Familienleben und Alltagsküche

Hat der Leser mit uns der Leute Charakter, ihre Wohnungen und ihre Tracht kennen gelernt, so lasse er sich jetzt einführen in das häusliche Leben derselben. Es bleibe auch hier Alles bei Seite, was sich nur als Folge moderner Verflachung darstellt, denn wir hoffen und wünschen, dass dieselbe nur eine vorübergehende sein möge, so sehr es auch mit tiefstem Schmerze erfüllen muss, wenn man sieht, wohin es gerade jetzt in vielen Familien mit der ehrwürdigen, dem germanischen Wesen grundeigenen Heilighaltung des häuslichen Lebens, des Familienverbandes gekommen ist, wenn man erkennt, wie heilige Bande sich allmählich lockerten und Vater, Mutter, Mann und Frau so häufig Worte ohne Kraft und tiefere Bedeutung geworden sind. Diese Betrachtung tritt uns nur zu oft entgegen gerade aus den Kreisen Derjenigen, deren Existenz recht eigentlich in dem Familienleben fußt und in ihm ihre Weihe und ihr Lebensglück zu finden angewiesen ist. Um so erfreulicher ist die kräftige Reaktion, welche jetzt überall sich geltend zu machen beginnt und durch Erweckung und Belebung der sittlichen Selbstständigkeit die tiefere Sittlichkeit des Lebens, die höhere Weihe des Familienbandes zurückzurufen oder zu befestigen bestrebt ist. Wir werden nicht zweifeln dürfen an dem Erfolge dieses hohen Strebens, wenn wir erkennen werden, wie doch im Volke ein trefflicher Kern guter Sitte und herzlicher Treue vorhanden, wie trotz mancher Auswüchse doch der innere Mensch tüchtig, frisch und gesund geblieben ist. Dies zeigt sich uns namentlich in den ländlichen, bäuerlichen Kreisen unserer Bevölkerung, welche wir bisher betrachtet haben, und welche wir auch hier allein berücksichtigen wollen, teils um unser Gesamtbild einheitlich abzuschließen, teils weil dieser Teil des Volkes, wie überall so auch hier, derjenige ist, aus welchem die übrigen fußen, weil sie aus ihm hervorgehen und durch ihn mit immer neuer Kraft und Frische gesättigt werden.

Wie nun alle bäuerlichen Verhältnisse sich als etwas in sich Abgeschlossenes darstellen, so ist es auch mit den Familienverhältnissen der Fall. Jedes einzelne Mitglied hat seine ganz bestimmte Stellung, welche ihm durch die Sitte angewiesen ist und nicht leicht überschritten wird. Es versteht sich, dass Vater und Mutter die Häupter der Familie sind, in Hinsicht auf ihre Kinder und Untergebenen zwar zu gleichen Rechten, unter einander jedoch in Gemäßheit der höheren Ordnung nach dem Befehle Gottes: „Und er soll ihr Herr sein“. Der Vater steht der Verwaltung des äußeren, die Mutter derjenigen des inneren Hauswesens speziell vor; Ersterer beaufsichtigt und beschäftigt die Söhne, Letztere die Töchter. Es wird sich nicht leicht finden, dass die Mutter bei Lebzeiten des Vaters ihr Gebiet mit Bewusstsein überschreitet, auch wenn sie, was nicht selten der Fall ist, das Zeug dazu hat. Zwischen den Kindern jeden Geschlechts besteht eine ganz feste Rangabstufung, sowohl hinsichtlich ihrer Stellung in der Familie selbst, wie hinsichtlich ihrer Beschäftigung, und es folgt dieselbe durchaus nach dem Rechte der Erstgeburt. Der älteste Sohn, bei den grundbesitzenden Familien auch offiziell der „Gehöftserbe“ genannt, nimmt nach dem Vater den Ehrenplatz ein und führt bei der Arbeit, sobald er das erforderliche Alter hat, eine Art Oberaufsicht, die ihn freilich nicht von der Arbeit selbst befreit. Er hat vielmehr ebenso, wie seine Brüder, von der Pike auf dienen müssen, d. h. er begann im Alter von 8 bis 10 Jahren als „Gänsejunge“, avanzierte dann zum „Schaf-“ und „Kuhjungen“, nach seiner Konfirmation zum Knecht, und zwar zuerst zum Ochsen- oder Klein-Knechte und dann zum Pferde- oder Groß-Knechte. Pferdeknecht zu werden, ist das einstweilige Ziel des Jungen, unermüdlich läuft er neben dem pflügenden Bruder her, übt sich in den Kunstausdrücken „Jü“ und „Hott“, im Knallen mit der ledernen Peitsche und im Flöten mit dem Munde, worin diese Leute eine ungemeine Fertigkeit besitzen. Gibt der Bruder ihm später einmal die Zügel, so schwelgt er im Vorgefühl seiner einstigen Würde. In gleicher Weise wie bei den Söhnen ist die älteste Tochter Großmagd, die zweite Kleinmagd u. s. w.; auch hier findet eine Stufenfolge statt, welche bei dem Federvieh beginnt und im Departement der Kühe endigt. Die Küche bleibt, wie gesagt, das Reservat der Hausfrau. Nach der Rangstufe, welche jedes Familienglied erreicht hat, richtet sich auch der Lohn, welchen es bezieht (jedoch nur von der Konfirmation an) und welcher zwischen 14 und 24 Thlr. für die Söhne, zwischen 10 und 18 Thlr. für die Töchter jährlich beträgt.


In fremden Dienst sendet der Bauer seine Kinder selten und ungern, wenn es geschieht, nur auf deren eigenen Wunsch. Selbst wenn er deren viele hat, behält er sie doch am liebsten bei sich im Hause und verteilt seine Arbeit etwas mehr. Sein Familiensinn geht so weit, dass er beim Mangel eigener weit lieber die Kinder seiner Verwandten, als fremde Knechte zu sich nimmt. Auch wenn der Vater gestorben ist und der älteste Sohn die Hufe übernommen hat, bleiben die Geschwister doch meistens bei ihm, die Schwestern bis zu ihrer Verheiratung, die Brüder auch dann, wenn sie selbst eine Ehe eingehen. In diesem Falle ziehen sie in den zum Gehöfte gehörenden Kathen. Aber mit dem Erbantritte und der Verheiratung des ältesten Bruders tritt dennoch eine Veränderung insofern ein, als die Geschwister nun allmählich in die Stellung bloßer Dienstboten übergehen und die Angehörigen des Ältesten nun die Familie allein bilden. Dies Alles geht aber immer in so geregelter und friedlicher Weise vor sich, wie es nur die Macht der im innersten Leben wurzelnden Sitte zu betätigen vermag. Es ist in dieser Hinsicht das Familienleben ein vom Vater auf den Sohn überliefertes und man folgt der hergebrachten Gewohnheit, ohne viel nach ihrem Grunde oder gar nach ihrem Rechte zu fragen. Die Gehöfte sind in unserem Lande ja häufig von einer solchen Größe, dass sich bei einer ein- und selbst mehrmaligen Teilung recht gut noch die Familien ihrer neuen Besitzer würden ernähren können. Aber trotzdem haben, wie wir uns mehrfach überzeugt haben, selbst wo nur zwei Brüder vorhanden waren, die jüngeren Geschwister keinen Gedanken an eine Teilung der Hufe, sind oft sogar weit entfernt, den ökonomischen Vorteil einer solchen zu erkennen. Es gründet sich dies offenbar mit auf einem Mangel wirtschaftlicher Einsicht, weit mehr aber auf dem allen besitzenden Klassen einer Ackerbau-Bevölkerung gemeinsamen Widerstreben gegen die Teilung von Grund und Boden überhaupt.

Wie das äußere Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, so ist auch das innere bis zu einem gewissen Grade durch die Sitte geregelt. Die letztere überfirnisst überhaupt das innere Leben der Leute in einer solchen Weise, dass man die Herzlichkeit und Innigkeit desselben nur sehr selten erkennen kann. Jene erscheinen fast nach allen Richtungen hin weit mehr verständig, praktisch und kalt, als herzlich und warm. Beweise wirklicher Liebe findet man trotzdem zwar genug, aber selten oder gar nicht. Äußerungen der Zärtlichkeit und Innigkeit, am seltensten zwischen Eltern und größeren Kindern. Ein Handschlag, ein Gruß vertreten die Stelle wärmerer Zeichen der Zuneigung; der Frau gibt man auch wohl ein Geschenk als Zeichen der Erinnerung oder Liebe, den Kindern aber höchst selten, und selbst das Weihnachtgeschenk ist, wo es außer Esssachen überhaupt ein solches gibt, durch die Sitte vorgeschrieben: für die Söhne eine Weste, für die Töchter ein Tuch oder für Beide an Stelle jener ein Geldgeschenk, wie es jetzt zum Nachteil für die Beschenkten leider häufiger geworden ist. — Der kindliche Gehorsam wird streng gefordert und gewiss seltener verweigert, als in allen übrigen Bürgerklasssen des Staates; die gegenseitige Achtung der Eheleute wird durch Untreue und häuslichen Zwist fast nie unterbrochen, der Frieden in der Familie gewahrt und äußerst selten gestört. Das Alles erkennt und tut man als eine Pflicht und Schuldigkeit; der grundehrliche und tieftreue Charakter dieser Leute entzieht sich einer anerkannten Pflicht mit Bewusstsein nie, gewiss dann nicht, wenn diese Pflicht ausdrücklich im göttlichen Worte verordnet ist. Das ist ja etwas sehr Lobenswertes, was die Ordnung und den Freden im häuslichen und bürgerlichen Leben bewahrt und kräftigt; aber es entbehrt dies Leben jener höheren Weihe, welche die Erfüllung der Pflicht dem Menschen zur Lust und Freude macht. Diese höhere Blüte des Lebens darf man bei einem Volke, dessen Lebensgrundlage die Sitte und Gewohnheit bildet, nicht suchen. Speziell im Familienleben, mit welchem wir es hier zu tun haben, kann sich dieselbe kaum entfalten. Denn schon der erste Ursprung desselben, die Verheiratung zweier Menschen, ist hier nichts weniger als ein aus innigster Herzlichkeit und Liebe hervorgegangener.

Der vorherrschend praktische und verständige Sinn, welcher den jungen Mann vor allerlei Extravaganzen im Leben bewahrt, verlässt ihn nicht, wenn er auf die Freite geht. Er behält auch hier die Augen offen und verirrt sich selten zu einem Mädchen, welches den Eltern nicht anständig sein würde. Namentlich die Mütter sind es, welche hier ebenso den Ausschlag geben, wie sie unter allen Ständen die Wahrerinnen des häuslichen Anstandes sind. Dieser aber ist bei Knüpfung einer Ehe von sehr vielen Rücksichten bedingt. Zuerst ist es stets ein allgemeiner Wunsch, dass das Mädchen demselben Dorfe angehöre, in welchem der junge Mann wohnt, dem Prinzipe der dörflichen Gemeinschaft entsprechend; denn eine Fremde ist, wie man sich ausdrückt, „mit anner Water döst“ (getauft). Sodann muss der Stand der Braut demjenigen des Bräutigams entsprechen, dem Principe der Familiengeschlossenheit gemäß; es ist noch heutigen Tages eine Seltenheit, dass Jemand sich unter seinem Stande verheiratet. Auch sind die aus Letzterem entstehenden Folgen bei dem Sinne der Leute keine wünschenswerte, besonders in dem Falle nicht, wenn die Frau höheren Standes ist, als der Mann. Sie wird in diesem Falle das Bewusstsein ihrer Abkunft immer bewahren und es ist in solchen Familien der Unfriede weit häufiger anzutreffen, als unter verheirateten Ebenbürtigen. Man findet es deshalb gar nicht selten, dass in einer kinderreichen Familie die jüngeren absichtlich ehelos bleiben, weil sie keine standesgemäße Partie haben finden können. Sie bleiben alsdann, die Würde ihrer Abstammung bewahrend, bis zu ihrem Tode bei dem Gehöftsbesitzer im Dienste. Unter solchen Verhältnissen kann es nicht fehlen, dass die Ehen häufig von den beiderseitigen Eltern verabredet werden, namentlich wenn es sich um Bauernsöhne und Töchter handelt, und in diesen Fällen spielt auch der Besitzpunkt eine nicht unwichtige, oft sogar den Ausschlag gebende Rolle. Wenn sich aus solchen Verbindungen dennoch friedliche und freundliche Ehen entwickeln, so beruhet dies eben wieder darauf, dass die Gewalt der Sitte überwältigend ist und dass das längere Zusammenleben die den leidenschaftlichen Einwirkungen sich nicht überlassenden Individuen immer enger und fester verbindet.

So sind es drei konzentrische, aber alle in sich fest zusammengehörige und geschlossene Kreise, welche das bäuerliche Leben zwar nicht nach Außen abschließen, aber doch umringen und nach Innen zusammenhalten: die Kreise der Familie, des Gehöftes und der dörflichen Gemeinschaft, alle von Regeln und Rücksichten umgeben, welche auf der Grundlage der Sitte beruhen, gewissenhaft bewahrt und nicht ohne Not aus freiem Antriebe durchbrochen werden.

Einfach, wie die geschilderten Verhältnisse, ist auch das tägliche Leben der Leute. Des Tages hindurch nimmt die ländliche Arbeit sie in Anspruch, welche in den Dörfern während der Sommerzeit bis 7 Uhr Abends (in der Ernte länger), während der kürzeren Tage bis zum Sonnenuntergange dauert. Die allgemeine Wohnstube ist der Familien-Versammlungsort, in welchem die Mahlzeiten eingenommen und im Winter die Abende hingebracht werden. An den Sommerabenden versammeln sich die jungen Leute vor der Hoftür und erzählen einander gern schnurrige Geschichten (Reuter hat solche in „Läuschen und Riemels“ in niederdeutscher Mundart versifiziert), bis der Nachtwächter „tutet“ und sie eiligst ihre Betten suchen. An den langen Winterabenden sitzen Alle um den großen eichenen Tisch, der Hausvater auf seinem bestimmten Platze, die Übrigen nach ihrem Belieben. Eine Tranlampe, wenn's hoch kommt, ein Talglicht verbreiten spärliche Helle; Mutter und Töchter spinnen oder schälen Kartoffeln zum morgenden Essen, der Vater liest zuweilen, während die Söhne Kellen und Löffeln schnitzen oder Weidenkörbe flechten. Hin und wieder gibt ein besonders gewitzter Bursche den übrigen Rätsel auf oder macht ihnen Kunststücke vor, die er aus der Stadt mitgebracht hat (dies ist eine Lieblingsbeschäftigung). Noch häufiger aber spielen alle Männer Karten: Solo, Scherwenzel, Fünfkart, Dreiblatt, Schafskops, Hund, Sechsundsechszig und ähnliche Spiele. Jeder hat seine kurze Pfeise, mit F. F. Grünem Jäger-Tabak gestopft, im Munde, die Mütze auf dem Kopfe, und ist bemüht, die Atmosphäre in der niedrigen Stube angenehm zu machen, wozu auch die Brutgans hinter'm Ofen das Ihrige beiträgt. Da fallen denn bald die Augen vor Dampf und Müdigkeit zu, und zwischen 8 1/2 und 9 Uhr begibt sich ein Jeder in die Federn, um am nächsten Tage um 5 Uhr früh seine Arbeit wieder zu beginnen. Sonntags begibt sich Jeder, der nicht zur Aufsicht im Hause bleiben muss oder sonstige notwendige Abhaltungen hat, gern in die Kirche; Nachmittags geht man zum Einkaufen in die Stadt oder ruht aus und bringt seine Sachen in Ordnung. Abends sitzt man wieder in der Stube oder geht zu einem gemeinschaftlichen Kartenspiel bei mäßigem Trunke in den Krug. Vielleicht gibt es auch einen Tanz in der nahen Stadt, sonst kehrt man von dort stets zu rechter Zeit nach Hause. In den Krügen auf dem Lande sitzen die Leute nie spät beim Spiel; früh aus und früh zu Bette ist eine goldene Regel, der sie durchweg huldigen. Im Sommer, wo die Zeit des Schlafens kurz und die Arbeit schwer ist, halten sie gern ein Stündchen Mittagsruhe, die jungen Leute auf einem Bunde Stroh im Stalle, oft unter der Pferdekrippe oder wo sie sonst kühl und weich liegen.

Wir wollen die Familie einstweilen schlafen lassen und uns während dessen in der Küche nach dem Speisezettel umsehen. Das Feuer aus dem Herde ist zwar erloschen, die letzten glimmenden Kohlen sind sorgsam bedeckt, damit sie bis morgen früh zum schnelleren Anfachen der Glut vorhalten, die Hauskatze wärmt sich an der Asche, aber neben ihr steht schon der große mit Kartoffeln gefüllte Kessel. Die sind zum ersten Essen morgen früh bestimmt, ehe die Leute zu Felde gehen; mit Speck in Wasser gekocht („Suppkantüffeln“) geben sie ein wärmendes und, was die Hauptsache ist, den Magen sogleich tüchtig füllendes Gericht. Kaffee wird immer noch selten getrunken, wahrscheinlich schon deshalb, weil man ihn doch nicht in der Menge konsumieren kann, wie jenes Kartoffelgericht; dafür schreibt man ihm aber auch große, stärkende Kräfte zu. In manchen Gegenden isst man als erstes Morgengericht eine Milchsuppe mit Roggen-Sichtmehl gekocht, Mehlbrei („Sanft - Lieschen“ scherzweise genannt). Wieder in anderen, namentlich in den südlichen Teilen des Landes, trinkt man Cichorienkaffee in Menge und isst dazu Butterbrot; die Frauen nehmen statt der Butter gern Syrup zum Brote („Syrupsbutterbrot“) und sparen den Zucker. Dies erste Essen heißt „Morgenbrot“; ihm folgt um 8 Uhr das „Hochimt“, auch „Imt“ (Imbiss) oder „Kleinmittag“ genannt, wobei man Brot und Speck verzehrt, auch wohl einen „Schluck“ Branntweins zu sich nimmt, gewöhnlicher aber ein Glas selbstgebraueten Bieres, welches mit gelben Wurzeln (Daucus carota) abgekocht und versüßt worden. Vom Kleinmittag nimmt man sich oft vorsorglich ein Stück Brot mit, um dem Magen etwas bieten zu können, wenn er „grölen“ (brummen) wird. Um 12 Uhr folgt das Mittagsessen, welches Alltags aus Kartoffeln besteht, die mit Wurzeln, Rüben, Kohl oder was sonst die Jahreszeit bietet, zusammengekocht sind. Für jedes Familienglied liegt in der Schüssel ein Stück Speck oder Schinken, auch wohl ein Rest des Sonntagsfleisches. An wichtigeren Tagen und Sonntags gibt es Pfannenkuchen, Klöße und Backbirnen und Backäpfel (letztere „Appelbackbeeren“ genannt), ein sehr beliebtes Essen, dicken Reis mit gekochtem Rind- oder Hammelfleisch („Grapenbraden“) und getrockneten Pflaumen u. dgl. m. Reis und Klöße („Klümp“) sind die größten Lieblingsspeisen; das beliebteste Fleisch ist Schweinefleisch, namentlich Rippenbraten, der mit Pflaumen ausgestopft ist. „Göösbraden — sagen sie — sall de best sien, äwer Swiensbraden ist't.“ — Um 4 Uhr Nachmittags kommt das „Abendbrot“, aus Brot und Butter oder Speck und Schinken bestehend, und um 8 Uhr Abends schließt man mit der „Nachtkost“, wieder ein Kartoffelgericht mit Zutat, jedoch diesmal gewöhnlich ohne Fleisch. (Mussäus in Lisch, Jahrb. III.) Milchspeisen isst man im Allgemeinen gern, aber nicht oft, erst in der neueren Zeit häufiger. Von Kartoffeln ist man durchschnittlich kein großer Freund, obwohl man genötigt ist, sie zur Füllung des Magens zu verzehren; es gibt manchen Bauern, der sie gänzlich verschmäht. Aus ungesichtetem Roggenmehl bereitetes Brot, Schwarzbrot, ähnlich dem westphälischen Pumpernickel, ist die Hauptnahrung. Die Städter, denen man im Ganzen nicht gerade günstig gesinnt ist, nennt man scherzweise „Kantüffelbük“, dicke rote Nasen „Kantüffelsunt“; ein wohlbehäbiger Bauersmann aber klopft schmunzelnd auf seinen „Speckbuk“. Wenn Speck und Brot reichlich vorhanden, dann hat es mit dem Verhungern keine Not; der Tagelöhner, welcher auswärts arbeitet, lebt oft wochenlang — mit Ausnahme der Sonntage — von nichts Anderem.

Wasser trinkt der Bauer nur beim größten Durst und wenn er nichts Anderes hat; sein gewöhnliches Getränk ist gelinde säuerliches, mit Wurzeln etwas versüßtes Bier und hier und da ein Schnaps. Letzterer ist, wie Scorpionöl äußerlich, ein Radikalmittel gegen alle möglichen inneren Übel, zumal gegen „Wasser in den Stiefeln.“ Übermaß ist jedoch im Ganzen selten, wozu freilich der Umstand mit beiträgt, dass diese Leute große Mengen starker Getränke vertragen können. Starkes, s. g, bayerisches Bier trinken sie zwar gern, es steigt ihnen aber merkwürdig leicht zu Kopfe.

So ergötzliche gastronomische Anekdoten, wie Riehl sie von den Pfälzern berichtet, können wir aus dem Leben unseres Volkes nicht aufweisen; der Mecklenburger ist im Allgemeinen weder in den höheren, noch in den niedrigeren Klassen ein Gastronom. Das Charakteristische seiner Küche ist nicht das Leckere und Zarte, sondern das Schwere und Massenhafte. Statt der süddeutschen weichen Knödel aus Kartoffeln oder Weizenmehl isst man hier harte Klöße aus gesichtetem Roggenmehl; statt der zarten Braten Schinken, Speck, Rind- und Schweinefleisch; statt des Weizenbrotes, welches hier für einen Leckerbissen („Stuten“) gilt, grobes Roggenbrot. Obgleich der See nahe, isst der mecklenburgische Bauer nicht gern Fische, mit denen er seine Kartoffeln nicht fett machen kann; höchstens befasst er sich mit „Bütt“ (Plattfischen) und „grünen Heringen“. Dies ist jedoch in einzelnen Gegenden anders; z. B. bei Dargun sieht man bei festlichen Gelegenheiten Fische in Menge und als Lieblingsgericht auf dem Tische. Im Mittelalter war, wie die bekannte originelle Grabschrift in der Bülowen-Kapelle der Doberaner Kirche bezeugt, die Kringel-Kalteschale ein Leibessen; damals war aber auch das im Lande gebraute Bier ausgezeichnet nnd berühmt. Unter den mittleren Ständen wird erstere noch häufig und gern gegessen, auch der Bauer versüßt sein selbstgebrautes Bier sehr gern mit Honig. Die Butter, welche man zum Brote genießt, wird ziemlich stark gesalzen; Käse isst man aber nicht gern, er ist nicht fett genug. Entweder schmiert man die Butter „fingersdick“ oder man nimmt Speck und Schinken zum Brote. Auch Wurst isst man gern, die geräucherte, grob gehackte „Knackwurst“. Der hungernde Schusterjunge, welcher den Pechdrath ziehen mnß, singt nach einem Volkswitze:

„Kees un Brot dat mag ick nich,
Fleesch un Brot dat krieg ick nich,
Meistersch', gew't mie Wurscht!“

Damit ist die Rangordnung dieser Lebensmittel bestimmt, Fleisch ist das über allem Wunsche stehende, „Obstmus“ (Obstlatwerge), welches der Süddeutsche gern isst, bekommen hier höchstens die Kinder, der Bauer würde es zum Brote sicher verschmähen. Weil er selbst nur wenig Käse verbraucht, pflegt er auch zum Verkaufe ihn selten zu bereiten. Früher sah man den aus Buttermilch verfertigten „Pimkäse“ (Handkäse) häufiger in den Straßen feil bieten, manche Hanswirtschaft bereitet sich auch jetzt noch denselben zum Hausbedarfe, aber beliebt ist er nicht gerade; er wird hart gedörrt oder geräuchert und zum Verbrauche geschabt. Dagegen bürgert sich auch bei uns, wie Riehl vom ganzen nördlichen Deutschland bemerkt, die Frankfurter Wurst mehr und mehr ein. Da sie, wenn auch feiner, doch mit der echten Bauernwurst sehr ähnlichen Geschmack hat, so darf man sie wohl als volkstümlich bezeichnen.

Die Gerichte unserer Volksküche entsprechen einerseits dem kälteren und feuchteren Klima unseres Landes; sie sind schwer und fett. Andererseits stehen sie auch mit dem Charakter der Leute durchaus im Einklange; sie sind einfach und derbe, ungekünstelt. Auch in den höheren Ständen ist, wie schon erwähnt wurde, die Nahrung verhältnismäßig einfach, die Zubereitung ebenfalls. Das Volk hat außer Zwiebeln und Salz eigentlich keine würzende Zutat, Senf und Pfeffer werden wenig verbraucht, auch in den Städten bei weitem nicht in dem Maße, wie in Süddeutschland. Die Volksküche beschränkt sich auf wenige Gerichte, denn man sieht beim Essen nicht sowohl auf das Was und Wie, als auf das Wieviel. Reichlich muss Alles vorhanden sein; unglaubliche Mengen schwerer Nahrungsmittel werden in — wenn es gilt — stundenlangen Sitzungen eingenommen, wofür man selbst die Bezeichnung „einpacken“ oft gebraucht. Wenn der Mensch vom Tische aufsteht, sollen alle Ecken und Winkel im Magen gefüllt sein, und damit dies gelinge, isst man nicht gern zu dünne Speisen, auch die Suppen müssen von einer solchen Beschaffenheit sein, dass der Löffel in ihnen aufrecht stehen kann. (So verschmäht der Bauer oft die schönsten Suppen, wenn sie zu flüssig sind, z. B. Bouillon u. dgl.) Man arbeitet mit großer Behaglichkeit auf Dickbäuchigkeit hin und wer diese besitzt, fühlt sich doppelt als Mann von Gewicht. „De Wind — sagt das Sprichwort — weiht wol Barg' tosamen, äwer keen dick' Bük';“ die wollen mühsam kultiviert sein. Deshalb begießt man auch die leibliche Pflanze gern inwendig mit einem Schnaps nach jeder Mahlzeit, weil man der Meinung ist, dass derselbe, zu dieser Zeit genossen, eine mästende Wirkung habe. Eine gleiche schreibt man auch allgemein dem Speck und dem Mehl zu, dem hart gebackenen Brote aber eine vorzugsweise kräftigende. Wenn die Zähne erst schlecht zu werden beginnen, so dass man die sehr harte Kruste („Kürste“) des groben Brotes nicht mehr beißen kann, dann geht es mit der Kraft abwärts, man mag dazu tun, was man wolle, und ein Kind nimmt erst dann recht zu, wenn es in den Jahren ist, dass es tüchtige Mengen dieser Brotkrusten verzehren kann. Deshalb ist es allgemeine Sitte, das Brot recht hart auszubacken.

So reinlich die Leute im Allgemeinen, zumal hinsichtlich ihrer Kleidung sind, so „unnasch“ (unsauber) geht es bei ihrem Essen her. Sie glauben, das Salz werde an die Speisen getan, um den Magen rein zu scheuern, und das kann ja (scherzweise) ein Bisschen Dreck auch. „Sand — hört man häufig — schliert den Magen rein“; deshalb ist eine kleine Zutat dieses Artikels nicht von Bedeutung, ja es ist gar nicht selten, dass schreienden Kindern eine Messerspitze voll Sand in den Mund gegeben wird, um damit den vermeintlich in Unordnung geratenen Magen zu reinigen. Man hat in dieser Hinsicht auf Kindermädchen vom Lande wohl zu achten. Jene Gleichgültigkeit gegen die Reinlichkeit der Nahrung ist übrigens um so auffallender, als nicht leicht Einer zu Tische gehen wird, der nicht vorher die Hände, oft auch das Gesicht im Viehtroge gewaschen hätte. Wir sahen nicht selten, wie die Hausmutter mit ihrer keineswegs reinen Küchenschürze den Tisch abwischte und dann das Brot auflegte, welches doch allgemein das „liebe“ Brot genannt wird. Beim Mittags- und Abendessen wird gewöhnlich ein Tischtuch aufgedeckt, an dem man Finger und Mund abwischen soll. Darauf wird eine große Schüssel gestellt, welche das zusammengekochte Essen enthält und aus welcher Jeder mit dem Löffel direkt in den Mund isst. Teller werden zwar gewöhnlich gleichfalls aufgesetzt, nicht aber, um sie aus der Speiseschüssel zu füllen und aus ihnen zu essen, sondern nur damit sie das etwa vom Löffel Abfallende aufnehmen, Gabelspeisen isst man überhaupt nicht gern, sondern mit dem Löffel das dicksuppig Zusammengekochte. Nach der Mahlzeit leckt man den Löffel von Holz oder Zinn ab, wischt ihn am Tischtuche rein und steckt ihn an einen in der Wand befestigten Riemen. In der neueren Zeit findet man es häufiger, dass Vater und Mutter oder Ersterer allein an einem besonderen Tisch essen; auch geht es in manchen Familien, wie wir nicht verhehlen dürfen, bei den Mahlzeiten jetzt sehr reinlich und anständig zu.

Im westlichen Teile des Landes, besonders unter den Ratzeburger Bauern, trifft man überhaupt eine höhere Bildung und größere Verfeinerung des Lebens und der Sitten, als im östlichen nnd südlichen Teile. Mehrere Umstände wirkten znsammen, um jenes Resultat hervorzubringen. Die Hufen der Erstgenannten sind im Allgemeinen größer, als diejenigen der Letzteren, verstatteten dem Besitzer eine schnellere Entfaltung seiner Kräfte nnd nötigten ihn zu umfassenderer Tätigkeit. Die Ratzeburger sind persönliche Besitzer, nicht Pächter ihrer Hufen und weit weniger durch die großen Verheerungen betroffen, welche namentlich der Osten und Südosten des Landes während des dreißig- und siebenjährigen Krieges erlitten. Man darf wohl erwarten, dass diese Umstände, gerade wie sie die alte Sitte hier besonders rein erhielten, auch geeignet waren, dieselbe mit einer äußerlichen Verfeinerung zu umgeben. Wir haben früher schon mehrfach Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, dass mit dieser zugleich ein gewisser Luxus in der Wohnung und der Möblierung derselben angetroffen wird, den man sonst nur ausnahmsweise im Lande findet.

Die Leute, deren Lebensweise wir geschildert, sind zu harter und anstrengender Arbeit berufen und durchgehends fleißig. Deshalb darf man auch mit ihrem großen Appetit nicht rechten; denn bekanntlich fährt nur Derjenige gut, welcher gut schmiert, und die durchweg kräftige Körperbeschaffenheit der Mecklenburger erfordert reichliche Nahrung, Es ist vielmehr erfreulich, dass diese Leute mit ihrer Kost überall zufsrieden sind und sich wohl bei ihr befinden; sie tauschen dieselbe, wie wir oft genugsam erfahren haben, nicht mit den Erzeugnissen einer feineren Küche. „Wat de Buer — sagt man — nich kennt, dat itt he nich“. Namentlich haben sie einen großen Widerwillen gegen Alles, was sie „libberig“ nennen, was nicht derbe und fest ist, z. B. gegen Mehlspeisen, stark gewürzte Sachen n. dgl, auch lieben sie nicht den Zucker an der Nahrung. Es herrscht die Einfachheit, welche mit dem Festhalten an der alten Sitte in genauester Verbindung steht, im Hause, in der Tracht, der Nahrung, dem Wirtschafts- und Familienleben. In ökonomischer Beziehung mag daraus immerhin, wie sich nicht wohl leugnen lässt, ein Nachteil entstehen, insofern ein gewisses Zurückbleiben oder langsameres Fortschreiten die unvermeidliche Folge des Festhaltens am Alten ist. Aber für den Staat liegt dann auch ein unverkennbarer und gewiss ein überwiegender Vorteil, dass dieser Teil seiner Bevölkerung seine ursprüngliche Lebenskraft ungeschwächt und frisch bewahrt und dadurch im Stande ist, auf die dauernde Abschwächung der übrigen Bevölkerung immer von Neuem wieder eine belebende Wirkung auszuüben. Denn wo Krafst vorhanden ist, da ist diese überall berufen, nicht sich in sich selbst zusammenzuziehen und zu verengern, sondern — wenn auch nur in kaum merkbaren Übergängen — aus ihren Kreisen herauszutreten, durch Verbindung nach Außen hin sich zu erweitern und zu vertiefen.