Eintritt in’s Land.

XIV.
Die Provence.


Wenn ein Hinterwäldler aus dem Westen der Vereinigten Staaten plötzlich in ein altes Kulturland, wie die Provence, versetzt würde, so möchte ihm Vieles so unverständlich sein, als käme ein Halbwilder in kunstgeschmückte Säle. In seinem Lande bahnt die Axt den Menschen eben erst den Weg in die Wildniß, um Wälder und Thiere aus dem Alleinbesitz des Bodens zu verdrängen: hier ist die Erde seit Jahrtausenden gezähmt und verschönert, und jedes Geschlecht, das sie bewohnte, hat dem Boden etwas von seinem Geiste und seinen Werken zurückgelassen. Dort ist das Einerlei der Natur, der Arbeit, des Besitzthums: hier ein tausendfach gespiegelter Glanz vielseitigen Lebens, dicht untermischt mit Noth und Elend. Verwundern würde sich der Hinterwäldler über die Menge alter Städte und Archen, Burgen und Gärten, über die endlosen Strecken angebauten Landes, das zierliche Kunststraßen durchziehen; aber am fremdartigsten bliebe ihm das sinnliche und sonnige Volksleben. Reiche und Gebildete sähe er sich zahllose Genüsse bereiten, an die er niemals gedacht hätte, und das arme Volk würde bei ihm Zorn und Verachtung hervorrufen, weil es träge und sorglos in den Tag hineinlebt. Selbst in der Luft würde er die gewohnte Anregung zur Thätigkeit vermissen, sie würde ihm zu lau und milde, selbst einschläfernd vorkommen.


Als ich der Provence entgegen fuhr, es war eines Abends im September, merkte ich freilich noch nichts von südlich milder Luft. Der Mond lag winterhell auf den Feldern, Und nordischer Glühwein schien gerathen, als wir frostzitternd nach Mitternacht in Montelimard anhielten. Die Stadt war wie ausgestorben, der rasselnde Wagen konnte das Pfeifen und Schrillen des Windes nicht übertönen. In Morgensfrühe erreichten wir die Höhe eines Berges. Da lag unten ausgebreitet ein herrliches Gemälde von Hügeln und Feldern, Bergen und Städtchen. Die Formen der Landschaft erschienen ganz so, wie man sie zwischen den Waldhöhen in Norddeutschland sieht, aber Alles war hier wie weich angehaucht, Alles prangte im hellen Grün. Die Sonne ging auf im reinsten Lichte und spiegelte sich auf den thaufrischen, lieblichen Fluren. Wir fuhren immer weiter in die farbige Provence hinein. Es fing Einem in der Seele zu singen an, leicht und spielend, wie das lächelnde Grün ringsumher mit den sanftgezogenen Bergen und dem lichtblauen Himmel darüber. Felderzüge von dunkler Erdfarbe sieht man gar nicht, das Baumgrün schwingt sich reihweise über die Ebenen und Abhänge, und dazwischen schillern die Weingärten und gelben Maisfelder. Haide nennt man hier ein breit sich hinziehendes Gebüsch. Große Dörfer, gleich den deutschen, giebt es nirgends; bis in die weiteste Ferne erheben sich aus den grünen Feldern Meiereien und weiße Landhäuser auf niedrigen Hügeln, jedes einzeln und immer mit einem kleinen Thurme zum Ausguck.

Ungefähr drei Stunden vor Oranges zackten sich in der ätherklaren Luft die Zinnen und Thürme der ersten Ritterburgen. Wie das in der Fremde einen doppelt magischen Reitz hat! Die Ruinen von ein paar Schlössern, welche wahrscheinlich einem einzigen Geschlechte gehörten, stehen bei einander auf einem breiten Felsberge, der nach der Straße zu steil abfällt. Diese Burgen sind nicht so groß und stark und auch nicht vom Hochwalde umrauscht, wie die deutschen, aber sie fallen von allen Seiten ins Auge. Leicht und lustig, etwas trotzig und prahlerisch erheben sie sich an den Rändern der nackten Felshöhen. Es ist um sie her nicht Stille und Einsamkeit, wie auf unseren Waldsitzen, sondern sie schauen herausfordernd keck und kühn in die bevölkerte Ebene hinab.

Später machte mich Jemand auf einen römischen Triumphbogen aufmerksam. Ich sah durch das Wagenfenster und es durchbebte mich die stille Erhabenheit, mit der dies Kunstwerk, einzig in seiner Art, in weiter Ebene dasteht. Aus den Straßen von Oranges sieht man gerade durch den mittlern Bogen. Der neue Fahrweg theilt sich jetzt vor dem Denkmale und führt zu beiden Seiten herum; früher ging er mitten durch und gab Anlaß zu mancher Beschädigung. Es sind drei Bogen, welche von vier herrlichen korinthischen Säulen ausgehen; über den beiden Seitenbogen sind die Waffen der besiegten Völker ausgemeißelt und darüber die römischen Waffen und Feldherrnzeichen, der mittlere Bogen zeigt die Gefechte, Blumengewinde sind zierlich ringsum aufgehangen. Von welcher Seite man den Bau auch anschaut, immer steigt und wölbt er sich fest und großartig, und doch so schlank und leicht in der blauen Luft, daß man sich an solch ächter Schönheit nicht satt sehen kann. Daß eine solche Antike uns doch gleich mit Gedanken lebensfroher Humanität erfüllt! Wieviel blos anerzogene Vorstellungen oder philosophisch ergrübelte Ideen sinken daran haltlos nieder. Der Bogen ist eine so einfache Form, den Geliebten und Gepriesenen zu empfangen, gleich wie das Thor sich öffnet und dahinter die Stadt ist und das Gedränge der Jauchzenden und Glückwünschenden und die theure sichere Heimath. Und wie herrlich hat die Kunst diese einfache Thorform zum Triumphbogen ausgeweitet und verschönert!

So bewillkommnet das vielbesungene, vieldurchkämpfte Land gleich in seinem Eingange den Fremdling mit seinem dreifachen Reichthum: der lieblich sanften Landschaft, den zackigen Ritterburgen, und den Antiken, die unvergänglich schön sind, wie des Südens milde Aetherbläue. Ich begrüßte die Provence mit lachendem Herzen, ich wußte, daß sie noch wundervolle Schätze mir entfalten werde. Doch auch daran mußte ich denken, wieviel grauenvolle Thaten über diese schönen Hügel getobt haben, wieviel Blutwellen zu Tode geängsteter Menschen um die erhabenen Denkmale der Kunst hier geflossen sind. Die Provence ist nicht allein immer das Land anmuthiger Schönheit, sondern auch stets eine offene Kampfbühne der wildesten Leidenschaften gewesen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II