Siebentes Kapitel. Meine Tugenden und meine Unarten.

Siebentes Kapitel.

Meine Tugenden und meine Unarten.


Ich hatte Zeit genug, darüber nachzudenken, und meine Muse wurde durch nichts unterbrochen, als durch die Ankunft anderer Unglucksgefährten, die der lange hagere Mann dann und wann unter fürchterlichem Geschrei zur Türe herein geprügelt brachte, um sie sodann, so wie mich, dem Nachdenken über sich selbst und ihrem jetzigen wahrlich nicht glücklichen Zustand zu überlassen, das, auch unter traurigen Gefühlen und Aussichten, doch immer eine melancholisch süße Unterhaltung gewähr.

Ich fühlte, dass ich bei weitem nicht so schlecht sei, als mich der rätzelhafte Schreier vorhin schalt, aber auch ebenso wenig dem Bilde glich, das er jetzt von mir entwarf.

Es ist wahr, meine Farbe war ganz unibraun; allein wär nicht eben dieses Haar nach des Herrn von Tenneckers Urteil (man sehe dessen 5ten Bd. seines Taschenbuchs für Pferdeliebhaber, S. 148.) dem jetzigen Geschmack der Mode angemessen?

Ich war keine blendende Schönheit, die der Schreier selbst, wie ich in der Folge so oft höhrte, Blender nannte, aber meine Figur war gefällig. Ich hatte nichts Anziehendes für den Laien, aber desto mehr reellen Wert für den Kenner. Zwar bog ich mich bei der Parade mit den Hinterschenkeln nicht sprenkelartig zusammen, wie der Herr Rentkammeraccessist Weissenbruch in seinem Ganzen der Pferdezucht als Erfordernis einer guten Croupe aufstellt; ich hatte nicht den schwimmden, schnellen Trab der verpastatierten Englischen Rasse, die gemeiniglich vorne Löwen und hinten Hasen sind. Meine Kräfte waren ebenmäßig verteilt, so wie mein Bau regelmäßig. Ich hatte keinen zu schnellen, aber einen angenehmen Trab und wegen meiner vielen Bravur des Hinterteils die entgegengesetzte Parade, welche der Herr Accessist Weissenbruch liebt. Meine Schenkel waren rein und gut gestellt, und wohl allen Herren, wenn ihre Holsteinischen oder Englischen Parade–Pferde solche Beine haben als ich, ob ich gleich nach dem ersten Urteil des hagern Mannes unter die schlechtesten Klepper gehören sollte.

Meine Abkunft – freilich dazu konnte man keinen Hengst aus dem Friedrich Wilhelms Gestüt bei Neustadt an der Dosse anführen, von welchem ich in der Folge Pferde kennen lernte, die sich auf diese Abstammung nicht wenig einbildeten, ja aus Stolz darauf öfters gar übersinnig wurden; aber war ich nicht auch von rechtlichen, wenn auch nicht von berühmten Eltern gezeugt? Der Ruhm – ach, lieber Himmel, der ist auch bei uns Pferden sehr relativ, und reduziert sich zuletzt auf einen gefälligen Zeitungsschreiber. Übrigens war ich willig, von nichts weniger als störrigem Gemüt, kindfromm und klug genug, jeder unbestimmten Hilfe meines Reiters Genüge zu leisten und ihr zu gehorchen. Ohne die Regeln des Herrn von Tennecker über den Umgang mit Pferden gelesen zu haben, konnte man mich ohne Gefahr in und ausser dem Stalle behandeln; nur zu einer Unart hatte ich unwiderstehliche Anlage, zum Köken. Ich hatte sie schon in meiner frühern Jugend zu Zeiten ausgeübt, doch war sie dazumal noch zu keiner herrschenden Gewohnheit geworden, die dieser Fehler nach dem Urteil der neuern Tierärzte auch überdies nicht sein soll, da seine Ursache als eine Schwäche der Dauungswerkzeuge anzusehen sei. Doch dem sei wie ihm wolle, genug, ich kökte jetzt immer öfter als zuvor, und will es recht gern dem Tierarzt Ammon und dem Dr. Laubenter überlassen, auszumitteln, ob dieser Zustand aus Mangel an Erregung oder übermäßiger Erregung, aus kranker Reitzbarkeit, oder nach Kvönigsstädter und Debimann von bösen Säften entstand.

Alle Mittel und Schläge, die man dagegenanwandte, blieben fruchtlos, ja ich glaube, man hätte sogar die Erfindung des Herrn von Sind in meinem Stand anbringen können, und sie würde mich von dieser Gewohnheit doch nicht zurück gebracht haben.

Bis jetzt war dieser Fehler von meinem neuen Herrn noch nicht entdeckt worden; die Veränderung meines Zustandes und die damit verknüpften Zerstreuungen hielten mich von der Ausübung desselben ab, und meine Zähne waren noch zu wenig davon markiert, als dass es auch von diesen geschickten Zahnärzten, für welche ich in der Folge meine neuen Herren hielt, da sie mir und meinen Kameraden bald Zähne ausschlugen, bald feilten und brannten, hätte erkannt werden können.

Indeß stimmte doch dies eigene Bewustsein dieser Unart meinen Wert für mich selbst um vieles herab, welchen der hagere Mann auf mich zu setzen anfing, sobald ich seine Stallschwelle überschritten hatte; ich fühlte recht gut, dass nichts weniger als alle Welt, wie er sich ausdrückte, meine wäre, im Gegenteil, dass ich wegen dieses Makels von aller Welt verkannt und verachtet werden würde.