürzlich wurden z. B. die Wiesen in der Nähe von Doberan teilweise „verkavelt.“ Auch in den Spielen der Kinder hat sich die Sitte des Kavelns erhalten. — Die Zusammenkünfte der Dorfbewohner zu gemeinschaftlicher Beratung sind nicht von großer Bedeutung; es werden auf ihnen die Gemeindebeiträge verschiedener Art berechnet und gesammelt, einige gemeinschaftliche Angelegenheiten abgemacht u. s. w. U. A. wird auch bei solcher Zusammenkunft der „Bullenvater“ bestimmt, d. h. derjenige, welcher den Ortsbullen auf ein Jahr zu halten hat.

An den ländlichen Festlichkeiten erkennt man ganz besonders, dass ein reiches Maß von unverfälschter Natur und Kraft im Volke steckt, welche — das ist die Hauptsache — auch die übrigen Schichten der Bevölkerung kräftigende Keime in sich tragen. Aber man ersieht auch, dass die sozialen Verhältnisse (in wirtschaftlicher Beziehung ist es ebenso), auf welche mehrfach hingedeutet wurde, die Geschlossenheit der verschiedenen Gemeinschaften und die Standesabstufungen innerhalb derselben, diesem Teile unseres Volkes noch sehr tief im Herzen wurzeln. Wenn es die Aufgabe des Staates sein soll, zu gruppieren und schon bestehende Gruppen zusammenzuhalten, bis sie in eigener, selbstständiger Entwickelung sich auflösen, um sich sofort zu neuen Gruppen zu bilden, so muss man zugestehen, dass die von uns betrachtete Gruppe der Staatsbürger auf dem Punkt ihrer Auflösung, als einer Folge eigener innerer Entwickelung, noch nicht angelangt ist. Wir meinen damit, dass sie im Allgemeinen nur für die Stellung, welche sie einnimmt, erst reif ist. Dass Keime einer geregelten Fortentwickelung von Außen in die Volksgruppen gelegt werden mögen, ist weder unserer Ansicht noch unserem Wunsche fremd, nur muss kein gewaltsamer Eingriff stattfinden, der die Schranken plötzlich beseitigte, welche die jetzigen Gruppen noch umfassen.