Sechstes Kapitel. Ich werde verkauft.

Sechstes Kapitel.

Ich werde verkauft.


Es war eines Abends vor der Abfütterung, als mein Herr mit einem kleinen Buche in der Hand, in welchem er eifrig blätterte, in den Stall trat und meinen Wärter fragte, wann wohl der Strelitzer Markt fiele? „Da hat uns“, setzte er hinzu, „der Herr von Bouwinghausen in seinem Taschenbuche für Vorgesetzte großer Marställe und der ganzen Zunft von Männern von Metier und Pferdeliebhabern, wohl alle Pferdemärkte auf jedem elenden schwäbischen Marktflecken angegeben; aber die größten Messen dieser Art in Mecklenburg und Holstein, wo doch der Pferdehandel weit mehr betrieben wird als im Württembergischen, aufzuführen vergessen.“

„Nun das kann ich Ihnen ja sagen“, erwiederte Jacobs Vater hocherfreut, den Lückenbüßer des Herrn von Bouwinghausen zu machen, und zählte alle Märkte von Mecklenburg her.

„Also nach Strelitz soll das liebe Tier“, hörte ich ihn noch im Abgehen zu meinem Herrn sagen. „Nun da ist bei jetzigen Zeiten freilich ein Stück Geld dafür zu lösen; denn der Hr. v. Rieben zu Matzdorf soll ja gar, wie mir gestern der Herr Kornschreiber erzählte, der außer der Garten– und eleganten Zeitung auch die Pferdezeitung liest, 60 Louisd'or für ein nur so eben von der Mutter gefallenes Fohlen von englischer Rasse erhalten haben.“

„Nur dass dieses von dem berühmten Hengst Unique abstammt, das unsrige aber von einem gemeinen Bauernhengst gemacht ist“, erwiederte mein Herr, „dessen Geschlecht so unbekannt ist, wie unser ganzes kleines Gestüt, auf welches sich nie ein durch Mecklenburg Durchreisender verirrt, um sodann Nachrichten davon drucken zu lassen.“

„Aber dauern tut mich das gute Tier doch“, antwortete mein Wärter, „und was wird mein Jacob d heulen und schreien –.“

„Diesen werde ich zu beruhigen wissen“, versetzte mein Herr, „und ihm von Tenneckers Pferd für Knaben aus der Buchhandlung mitbringen, von welchem ihn wenigstens die Kupfer gewiss erfreuen werden, wenn es auch der Inhalt nicht tut.“

Schon den dritten Tag nach dieser für mich so beunruhigenden Unterhaltung ging die Reise nach Strelitz fort. Jacobs Vater war freilich kein Koppelknecht, der mich raus zu putzen verstand, und kaum fiel es ihm ein, mir die Mähnen abzukämmen, noch weniger mir eine Trense mit rotem Stirnband aufzulegen und den Schweif hoch aufzuschweifen, als bedürfte ich die Zutat aller dieser Verschönerung nicht, die die mehresten Käufer eben so willlg als teuer bezahlen – ritt er beruhigt über das zu erwartende Zaumgeld, das demohnerachtet unter keinem großen Thaler sein dürfte, auf dem 20jährigen Wallach, der freilich, wie der Tierarzt N. sehr richtig bemerkt hatten an asthenischem Üebel litt – denn er konnte aus Schwäche kaum mehr von der Stelle – mich an einer alten Wassertrense an der Hand habend hinter meinem Herrn her, in einen Gang, von welchem sich auch nach Naumanns Handbuch nicht mit Gewissheit bestimmen ließ, ob er zu einem halben oder ganzen Pass gehörte.

Traurig verließ ich nun auf immer meine mütterliche Heimat, und schritt mutlos über den Grenzstein der mich bis jetzt ernährenden Flur; mit ihm trat ich zum zweitenmal in die Welt, in welcher ich bisher gleich einer Pflanze nur vegetiert hatte; da lag sie nun vor mir, in der ich ohne meinen Wärter, ohne Jacob, ohne den 20jährigen Wallach wie verwaist stand.

„O wei – das ist zu viel – 20 Louisd'or und keine Abzeichnung, nicht einmal einen weisen Fuß – na – das ist en armen Jud einen hellbraunen Klepper zu teuer geboten“, und jetzt erstlich erwachte ich aus meiner Betäubung.

Wir waren vor den Toren der Stadt, und Juden standen um und neben uns, um auf die ankommenden Marktpferde zu warten, und sie gleich noch vor ihrem Eintritt auf den Markt selbst zu kaufen.

Es war ein langer hagerer Mann, mit schwarzem Haar und ganz schwarzbrauner Gesichtsfarbe, mit grellender Stimme und vieler Gestikulation, mit listigen Augen und zanksüchtiger, neidischer Miene; nach seinem Urteile sollte ich alle Fehler meiner ganzen Gattung an mir haben, so dass ich mir vorkam, wie das fehlerhafte Pferd in Sinds vollkommenem Stallmeister.

Jacobs Vater wollte Einwürfe machen, mein Herr fortreiten; aber Beiden war es unmöglich. Den erstern beschwichtigte sogleich der alles betändende hagere Mann, und dem zweiten stellten sich zwei andere etwas korpulentere Juden, von welchen der eine lahm ging und der andere ein kupfernes, von Branntwein aufgetriebenes Gesicht hatte, in den Weg, und bei dem allen schien es noch, als wenn mein Herr Geld brauchte und mein Wärter sehr durstig wäre. Genug, der Handel wurde um 18 Louisd'or unter großen Geschrei, Schwüren und Zanken und unter steter Besichtigung von mir, bei welcher der lange allen widersprechende Mann jedesmal neue Fehler an mir entdecken wollte, abgeschlossen, und ich den Händen eines Koppelknechts übergeben, der mich in einen Stall brachte, wo schon mehrere solcher unglücklichen Schlachtopfer, die mit mir gleiches Schicksal gehabt hatten, in die Hände dieser Barbaresken zu fallen, versammelt waren.

„Es ist wahr, es ist war, fes, bei Gott ein köstlich Pferd, die ganze Welt ist seine, und's Geld – es hatte ken Globen noch Rand“, schrie der lange hagere Mann, von dem aufgedundenen Branntweingesicht begleitet, zur Stalltüre herein, indem er auch schon mit der Peitsche nach mir schlug. Er trat näher und floss in meinem Lobe über. Ich begriff nicht wie das zuging. Noch vor wenig Augenblicken hatte er mich zu dem Inbegriff aller erdenklichen Mängel gemacht, und jetzt erhob er mich zu dem Bilde eines Pferdes, wie es sein sollte. Dieser Wechsel des Urteils brachte noch nie entstandene Gefühle in mir hervor, ich wurde in mir selbst zweifelhaft, und wollte mich untersuchen, mich selbst kennen lernen, um mindestens mein eigenes Ich zu überzeugen, was an mir sei.