Aberglauben im Volksleben

Diejenigen Volksgebräuche, welche wir mit dem Worte „abergläubische“ bezeichnen dürfen, lassen sich, soweit sie sich im Leben des mecklenburgischen Volkes kundgeben, in ihren Anklängen an die nordischheidnische Mythologie und in der Benutzung des Gottesnamens der Christen erkennen. Letzteres zu dem Zwecke, um durch seine Kraft Macht über gewisse Naturkräfte — meistens feindlich gegen den Menschen auftretende — zu gewinnen. Was solche Volksgebräuche aus der nordischen Mythologie in sich aufgenommen haben, zeigt sich am deutlichsten in gewissen Gewohnheiten, welche sich an die Jahreszeiten und an feierliche Momente des Lebens anschließen. Zur Macht des dreieinigen Gottes nimmt man sehr häufig in Krankheiten (bei sympathetischen Kuren) die Zuflucht, teils wenn es sich um Menschen, teils wenn es sich um das Vieh handelt. Sowohl im ersteren Falle, wenn man den Gewohnheiten folgt, deren Ursprung in der nordisch-heidnischen Mythologie ruhet, wie auch im letzteren, wenn man die feindlichen Naturkräfte, welche nach dem allgemeinen Volksglauben alle Krankheiten und alle den Leib und das Leben in Gefahr stellenden Übel veranlassen, durch den Namen des allmächtigen Gottes besiegen und beseitigen will — bei allen Handlungen dieser Art wird der Handelnde von einem Glauben an die Wirksamkeit seines Tuns geleitet, ohne sich dieser und des tieferen Ursprunges jener Gebräuche selbst weiter bewusst zu sein. Dass jener Glaube ein falscher und verwerflicher, ein Aberglaube ist, braucht kaum erwähnt zu werden; aber er wurzelt nichtsdestoweniger tief in dem ganzen Wesen und Denken des Volkes, ist mit seiner Anschauungsweise oft eng verknüpft und deshalb nur mit großer Mühe auszurotten.

In dem Jahrg. XX. der Jahrbücher für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde hat Beyer viele Anklänge an die heidnische Mythologie, welche in den Sagen und Sitten des mecklenburgischen Volkes leben, mit großem Fleiße und Verständnis gesammelt. Er gelangt dort zu demselben Reultate, welches auch anderen Forschern in unseren Nachbarländern sich aus dem gleichen Gegenstande ergeben hat, dass nämlich „in den Sitten und Sagen unseres Volkes nicht die leiseste Erinnerung an die slawischen Gottheiten, an deren Tempel und heilige Stätten zurückgeblieben sei, dass vielmehr alle Erinnerungen an die heidnische Mythologie, welche aus den Sitten und Sagen des Volkes hervorblicken, sich auf die nordisch-heidnischen Gottheiten beziehen, deren Andenken das germanische Volk der Sachsen aus seinen früheren Wohnstätten mit sich führte, als es das mecklenburgische Land nach Vertreibung der Slawen in Besitz nahm.“ Dies ist eine für die Abstammung unserer Bevölkerung sehr wichtige Erscheinung, die es, in Beihalt der geschichtlichen Zeugnisse, über allen Zweifel erhebt, dass dieselbe ihrem Kerne nach von deutschem Blute entstamme, und dass die etwa zurückgebliebenen Elemente slawischer Nationalität in der deutschen Bevölkerung aufgegangen sind.


An dieser Stelle kann es nicht unsere Absicht sein, Alles zu sammeln, was in den Sitten des Volkes auf die Bewahrung uralter Traditionen zurückweist. Nur soweit Solches zur Charakteristik des Volkes dient und notwendig ist, heben wir es im Folgenden kurz heraus.

Die nordisch-heidnischen Gottheiten Othin oder Wodan (das allmächtige, alldurchdringende Wesen) und Thor oder Donar, der Donnerer (der Gott des Sommers, der Fruchtbarkeit, der Gerechtigkeit und der Liebe) sind vornamlich in unseren Volkstraditionen vertreten. An Othin, nach hiesigem Sprachgebrauche „Wode“ genannt, erinnert vor Allem die Sitte, welche die letzte Garbe des Feldes ihm als ein Dank- und Sühnopfer für den Erntesegen weiht. Im 16. und 17. Jahrhunderte war es sehr allgemeiner Gebrauch, diese letzte Garbe auf eine besondere Weise mit Bändern herauszuputzen und dem Othin mit folgenden Worten zu weihen: „Wode, hale dinem Rosse nu Voder, Nu Distel un Dorn, Thom andern Jahr beter Korn!“ In einigen Gegenden des Landes sind diese Reime noch heute bekannt, ihre Bedeutung ist aber dem Volke nicht mehr recht gebräuchlich. Man nennt zwar die letzte Garbe des Feldes noch „den Erntewod“ oder „de Wulf“ (der Wolf war Othins geheiligtes Tier), an der mecklenburg-preußischen Grenze auch „de Oll“, aber was es mit derselben für eine Bewandtnis habe, weiß man nicht mehr. Einigen dient der „Wolf“ zum Scherze, um diejenige Binderin, welcher die letzte Garbe zu Teil wurde, ein Jahr lang mit dieser Bezeichnung zu necken (bei Ludwigslust); Andere verfertigen aus dieser Garbe eine große Puppe, schmücken sie mit Band und fahren sie jubelnd auf dem letzten Erntewagen heim (bei Parchim); noch Andere verbinden mit diesem „Wolfe“ den Begriff des Schadens und hier (bei Rostock) scheint der älteste Anklang seiner wahren Bedeutung aufbewahrt zu sein. Die Binderin, welche hier diese letzte Garbe verfertigte, muss dieselbe mit dem Ausrufe „de Wulf!“ und mit geschlossenen Augen hinterrücks von sich werfen, sonst wird sie — unfruchtbar. Im südöstlichen Landesteile ist die gleiche Sitte auf die Kartoffelernte übertragen, und wer die letzte Staude dieser Frucht hat ausheben müssen, heißt auf ein Jahr „de Kantüffelwulf.“

Das zwölftägige Juel- oder Julfest feierten die alten Deutschen zur Zeit der Winter-Sonnenwende; es war das „Fest der Wiederkehr der neuen Sonne, welche nun aus ihrem Kampfe mit dem Winter siegreich hervorgegangen ist, um ihre Laufbahn mit verjüngter Kraft anzutreten und überall auf der Erde ein neues, frisches Leben hervorzurufen.“ Das Fest selbst verlief unter fröhlichen Schmausereien, die fleißig mit dem Becher gewürzt wurden, unter Spielen und Tänzen, wobei die Jugend frische Tannenzweige, als Symbol der wiederkehrenden Sonne, in den Händen trug. Dies Juelfest war des Nordländers Hauptfest; bei den Schmausereien wurden vorzugsweise Schinken und Würste verzehrt, denn das Schwein war das Lieblingstier der alten Nordländer sowohl, wie es das des heutigen norddeutschen Bauern ist — wenigstens wenn es geschlachtet und zubereitet ist. — Das Juelfest fiel in die Zeit vom heiligen Abend oder Weihnachtstage bis zu dem Tage der heil. Dreikönige, welche Zeit die „der Zwölften“ hieß. — In den Gebräuchen des Volkes ist noch mancher Anklang an jene heidnische Festzeit zu finden. Es war dies diejenige Zeit, wo eine innigere Verbindung zwischen der Götter- und Menschenwelt bestand. Der alte Othin geht nicht nur am heiligen Festabende noch heute als der „Rug'klas“ auf den Straßen umher und sucht die Kinder zu erwischen und zu bestrafen, welche unartig sich betragen haben; sondern in den Zwölften ist es auch, wo der wilde Jäger Wode oder Fru Woden mit seiner Wodensjagd ganz vorzugsweise sein Wesen treibt. Der Jäger Wode ist ein Hauptgegenstand der älteren echten Volkssagen und spielt auch in den Traditionen unseres Volkes eine bedeutende Rolle. Wie schon erwähnt, tritt mit ihm um diese Zeit die ganze Götterwelt den Menschen näher; es ist jetzt die rechte Zeit zur Erforschung der Zukunft und zur Anwendung von Zaubermitteln aller Art, wie sie noch heute zahlreich stattfinden. Dagegen darf man in der ganzen Zeit der Zwölften keine häusliche Arbeit vornehmen, bei welcher man sich beschmutzen würde. Noch heute werden während dieser Tage die Ställe nicht gereinigt; es wird nicht gesponnen, gewaschen oder getrocknet. Auf das Zeug, welches alsdann auf der Bleiche läge, würden böse Geister ihren Einfluss ausüben, dass es seinen Besitzern Tod oder Schaden brächte. „Wer in den Zwölften den Zaun bekleidet, so geht die Rede, der muss im Laufe des Jahres den Kirchhof bekleiden.“ — Auch darf man alsdann keine Erbsen essen. — Endlich ist auch das Andenken an die heidnischen Schmausereien durch gewisse Arten von Gebäck bewahrt, welche zum Weihnachtsfeste bereitet werden, die Pfeffer- und Honigkuchen, welche jetzt jede Familie bäckt und die Puppen von Semmelteig („Has'poppen“), welche die Bäcker feilbieten und womit die ärmere Jugend von Hause zu Hause beschenkt wird. — Die nordischen Frauen bucken um diese Zeit Brote in Form eines Ebers; in Rostock wurde nach Mantzel früher eine Art Festbrot gebacken, welches „de Wulff“ hieß. — In den Bürgerhäusern unserer Städte wird um den Beginn des neuen Jahres allgemein das Schwein eingeschlachtet. Zur Feier der Fastnacht aber, welche mit dem alten Juelfeste eng zusammenhängt und nur ein Teil desselben ist, der durch die Einrichtungen des Christentums um l ½-2 Monate nach der eigentlichen Festzeit hinausgeschoben wurde, ist es noch heute bei den Bauern Gebrauch, mit ihren Familien Mettwurst zu essen, vielleicht ebenfalls eine Erinnerung an das Wurstessen in älterer Zeit zur Feier des Juelfestes. — Endlich dürfen auch die Juelklappen im Weihnachtsfeste nicht vergessen werden, welche sogar den Namen des Festes, an das sie erinnern, bewahrt haben. Von der früheren Feier des Johannistages durch Musik und Tanz und das Schwingen von Strohfackeln ist schon die Rede gewesen.

Die Sage von der wachenden Gottheit, welche mit dem Rufe: „Hier geit de Scheer'!“ als Grenzwächter auftritt und denjenigen straft, welcher die Grenzsteine zu verrücken wagt; die Sagen von „Wehrwölfen“, d. i. durch Zaubermittel in Wölfe verwandelte Menschen, welche in dieser Gestalt das Vieh zerreißen und sich auf manche andere Weise an den Menschen rächen; das Sprichwort: „He geit as de Hund in de Twölften“, womit man einen Menschen bezeichnet, der nachsinnend umhergeht und sich stellt, als stehe er in Verbindung mit der Geisterwelt; die Bezeichnung „Wodans- oder Wolfsgesicht“ für ein solches, dessen Nase klein und breit ist — Alles dies sind Erinnerungen an die altdeutsch-heidnische Othinsmythe im heutigen Volksleben. Vielleicht gehört auch dahin, dass man am Mittwoch kein wichtiges Werk beginnen darf, denn dieser Tag ist Othin geweiht.

In nicht minderer Verbindung zu einzelnen Gebräuchen desselben steht die alte Mythe vom Thor, „Thor geht einher im Donner und spricht im heiligen Gotteswetter;“ das Wasser, das Feuer und die Lust sind Elemente, in welchen und durch welche er wirkt. Was das Feuer Nachteiliges stiftet, das macht Thor wieder gut; Krankheiten z. B., welche durch Feuer (Fieber, Hitze u. s. w.) veranlasst werden, sind auch durch das Feuer heilbar. In dieser Ansicht liegt der Grund zu den sogenannten Not- und Lotfeuern, d. h. Feuer, welche nicht durch anderes Feuer, sondern durch sich selbst, durch Reibung hervorgebracht werden. Wenn das Vieh durch die sogenannte Feuerkrankheit heimgesucht ward, welche vorzugsweise die Schweine zu befallen pllegt, so entzündete man ein solches Notfeuer und trieb das Vieh durch den Rauch desselben. In früheren Zeiten wurden solche Feuer ganz öffentlich im Beisein der Gemeinde entzündet; jetzt sind sie zwar verboten, aber haben deshalb noch keineswegs aufgehört. Wenn wir nicht irren, so wurde im Jahr 1856 aus einem Dorse in der Nähe von Lndwigslust noch ein Notfeuer angezündet, weil die Schweine von der Feuerkrankheit befallen waren. Es war dies Ereignis damals ein öffentliches Geheimnis; ein Augenzeuge erzählte uns den Hergang dabei folgendermaßen. Am dunklen Abend war die Bevölkerung auf einem freien Platze zusammengekommen, nachdem im Dorfe alle Herdfeuer und Stubenlichte verlöscht worden. In die Erde rammte man einen trockenen eichenen Pfahl (die Eiche ist Thors heiliger Baum), um welchen vermittelst eines Strickes ein Rad schnell und unaufhörlich gedreht wurde. Nahe dabei wurde ein Scheiterhaufen von siebenerlei Holz (in Süddeutschland nimmt man neun verschiedene Holzarten) aufgetürmt. Einzelne hatten trockene Strohwische in Händen, um die sich durch die Reibung entwickelnden Funken aufzufangen und durch Schwingen im Winde das Stroh in Brand zu bringen. „Nu — sagt unser Augenzeuge — güng dat Dreien los; äwerst wie dreihten, dat de Hut von de Hännen güng un krigten keen Füer. Un worüm nich? Weil Herr Paster to Hus wier un Licht in de Stuw harr!“ Sobald man dies bemerkte, ließ man von dem Versuche ab, in der festen Überzeugung, dass man kein Feuer erhalten werde, weil sich Licht im Dorfe befand. Aber am dritten Tage darauf, als der Pastor zufällig verreist war, versammelten sich die Leute wieder und „dat duhrt keen Viertelstunn, do harren wie Füer.“ Die Seuche des hierauf mit vieler Mühe durch den Rauch, jedoch ganz nahe am Holzhaufen vorbei getriebenen Viehes soll sich sofort verloren haben.

Auch in vielen sympathetischen Kuren lebt noch der Glaube an die reinigende und heilende Kraft des Feuers; selbst der Asche von Eichenholz schreibt man solche Kraft bei. Man wendet die Sympathie des Feuers zuweilen bei Krankheiten an, wo die falsche Anwendung eines Heilmittels unersätzlichen Schaden hervorbringen zu müssen scheint. Vor Jahren sahen wir einmal, dass ein Geschwür, welches nach der Befürchtung des Arztes sehr bösartig werden konnte, in der Weise behandelt wurde, dass ein Sympathetiker eine glühende Messerspitze darüber hielt und hernach Asche darauf streute. Ob es dadurch geheilt worden ist, erinnern wir uns nicht.

Die Verehrung, welche dem Thor als Gotte der Fruchtbarkeit erwiesen wurde, zeigt sich noch bei bäuerlichen Hochzeiten, wo die Butter, früher auch das Brot, in Form eines Hahnes (der Hahn war Thors Vogel) geknetet wird, auch nannte man den Hochzeitsschmaus das „Hahnenbier.“ Und beim Erntefeste wird die Erntekrone mit den Thor geweihten Hagebutten, den Früchten der wilden Rose, geschmückt und mit einem hölzernen Hahne verziert. Auch die kleinen Vögel, welche in der Krone einer ländlichen Braut schweben, sind wahrscheinlich ursprünglich Hähne, und zu dem ebenfalls Thor geweihten Storche singen die Kinder auf der Straße: „Arebare Rore, bring mi'n lütten Brore, Arebare Neste, bring mi'n lütte Sweste!“ Dem Donnerkeile („Dunnerpiler“, Belemnit) schreibt man übernatürliche Kräfte zu; wer einen solchen gefunden, trägt ihn achtsam in der Tasche bei sich, will er ihn aber wegwerfen, so muss es hinterrücks geschehen, nachdem man kräftig auf den Stein gespuckt hat. Die kleinen, durch Wasser ganz glatt abgeschliffenen, runden, schwarzen Kieselsteine, welche man häufig in Sandgegenden findet, nennt das Volk wahrscheinlich nach ihrer Farbe „Kreiensteen.“ Wer solchen gesunden, muss ihn ebenfalls verwahren, aber ja nicht wegwerfen; er würde, wenn er Letzteres täte, erblinden müssen. - Durch Blindheit straft Thor seine Feinde; wer einen Meineid schwört, den blendet er oder tötet ihn durch einen Blitzstrahl. Aber er belohnt auch die Gerechten; wer an seinem Tage, dem Donnerstage, ein Werk anfängt, dem gedeiht es, und wenn es ein gutes Werk ist, so hat er immerdar Segen davon.

Die Kenntnis von der heilenden Kraft eines zu rechter Zeit geschöpften Wassers ist im Volke ebenfalls noch ganz gemein. Die Zeit freilich, wo man schöpfen soll, hat man zum Teil auf die Tage hoher christlicher Feste verlegt und mit diesen in Zusammenhang gebracht, die Heilkraft des Wassers ist aber traditionell aus früherer Zeit. Wer am grünen Donnerstage oder am Karfreitage zur Stunde, wo der Herr starb, oder um die Mitternachtsstunde des ersten Ostertages stillschweigend Wasser aus einem fließenden Gewässer schöpft, der hat das ganze Jahr hindurch ein heilkräftiges Mittel gegen Augenkrankheiten. Gleiche Kraft besitzt das in der Mitternachtsstunde des Johannistages unter denselben Umständen geschöpfte Wasser, doch ist dies letztere besonders auch bei Hautkrankheiten des Viehes wirksam. Aus unserer Kindheit, vor etwa 25 Jahren, erinnern wir uns ganz deutlich selbst gesehen zu haben, wie die Frauen mit Flaschen zum Flusse gingen, dieselben füllten und verkorkten. Ja wir haben es damals erlebt, dass eine alte Frau einige Flaschen mit solchem Johanniswasser der Predigerfrau ihres Ortes als ein heilkräftiges Wasser ins Haus brachte. Vorzugsweise dürfte aber der Gebrauch dieses Wasserschöpfens im nordwestlichen Landesteile stattfinden.

Das Gesagte mag genügen, um zu beweisen, wie reich das Leben des hiesigen Volkes an Überlieferungen dieser Art ist. Das Walten der Naturkräfte und ihr Einfluss auf den Körper der Menschen und Tiere spielt bei allen natürlichen Menschen eine große Rolle. Die Naturkräfte sind entweder freundlicher Art und gereichen zum Segen und zur Beglückung, oder sie sind feindlicher Art und bedrohen das Wohl und Glück der Individuen. Das Heidentum personifizierte die Kräfte der Natur und hob diejenigen, welche sich dem natürlichen Sinne als die höchsten zu erkennen geben, dadurch hervor, dass es ihre Personifikationen zu Gottheiten des ersten Ranges machte. Das Christentum verwischte später die Vorstellung von den heidnischen persönlichen Gottheiten, doch blieb in der Erinnerung des Volkes eine schwache Idee ihres Wirkens übrig, welche die Tradition in ihr Gebiet zog und mit dem Gewande der Sage schmückte. Von dem heidnischen Götterdienste und dem Wesen der Götter selbst blieben nur schwache Anklänge zurück, die sich in gewissen Gebräuchen erhielten, wie wir sie noch heute bewahrt sehen. Das Volk hat dabei gar keinen Begriff von der eigentlichen Grundlage seines Tuns, folgt vielmehr dem Zuge, welcher alle natürlichen Völker fast instinktiv leitet, feindlich wirkende Naturkräfte persönlich sich zu vergegenwärtigen. Wie das Christentum die Macht des Heidentums brach, so auch stellte sich die Allmacht des dreieinigen Gottes über die Macht der Naturkräfte, und jene göttliche Allmacht, gläubig erfasst, besiegt die letzteren und beseitigt ihr feindliches Wirken. Das ist der leitende Gedanke, welcher den sog. sympathetischen Kuren zu Grunde liegt oder vielmehr zu Grunde lag. Jetzt freilich sind dieselben jedes höheren Gedanken bar; die Worte, die bloßen sympathetischen Formeln und die Ausschmückungen, welche bei ihrer Anwendung stattfinden, sind jetzt die Hauptsache, sind es, welche die heilende Wirkung ausüben. Man ruft bei der Anwendung dieser Sympathie zwar noch stets die Macht des dreieinigen Gottes an; aber wie wenig die Heilung — wenn eine solche ja überhaupt stattfindet — eine Wirkung des felsenfesten Glaubens ist, erkennt man leicht daran, dass dieselbe vom richtigen Aussprechen der Worte jeder Formel, ferner daran, dass man solche niemals von einer Person gleichen Geschlechtes erlernt habe und von anderen Nebensachen durchaus bedingt ist. Die Sympathie mit ihren Kuren herrscht nicht nur unter dem gewöhnlichen Volke in einer viel größeren Ausdehnung, als man glauben möchte, sondern, trotz aller neuzeitlichen Aufklärung, greift sie auch weit in die höheren Klassen der Gesellschaft ein und lässt diese so recht selbst beweisen, dass sie eben nur aus den Volkskreisen hervorgegangen sind, ohne letzteren — wie sie selbst sich gern dünken — entwachsen zu sein. Es müsste höchst interessant sein, wenn einmal die Memoiren eines vielbeschäftigten Sympathetikers gewissenhaft veröffentlicht würden.

Bei der Betrachtung der Volksgebräuche finden wir noch eine dritte Art derselben hier erwähnenswert, welche zwar nicht überall dem Gebiete des Aberglaubens angehören, aber auch nicht weit von diesem entfernt sind und von Mussaeus ganz charakteristisch „Thorheiten“ genannt werden. Dies sind die sog. „Regeln“, welche das Leben der Leute von allen Seiten umgeben und in ihrer Weise ordnen. Fast in Allem, was das Volk tut, folgt es einer bestimmten Regel und wo es solche nicht findet, möchte es sich gern selbst eine bilden. Nach den Wetterregeln des hundertjährigen Kalenders macht der Bauer seine landwirthschaftlichen Kalkulationen; nach den Wirtschaftsregeln, die sich vom Vater auf den Sohn ausgebildet und fortgeerbt haben, säet, Pflügt, eggt und erntet er, schickt er sein Vieh auf die Weide und nimmt es wieder auf den Stall; nach den Lebensregeln, welche der Vater seinem Sohne als Weisheitsregeln mit in die Aussteuer gibt und welche er oft als kernhafte Sprichwörter im Munde führt, richtet er einen großen Teil seines Verhaltens gegen die Mitmenschen ein. Diese vielen Regeln geben dem äußeren Wesen der Leute oft jenen bedächtigen Schein, welcher nicht anstoßen will, und bewirken oft ein sehr rücksichtsvolles Benehmen. Mancher alte Bauer tritt so leise und besorgt einher, als trüge er immer das Sprichwort mit sich herum: „Ik hür tau, wat de Klock sleit“ (ich bin auf meiner Hut).

Von diesen Regeln, soweit sie aus der Erfahrung des Lebens stammen, sind natürlich manche sehr praktisch, manche andere aber sind mindestens töricht. Der natürliche Mensch liegt immer im Kampfe mit bösen Einflüsssen außer ihm und sucht denselben auf alle mögliche Weise zu begegnen. Daraus entsteht Alles, was auf das „Verreden“ und auf das „Antun“ feindlich gesinnter Menschen Bezug hat. Hexen werden nicht mehr verbrannt, aber vor mancher alten Frau, mit der es ihm nicht recht geheuer scheint, schlägt ein rechtschaffener Bauersmann sein Kreuz. Wie oft ereignet es sich, dass ein Nagel von einem feindlichen Menschen in den Trog geschlagen wird, aus welchem die Schweine fressen, und dass alsdann eins nach dem anderen siirbt. Wie oft verredet man ein Kind, ein Tier durch unbedachtsames Lob, ohne dem lieben Gotte dabei die Ehre zu geben; wie oft schadet der böse Blick einer alten Frau den Kindern. In diesen und ähnlichen Fällen gibt es nun eine ganze Masse von Verhaltungsregeln, durch welche man alle schädlichen Einflüsse unwirksam macht. Lobt Dir Jemand Dein Kind, ohne „Gottlob!“ zu sagen, so sprichst Du leise: „Unverropen“; tadelt es Dir Jemand unbedingt, so sage: „Steen un Been tau klagen“; nennt er es ein Ding, so sprichst Du: „Keen Ding, Gott sie Dank“. Dadurch wirst Du „Gift und Galle“ unschädlich machen und Dich an der „Deege“ (dem Gedeihen) Deines Kindes freuen können, wie denn auch drei Kreuze, mit welchen Du die Türe Deines Hauses und Stalles bezeichnest, allen bösen Einflüssen den Eintntt verwehren. Wer solche drei Kreuze in der Mainacht an seine Türen zeichnet, den und dessen Vieh verschonen die Hexen, welche zum Blocksberge reiten.

Dass das Volk seinen „Regeln“ nur deshalb nachlebt, weil es sich dabei sagt, dass ihre Befolgung wenigstens nicht schaden könne, möchten wir nicht glauben; es scheint uns eher, als folge es ihnen aus der Überzeugnng von ihrer Nützlichkeit, ohne sich über den Grund oder Ungrund jener Überzeugung den Kopf zu zerbrechen. Es geht hiermit, wie mit der echten Sitte, man folgt ihr, ohne lange nach dem Woher oder Warum zu fragen. Und die Einzelnheiten erhakten sich deshalb lange, weil sie innig zum Ganzen gehörige Teile sind. Die Regeln und abergläubischen Gebräuche umgeben das Volksleben wie ein Zaun, der es schützt und für sich absperrt, so lange er keine schadhafte Stellen und Lücken hat. Dafür muss der Mensch sorgen, er muss alle Gebräuche dieser Art im Gedächtnisse haben und befolgen; denn „wo de Tun am siedsten is, doar is am lichtsten öwerstiegen“.