Luthers Kindheit in Mansfeld

So wird Martin der Knabe, der wenig im Hause auftauend desto mehr in sich hinein denkt. Und der eine so sinnierende Gewöhnung und Art gewinnt, dem werden dafür freilich Himmel und Sonnenschein und grüne weite Landschaft, die freie raue Lust auf dem Mansfelder Höhenrücken, und alles bisschen Freude und Schönheit der Welt, an das er nur reicht, zu desto tiefer und dankbarer verstandenem Gut. Daneben allerdings drängt sich in diese junge, mit ihrem Besten verschlossene Seele auch die ganze Fülle jener halbheidnischen Vorstellungen, die mit damals noch ungebrochenen, doch unfroh gewordenen Obergewalten im Volke leben: die ewige Hexenangst der Mutter, die die Nachbarin beschuldigt und sie vorbeugend beschenkt, die gleißenden Trugbilder der Macht des Bösen, welche in den Silberstollen der Teufel den armen Bergmännern zeigt. Eindrücke und so heftige Eindrucksfähigkeiten bilden sich in dem verschüchterten Knaben, dass zu anderen Zeiten auch ein großer, tief grübelnd leidenschaftlicher Dichter hätte aus ihm hervorgehen können. Er steckt ja wirklich in ihm, er öffnet sich in so unzählbaren Wendungen seiner wunderbaren Sprache. Aber zuvor, und ehe er Lieder dichtete, ward er doch derjenige, dessen die Zeit noch so viel mehr bedurfte. Es hat zwar noch viel geschehen müssen, bis der in sich zusammendrängende Knabe und Jüngling zu der Befreiung des Sagens, des Ausströmens kam. —

1483 gilt als das Geburtsjahr und ist es wohl auch. Luther selbst meinte lange Zeit, es sei 1484 gewesen; später hielt er 1483 für richtig und muss dafür also irgendeinen Grund gehabt haben. Aber es bleibt immer noch fraglich, ob dieser dann ein durchaus stichhaltiger war, in einer Zeit, wo zum Beispiel ein Melanchthon die Wichtigkeit des Geburtsjahrs vor allem astrologisch nahm. Die Mutter Martins, welche Melanchthon zum Zweck seiner astrologischen Rechnereien frug, entsann sich des Jahres nicht mehr. Uns erhebt sich, dann noch die Frage, ob ein Vater von der bedachten Veranlagung Hans Luthers sich nicht sorgfältig das Geburtsjahr seines Ältesten gemerkt hatte und diesem richtigen Bescheid, auch später noch, ausgeben konnte. So, wie es steht, halten wir, wenn wir im folgenden von Martins Jahren sprechen, die Rechnung über der Grundlage 1483 fest. — Kein Zweifel ist, dass er am 10. November, nachts zwischen zehn und elf geboren wurde, also am Vorabend Martini, der davon sein Namenspatron ward, da er am 11. auch sogleich getauft wurde. Persönlicher aber hat er, bis er dessen nicht mehr bedurfte, immer die heilige Anna, die Patronin der Bergleute, als seine Schutzheilige angesehen.


Sehr früh kam Martin in Eisleben zur Schule, lange vor dem sechsten Jahr. Sie verändert das mut- und freudlose Erinnerungsbild seiner Kindheit nicht. Nur dass er nachmals mit freierer Zornigkeit herausreden kann von diesen Bakelmeistern, die, wo sie nicht zu lehren verstanden, durch Prügeln und Stoßen zwingen wollten. In Rankes „Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation“ steht hier zwischen den kurzfertig inhaltschweren Darstellungen ein Satz, der am meisten dadurch bewegt, dass er gesagt wird: ,,Sonderbar, dass man die Tugend glücklich preist und beneidet, in der doch aus der Dunkelheit der kommenden Jahre nur die strengen Notwendigkeiten hereinwirken, das Dasein von fremder Hilfe abhängig ist und der Wille eines Andern mit eisernem Gebot Tat und Stunde beherrscht.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Luther
Abb. 005. Peter- und Paulkirche zu Einleben. Erbaut von 1489 ab an der Stelle der Peterskapelle, in der Luther getauft wurde. Der Turm in den unteren Teilen älter; auch der Taufstein aus der Kapelle ist noch vorhanden.

Abb. 005. Peter- und Paulkirche zu Einleben. Erbaut von 1489 ab an der Stelle der Peterskapelle, in der Luther getauft wurde. Der Turm in den unteren Teilen älter; auch der Taufstein aus der Kapelle ist noch vorhanden.

Abb. 006. Das Geburtshaus zu Eisleben. Das Haus brannte 1689 bis auf das untere Stockwerk ab, wurde aus freiwilligen Beiträgen wieder erbaut und 1693 als Freischule für weisen errichtet. 1817 nahm Friedrich Wilhelm III. Haus und Schule in beständigen königlichen Schutz.

Abb. 006. Das Geburtshaus zu Eisleben. Das Haus brannte 1689 bis auf das untere Stockwerk ab, wurde aus freiwilligen Beiträgen wieder erbaut und 1693 als Freischule für weisen errichtet. 1817 nahm Friedrich Wilhelm III. Haus und Schule in beständigen königlichen Schutz.

Abb. 007. Das Elternhaus zu Mansfeld.

Abb. 007. Das Elternhaus zu Mansfeld.

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