Abschnitt 3

XIII.
Volksgebräuche.


Wenn es dort ins Frühjahr geht und der Saft in die Bäume und die Lust in das junge Volk steigt, sieht man den Werbesmann über den Weg streichen und die Basen zusammen stehen, und kaum ist der Mai in wonniger Pracht erblüht, so rauscht eine Hochzeit nach der andern ab. Bis zur Sonnenhitze dürfen Liebesleute sich noch ihr Nest bereiten, später ist’s nicht mehr in der Ordnung, und muß es im Winter sein, so hat die Sache ihren Haken. Werbung und Hochzeit haben ihren gemessenen Gang, wie eine dramatische Handlung, jedes Versäumniß der alten Gebräuche dabei wird als ein böser Fehl angesehen. Hat das Mädchen nach ein paar Jahren des Bewerbens endlich zugesagt, so wählt sie mit ihrem Freier unter den Verwandten einen gescheidten und vertrauten Mann. Dieser, der Werbesmann, ist nun der Meister, der die ganze Sache einrichtet. Eines Sonntags Abends besucht er die Eltern des Burschen, fängt an von der Wirtschaft des Dorfes und der Nachbarn zu sprechen und streicht endlich ihren Sohn heraus als einen klugen und kräftigen Burschen, der wohl einen eignen Pflug zu führen und mit der Eltern Rath sein Haus zu machen wisse. Gehen die Alten darauf ein, so meint er dann, es gäbe mancherlei passende Mädchen für ihn; jene habe einen guten Brautschatz, aber sie sei nicht häuslich, oder deren Angehörige seien schlimme Leute; eine andere werde zwar eine prächtige Frau abgeben, indessen sie sei aus einem nackten Hause und werde auch ihr eigen Haus nackt lassen, und dann habe der Mann keine rechte Achtung vor der Frau; eine aber falle ihm ein, welche sich vortrefflich für den jungen Burschen passe und wenn er nicht irre, hätten auch Beide ein Auge auf einander. Ist der Werbesmann bei den Eltern des Burschen glücklich, so nimmt er Tages darauf, sicher aber noch in der nächsten Woche, eine Gelegenheit wahr, den Eltern des Mädchens einen ähnlichen Vortrag zu halten. Es würde alle Scham verletzen, wenn die jungen Leute selbst ihre Angelegenheiten den Eltern vortragen wollten. Die Sache ist nun in den Gang gebracht, der Werbesmann geht hin und her, in der ganzen Familie ist er willkommen und wird bestens bewirthet. Am nächsten Sonntag-Nachmittag begiebt er sich feierlich mit dem Bräutigam und dessen Verwandten zum Brautvater. Die Braut thut fremd und etwas entrüstet, der junge Bursch mit dem Werbesmann reden scheltend auf sie ein und führen ihr ins Gewissen, wie lange sie sich mit dem, der jetzt ihr Bräutigam werden wolle, gekannt und welche Zeichen, daß sie ihm gut sei, sie gegeben habe. Endlich reicht ihm die Braut stillschweigend die Hand. Die Alten sitzen dabei und passen auf, ob die jungen Leute gescheidt ihr Wort zu machen verstehen. Acht Tage später führt der Werbesmann die Braut mit den Ihrigen ins Haus des Bräutigams, und da darf sie schon mehr Einverständniß mit dem letztern zeigen. Dabei wird nun gezecht und die künftige Einrichtung der Brautleute besprochen. Diese haben dabei zuzuhören, und der Bräutigam allein erhält das Wort, wenn er gefragt wird, ob das Beschlossene ihm recht sei; da darf er dann seine und seines Mädchens Wünsche geltend machen. Die Werbezeit ist für denselben überhaupt ein Prüfungsstand: die jungen Burschen machen ihm mit Sticheln den Kopf warm, und er hat seine Noth, daß er sich mit guter Manier aus ihren verfänglichen Anfragen herauszieht. Die Festsetzung der Aussteuer geschieht ohne Hinderniß, da gewöhnlich ein Bauer des andern Vermögen ziemlich sicher abzuschätzen weiß. Der dritte Sonntag ist der wichtigste: die ganze Familie beiderseits ist im Hause der Braut versammelt; der Bräutigam kommt und bringt „die Treue“. Das ist ein gutes Stück Geld, wohl an fünfzig Thaler und mehr, und dazu noch ein Halsschmuck. Für das Geld, welches ohne Zweifel ein Ueberbleibsel der Kaufsumme ist, mit welcher der Germane seine Frau aus dem Schutz und Schirm ihres Hauses heraus und in den seinigen hinein kaufte, schafft sich die Braut die blitzende goldbesponnene Sammetmütze an, die Ehrentracht der Frauen. Ist die Treue angenommen, so fügt der Werbesmann jedoch „Manneshand oben“, wie bei der Trauung in der Kirche, des Paares Hände in einander und spricht eine Art von Segen darüber. Die Eltern und Verwandten thun dasselbe und geben ihre Ermahnungen. Vor den Menschen ist die Ehe jetzt in Recht und Ehren geschlossen, was hinzukommen muß, ist bloß Kirchensache. Drei Sonntage nach einander wird der ehr- und tugendsame Jüngling mit der ehr- und tugendsamen Jungfrau von der Kanzel herab zum Stande der heiligen Ehe verkündigt; wessen Sittlichkeit einen Makel erlitten hat, erhält diesen Titel nicht. Zu gleicher Zeit besteht das Paar von dem Pastor einen kurzen Unterricht über die Religionslehren, das Braut-Examen.


Ist diese Klippe, woran manchen Paares Hoffnungsschiff noch ein paar Wochen still liegen muß, glücklich überwunden, so folgt die Hochzeit. Es beginnt für den Werbesmann die Zeit der glorreichen Anstrengungen, der rastlosen Sorgen. Er ist der Festordner, er der Koster von Speisen und Getränken, er der Gebieter über alle Dienstleute; sein Ausspruch ist entscheidend, und wo etwas verfehlt wird, hat er es später auszubaden. Acht Tage vor der Hochzeit begiebt er sich im größten Staate auf den Weg, die Verwandten und Freunde im Dorfe und in der Umgegend einzuladen. Den langen weißen Stab muß er sich selbst schneiden, der Bruder der Braut giebt ihm den Hut, die Braut näht ihm ein feines Hemd und Taschentuch und ziert ihn aus mit Bändern und Blumen. Ruhig mit erhobenem Haupte schreitet er in die Häuser und spricht stehend auf der Deele oder Hausflur feierlich seine Einladung, welche viel Aehnliches mit der zum Maibier hat. Am Tage vor der Hochzeit eilen die Verheiratheten ins Haus des Brautvaters. An der Thür empfängt sie der Werbesmann mit Musik; für Jeden hat er einen spaßigen Spruch; Flasche und Glas darf er nie aus der Hand lassen, den Männern trinkt er zu, die Frauen führt er zum Kaffee. Auf der Deele hält der große Wagen, rings herum steht und liegt und hängt die Aussteuer. Auf den Anruf des Werbesmannes sind im Nu Wagen und Sachen in Beschlag genommen, unter Lachen und Jubeln und gutgemeintem Schelten wird Alles gepackt; wo ein guter Witz erschallt, springt der Werbesmann, ihn mit vollem Glas zu lohnen. Die mächtigen Schreine, die schweren Koffer, die massiven Tische und Stühle und Töpfe füllen den Bauch des Wagens, von den Seiten herab hangen und baumeln gravitätische Speckseiten, blanke Kessel und Pfannen, messingbeschlagene Eimer, spitze Hecheln und ander Geräth. Feiner Flachs, das Geschenk der Frauen, ist über Alles wie ausgeschüttet. Die Bauern haben ein eigenes Geschick, der ganzen Anordnung ein spaßiges Ansehen zu geben. Dann ordnen sich die Frauen oben auf dem Wagen; die zwei jüngsten vorn halten hoch den Besen und Rocken, beides übergroß und mit Band und Blumen geziert. Die andern Frauen heben Haspel, Spinnrad, Grabscheit und Hacke und anderes Zeug in die Höhe. Hinter den Wagen stellen sich die Brüder und Verwandten der Braut und führen das Vieh, welches zur Aussteuer gehört; ist es eine volle, so muß es sein das nächstbeste Pferd, zwei Kühe, zwei Rinder, ein fettes Schwein oder eine trächtige Sau und zwei magere Schweine. Vier oder sechs mit Strauch- und Bandwerk behängte Pferde werden vorgespannt, der jüngste Knecht springt in den Sattel, schwingt den bekrönten Hut und die Peitsche, und die Arche schwankt aus dem Hause, begleitet von den wehmüthigen Blicken der alten Hausfrau und den Hoffnungen der Braut, die sich jetzt endlich hervorwagt. Auf der Miststätte singen die Frauen das Abschiedslied:


,,Ade, meine Mutter, ich muß nun scheiden,

Herzliebster Vater, nun lebe wohl,

Meine jungen Brüder muß ich meiden,

Bei meinen jungen Schwestern nicht mehr schlafen soll,“



und wie es weiter heißt. Dann geht der abenteuerliche Zug weiter durch die Gassen des Dorfes. Die Musik spielt, und in den Absätzen singen die Frauen alte Lieder, von denen kein Mensch mehr den Verfasser weiß, die aber so herzig und einfach schön sind, als hätte man sie den stillen Gesängen der Naturgeister abgelauscht. „Schöner grüner Jungfernkranz“ erklingt ebenfalls zum öftern. Rings um dem Wagen gehen die Männer und rauchen gemüthlich ihr Pfeifchen, hier oder dort beispringend, wenn etwas herabfallen oder, wie es oft aussieht, der ganze Wagen umstürzen will; oft erheben sie ein herzhaftes Jauchzen, worein Alt und Jung einstimmen, die aus den Häusern hervorkommen, um den Zug zu begrüßen. Zwischendurch eilen immer ein paar mit Flasche und Glas im Kurzrock und trinken hier und dort zu mit den Worten: „Wirf’s hinter! laß abfließen!“ Bunte Bänder flattern überall, die Frauen schimmern in den hellfarbigsten Kleidern, das Lachen und Zurufen, das Jubeln und Schießen nimmt kein Ende, das Vieh, des Tosens ungewohnt, schreit mit und will nach allen Seiten ausreißen. Und auf all das Jubeln schauen still und ernst die hohen moosbewachsenen Häuser und die alten Eichen und Linden herab; sie sahen so manchen Hochzeitszug einkehren und wegziehen, von den frühern Geschlechtern spricht keine Zunge mehr, und das jetzige freut sich wieder seiner kurzen Tage, die es mit Noth und Mühen erkaufen muß. Wie es still ist in den Dorfschaften, bis der Brautwagen herankommt, und wenn er vorüber gezogen, Alles wieder in Schweigen versinkt, so herrscht Schweigen und Stille über dem Landmann, wenn ihn die mütterliche Erde wieder aufgenommen hat. Es wäre ein Verbrechen, ihn um eine Stunde Freude zu betrügen. Endlich langt man auf dem Gehöfte des Bräutigams an, der Wagen hält, und der Fuhrmann ruft. „Das Rad ist zerbrochen, der Meister muß kommen!“ Dann eilt der Bräutigam hervor, grüßt den Zug und schenkt dem Fuhrmann ein, und wenn dieser auf dem Grunde des Glases seinen halben Kronthaler gefunden, so geht es, was die Pferde laufen können, gleichviel was bricht und fällt, in das Haus hinein. Da wird denn abgeladen, aus der Tiefe des Wagens wird heraufbefördert, was an Hausrath und gedörrten oder geräucherten Lebensmitteln eine Frau sich nur wünschen kann; die Koffer öffnen sich, und man erblickt den Reichthum des weißen Leinens; die alten Nachbarinnen nehmen die Aussteuer in Empfang und prüfen, wie sie gemacht ist, und loben oder schelten nach Befund den Meister, der in der Regel dabei sein muß. Die Sachen werden sofort an Ort und Stelle im Hause untergebracht, und nun geht das Gelage los. Es werden dabei in allen Winkeln des Hauses Lärmen und Possen mit solchem Eifer verführt, als sei es darauf abgesehen, alle unheimlichen Geister zu verscheuchen, damit die junge Frau ein reines und gesundes Haus finde. Das Zechen und Jubeln würde bis an den Morgen dauern, wenn der Werbesmann nicht zum Aufbruche mahnte, damit auch dem folgenden Tage sein Recht geschehe.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und Leute in der alten und neuen Welt, Band II