Achtes Kapitel. Mein Aufenthalt in D.

Achtes Kapitel.

Mein Aufenthalt in D…


Es war eines Sonntags Vormittags, als ich mit mehreren Gefährten meines traurigen Geschicks zusammengekoppelt und von dem stets durstigen Christian geführt, durch welchen wir alle Krüge und Wirtshäuser dieser Straße kennen lernten, in D..., dem Stapelplatz des Pferdehandels von dem südlichen Deutschland, ankam.

Mit Schreien und Zanken empfing uns der hagere Mann noch vor dem Tore, eine Menge scheelsüchtiger und neidischer Juden begaffte und begleitete uns, und kaum waren wir in den Stall gezogen, als ein dickbeleibter Mann mit kupfernem Gesicht hereintrat, den man Rossarzt nannte, um sich nach unserm Befinden zu erkundigen, das zu unserm Glück besser war, als nach den wünschen des Roßarztes zu hoffen stand, da, nach seiner Meinung, ein Marsch in so schlechtem Wege und Wetter durchaus die Säfte verschleimen und verderben müsste.

Auch konnten wir wenigstens der Fütterung von Drusenpulver nicht entgehen, womit er, wie er sich ausdrückte, alle Unnreinigkeiten aus dem Körper treiben wollte, bevor er die Operation des Englisierens an uns vornahm.

Dies war also eine tröstliche Vorbereitung für uns, und wirklich waren wir kaum einen Tag in dem Stalle als man eine Menge Misshandlungen mit uns vornahm, die immer höher und höher stiegen.

Unter diesen standen die unaufhörlichen Schläge noch unten an. Denn es schien hier zu der Tagesordnung zu gehören, dass, wer nur irgend von meinem Herrn oder dessen ganzer Sippschaft in den Stall kam, uns durch die Bank tüchtig durchprügelte, worauf wir denn bald zu der Fertigkeit kamen, uns sogleich aufgerichtet und en bravour, dem Löwen gleich, zu zeigen, sobald sich nur die Stalltür öffnete, obschon mancher meiner Unglücksgefährten sich kaum auf dem Hintertheil halten konnte, und die faulsten, phlegmatischsten Tiere schienen hier das Feuer selbst zu sein.

Ich war dieser Züchtigung am meisten ausgesetzt; denn leider war nun meine Unart entdeckt worden, und ich durfte nur den Kopf nach der Grippe richten, als alles, was Arme hatte, auf mich losschlug. Dadurch hatte man wenigstens diesen Fehler in soweit beseitiget, dass ich ihn so lange ganz unterließ, als sich nur irgend in meiner Nähe einer der Herren Koppelknechte oder Verwandten und Bekannten meines Herrn, die ich alle als die strafende Ägide kannte, aufhielt.

Ausser dieser Mißhandlung wurden uns nun auch, so viel man auch dagegen geschrieben haben mag, die Ohren ausgeschnitten, die Mähnen verrupft, die Schenkel- und Barthaare beschnitten, die Augenhaare ausgerissen, kurz, wir wurden so zugestutzt, als hätte man es sich angelegentlich vorgenommen, allen den schönen Lehren, die Natur doch ja nicht zu verstümmeln, indem alles, was da sei, Nutzen hätte, entgegen zu handeln. Das Unerklärbarste aber war mir, dass man mir – ich war dazumal 3 Jahre alt – durch Ausbrechen der Mittelzähne die Marke eines 4jährigen Pferdes geben wollte; ich konnte nicht begreifen warum man so besorgt war, mich dem Anschein nach um ein Jahr älter zu machen; leider kam ja diese Zeit ohne alle Hilfe und früher, als zu wünschen stand. Warum sollte ich nun anders erscheinen, als ich wirklich war? Dies konnte ich mir dazumal – da ich noch nicht wusste, dass die Menschen nicht allein selbst anders scheinen als sie wirklich sind, sondern diesen Betrug auch auf alles übertragen, was sie umgibt – nicht erklären; immer hatte man mich bis jetzt jetzt für das genommen, was ich wirklich war; nun sollte ich scheinen, was ich nicht war.

Eben so wenig konnte ich begreifen, warum man meine alten Kameraden durch Abraspelung der Zähne und das Einbrennen neuer Bohnen dem Anscheine nach jünger machen wollte. So viel ich auch dazumal darüber nachdachte, ich konnte den Grund nicht erraten, der sich mir in der Folge von selbst aufdrang.

Ach, es geschah, um uns alle in das glückliche Mittelalter, das an unsrer Tiergattung so geschätzt wird, zu versetzen, in welchem wir eben so entfernt von jugendlicher Einfalt und Unbehilflichkeit als Altersschwäche und Stumpfheit sind; man wollte also auf Kosten unsrer Gesundheit und der Geldbeutel unsrer Käufer unsern Wert erhöhen, wie man dies noch durch tausend andere Kleinigkeiten zu tun pflegte. – Ach, hätte dies Grattenauer gewusst, er hätte einen Grund mehr gehabt, die Juden zu lästern.

Was sind alle aufgedeckte Rosstäuscherkünste von Eisenberg und Rosenzweig gegen die tausendfältigen Kunstgriffe der meisten Pferdejuden, die diese guten Männer gar nicht kannten!

Wer könnte sie besser erzählen als ich, wenn ich nicht fürchten müsste, abermals in die Hände dieser Unbeschnittenen zu fallen, die mich dann noch unglimpflicher behandeln würden, als es jetzt schon geschah! Darum sei diese Abhandlung nur erst nach meinem Tode dem Druck übergeben, wo ich nicht allein durch mein Fell – und Flechsen – denn Fett dabe ich wenig mehr – sondern auch noch durch diese Schrift nützen werde, ob man sie schon in D…, dem Sammelplatz jüdischer Pferdehändler, zu confiszieren suchen wird.

Doch alles dieses war noch nichts gegen die Qual, welche uns nun noch bevorstand. Das Englisieren, eine Operation, der nur ein einziger meiner Kameraden, ein Schimmel aus dem Gräflich M. Gestüt entging, der, außer einem dicken Kopf, steifem Hals und langen Fesseln, alle Anlage von Farbe, Abzeichnung und vollem Schweif zu einem Husarenpferde hatte, stand uns noch bevor.

Schon den Tag zuvor wurden uns die Schweife eingeflochten und in Rollen gehangen, und mit dem Anbruch des folgenden Tages erschien der dickbeleibte Rossarzt mit seinen Gehilfen, die alle Schneider in D … an Salleisten ausgekauft zu haben schien, und eine mächtige Büchse voll präcipitatischer Salbe, wie sie der Rossarzt nannte, trug. Einzeln wurden wir der Reihe nach vor das Haus geführt, gefesselt, und nun von dem sich so eben durch einige Gläser Liqueur gestärkten Rossarzt geschnitten.

Tenneckers Anweisung, wie sogar auch Laien ohne praktische Anweisung, was wirklich viel ist, diese Operation verrichten können, war dazumal noch nicht erschienen, und es drängten sich daher eine Menge Menschen zu uns Unglücklichen hin, die, wenn auch nicht diese Operation lernen, was sie nun in der warmen Stube, an dem Teetisch sitzend, aus Tenneckers Anweisung viel bequemer haben, doch begaffen wollten.

Das Geschäft ging wirklich sehr schnell von Statten, und ward im eigentlichen Sinne des Worts als Fabrikarbeit betrieben. In einem Vormittag waren wir einige zwanzig englisiert, das heißt, wir hatten Schnitte in der untern Fläche der Schweifrute, die freilich nur die wenigstenmale die Fiechsen vollkommen coupiert hatten. Indeß, darauf wurde weder von dem Rossarzt noch meinem Herrn gesehen; denn wir wurden ja noch mit aufgebundenem Schweif verkauft; und ob wir in der Folge den Börzel trügen oder nicht – was ging dies unserm Herrn an, der ja zu dieser Zeit das Geld für uns in der Tasche hatte?

Unsrer glücklichen Naturkraft, weit weniger der roten Salbe, verdankten wir in kurzer Zeit die Heilung unsrer Wunden, und nun ging eine Neue Qual für uns an. Das kupferne Gesicht fing uns nun an zu reiten, und wirklich, wenn er uns auch nicht nach den feinsten Regeln dieser Kunst zu führen verstand, so hatte er doch so manche Fertigkeit, uns einen Anschein von Gelehrigkeit und Bildung zu geben, den wir bei weitem noch nicht hatten und haben konnten, und worin es dieser Art von Reitern selbst der geschickteste Bereiter nicht nachtun wird.

Schon das drittemal dieses Unterrichts, bei welchem freilich die Spornen und Peitschen nicht geschont wurden – denn wo man nur hinsah, erblickte man einen Koppelknecht mit einer Peitsche, ohne noch meinen Herrn zu rechnen, der uns bei jeder Lektion mit einem großen Stocke verfolgte – wurde ich schon galoppiert. Freilich mag meine Haltung weder im halben noch ganzen Gleichgewicht gewesen sein; indeß mein Reiter wußte mich doch so geschickt zu führen, dass ich zwar meine Rohheit, doch aber keine völlige Unkunde in diesem Gange verriet.

Mit dieser Dressur, welche die Künstler dieser Kunst freilich nicht gut heißen werden, ob sie sie schon oft nicht besser zu machen verstehen, wurde ich einen Tag um den andern geübt, und nahm ich auch nicht an wahrer Folgsamkeit, Biegsamkeit und Geschmeidigkeit zu, so wuchs doch meine Furcht, und diese schien ja überdies der Endzweck dieser ganzen Übung zu sein.