Abschnitt 5

XIII.
Volksgebräuche.


Nach dem Essen wird geruht oder umhergeschlendert. Der Wohlhabendere läßt auch wohl zur Belustigung des Nachmittags ein Stück Vieh im Scheibenschießen oder Kegelschieben gewinnen. Auf der Stube aber versammeln sich die nächsten Angehörigen des Brautpaars und vor diesen Zeugen muß der Brautschatz zu blanken Thalern aufgezählt oder die Verschreibung von Hof und Land aufgelegt werden. Dies Geschäft wird mit Ernst und Bedacht abgemacht, als ständen die Parteien vor Gericht. Dann ruft die Musik zum Tanze auf die laubgeschmückte Deele. Zuerst und allein tanzt die Braut mit ihrem nächsten Verwandten, den zweiten Tanz mit ihr hat der Bräutigam. Die Braut wird noch immer als der vornehmste Gast mit den höchsten Ehren behandelt. Die Bräutigamsknechte tanzen darauf mit den Brautmägden, sie behalten überall den Vorrang. Gegen Abend hat bereits die Begeisterung des Tages und der Getränke in den Köpfen der jungen Burschen überhand genommen. Man hat alten Aerger auszufechten oder neuen sich erregt, und wie nach einer geheimen Verabredung schleichen sie hier oder dort in eine Scheune nebenbei oder am liebsten in das väterliche Haus der Braut, welches an diesem Tage das verlassenste im Dorfe ist. Sie haben die Artigkeit, die Hochzeitsgesellschaft mit Kampfspielen zu verschonen, und wählen deshalb einen stillen Ort. Dort versuchen die Burschen die Wucht ihrer Arme wider einander und machen sich durch solche Bewegung neue Lust zum Tanzen und Trinken. Mit Schlägen gesättigt, stellt sich einer nach dem andern im Hochzeitshause wieder ein. Wer zu arg zugedeckt ist, kommt spät oder gar nicht wieder, und gar oft wird auf solche Weise der Bewerber um ein Mädchen von einem Nebenbuhler niedergekämpft und von ferneren Bewerbungen abgeschreckt. Diese Rauflust läßt sich noch immer nicht verbannen, und oft werden gerade diejenigen die besten und treuesten Freunde, welche einander die empfindlichste Armstärke zu kosten gegeben. Während auf solche Weise das junge Volk sich vergnügt, sprechen die Frauen, auf einer Stube beim Kaffee versammelt, die Dorf- und Hausangelegenheiten durch. Die alten Bauern aber sitzen unter den Eichen auf dem Hofe und schmauchen und trinken und unterhalten sich nach Herzenslust. Bei solchen Gelegenheiten legt der Bauer den ihm jetzt vielfach zur Gewohnheit gewordenen Charakter ab, –nämlich bloß bescheiden und vorsichtig zu sein, still zu denken und still im Kleinen zu arbeiten, dienend und sorgend und ehrerbietig nach allen Seiten, nichts aber sich kümmernd um das, was über den Dorfzaun hinaus liegt. Ein solches Wesen widerspricht der deutschen Natur, die offen und kräftig, gerade heraus mit der Sprache, herzlich theilnehmend, aber eben so sehr humoristisch ist. Man sieht es unserm Landmanne an, wie ihm jene Zaghaftigkeit nur aufgenötigt ist durch lange Mißachtung, durch Verdrängung von der Theilnahme am großen und kleinen Gemeinwesen, durch harte Belastung. Sein Selbstgefühl ist dadurch verkümmert und verbogen zu einer gewissen Verschlagenheit, zum Mißtrauen und zu einer Art von dumpfem Grimm auf die höheren Stände. Es ist eine Freude, zu sehen, wie an vielen Orten die bessere deutsche Natur in dem Landmanne wieder auflebt, wie er lustig und aufgeweckt wird, voll Kraft und Saft, und das Erbtheil des Deutschen, den gemüthlichen Spaß, wofür keine andere Sprache ein bezeichnendes Wort hat, wohl zu handhaben versteht.


Beim Dunkelwerden wird das letzte Stück des Hochzeitreigens aufgeführt. Die junge Frau muß den Brautstaat ablegen, und in der Alltagskleidung der Frauen wird sie von diesen in dichtgeschlossenen Kreisen umringt, und während sie nun im schnellsten Wirbel mit der einen nach der andern walzt, suchen die jungen Burschen den sich drehenden Frauenkreis durch List und Kraft zu durchbrechen und die Braut zu entführen. Die Frauen wehren sich aber auf’s äußerste, bis die Braut mit jeder von ihnen getanzt hat, – dann ist das Spiel zu Ende, und die Braut wird im Triumphe dem Manne zugeführt. Sie ist nun in den Rang der Frauen aufgenommen und damit die Reihe der unumgänglichen Hochzeits-Gebräuche vollbracht. Was außerdem noch an Festlichkeiten geschieht, ist, wenn auch nicht vom Uebel, doch gleichgültig. Tanz und Gelage währen bis an den lichten Morgen, bei den Reicheren auch noch mehrere Tage, bis das ganze Dorf satt und matt ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II